Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Günther Grosser: „Der Solist“ von Jan Seghers

Last Man Standing

Der Abschlussberichts des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016 liegt noch nicht vor, da flattert mit „Der Solist“ bereits ein Thriller zum Fall Anis Amri auf die Krimistapel und das nicht von irgendwem, sondern von Jan Seghers alias Matthias Altenburg, der mit sechs – auch als ZDF-Serie verfilmten – Romanen um den Frankfurter Kommissar Marthaler bekannt wurde. Diese alten Polizei-Romane hatten eine schöne Leichtigkeit und erzählten breite, einnehmende Geschichten vom trägen Leben in und um Frankfurt am Main. Der neue ist enttäuschend, weil er leider nur die alten Genrespuren erneut auswalzt, hat aber ein bemerkenswertes Figurenensemble, allen voran eben jener Solist, ein Sonderermittler des BKA namens Neuhaus. Der wird von Frankfurt nach Berlin versetzt – „er ist niemandem untergeben … er selber entscheidet, was er macht.“ Hilfe wird er allerdings doch brauchen in der bösen, unübersichtlichen Hauptstadt, also stellt man ihm Suna-Marie, genannt Grabowski, „Berlinerin mit türkischen Wurzeln“ an die Seite. Es geht um einen Mord vor der Kreuzberger Synagoge. Politisch? Antisemitismus? Terror? Dann gibt´s einen zweiten Mordfall an einer türkischen Rechtsanwältin und Aktivistin mit Hang zur Libertinage, im Hintergrund lauert eine rechte Partei, die Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Fall Amri verdichten sich. 

Und so weiter und so fort, die Geschichte wird langweilig und endet handelsüblich. In den vordigitalen Zeiten ließen Autoren, die ihre komplexen Fälle nicht mehr lösen konnten, den Ermittler oft einen befreundeten Journalisten anrufen, der ihm noch etwas schuldig war und über die nötigen Insider-Infos verfügte. Heute lassen sie die Hacker kontaktieren, gähn, und so bringen Neuhaus und Grabowski die Bösen dann zur Strecke.

Bemerkenswert jedoch ist dieser Solist, weil er das Auslaufmodell einer Figur repräsentiert, die sich überlebt hat und in ihrer deutschen Schwundstufe mit olivgrünem Parka, mehr oder weniger schwungvollem Ausstieg aus dem Polizei-BMW und zähneknirschendem Stirnrunzeln bei anhaltender Dauerbefragung nervöser Verdächtiger die öffentlich-rechtlichen Vorabendserien regiert. Sie ist die letzte Ausprägung, die forcierte Variante jener klassischen Figur des männlichen US-amerikanischen Ultra-Individualisten vom Trapper über den Cowboy und seinen edelsten Vertreter, den Privatdetektiv, schließlich den guten Cop bis hin zu den Spätformen des Spacetravellers und Mutantenjägers: Männer, die allein aber nicht einsam sind und aus hehren Motiven, die so undurchsichtig wie dehnbar sind und einen schwammigen ethischen Horizont hergeben, dem Bösen den Garaus machen. In der deutschen Kultur mit ihrer, sagen wir es milde: kollektiven Orientierung hatte der Einzelkämpfer für das Gute kaum Bedeutung und tauchte erst sehr spät auf, mit Figuren wie Schimanski – und der war Beamter, wie Neuhaus auch. 

Natürlich ist diese Loner-Figur noch immer ideologieprägend; die mit Neoliberalismus nur unzureichend umschriebene soziale Situation der vergangenen vierzig Jahre hat vor allem in Hollywood aber auch im Thriller und Polizeiroman zahllose Winkmännchen dieser Sorte nach vorne geschoben – die nahezu ausnahmslos ihre eigene Parodie abgaben. Wo der Kriminalroman Gradmesser der sozialen Untiefen ist, tauchen jedoch in letzter Zeit Alternativen auf, die einen erhellenden Blick aus neuen Perspektiven bieten: Gruppen, Teams, Frauen, soziale Außenseiter, sie haben andere Motive und lösen Fälle aus anderen Gründen. Man muss ja nicht gleich mit der parodistischen Variante anfangen wie Candice Fox. 

Seghers ahnt den Abgrund, auf den das Ganze zuschlittert, und gesellt seinem Einzelgänger eine vielfach konnotierte Plastikfigur hinzu – postmigrantisch, Frau, mit Streetcredibility – die alles nur noch schlimmer macht. Neuhaus , der doch tatsächlich eine Plattensammlung im Koffer mit sich herumschleppt und ganz spätmodern-eklektizistisch zwischen Mozart, Nina Simone und Rory Gallagher eigentlich alles hört, dieser Kerl ist eindeutig auf Serie angelegt, und man wird schon mal über die Besetzung nachdenken dürfen. 

Günther Grosser

Jan Seghers: Der Solist. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. Hardcover 240 Seiten, 20 Euro. – Verlagsinformationen hier.

Tags : , ,