
ERSTER TEIL
Variation
Ein schönes Grüßen
Zum Abschiede
Dieser bunten Wälder
In einem Park
Sah ich noch Kinder
Spielen heiter und
Unbeschwert
Ich
War auch einmal so
Glücklich
Der Winter fand in
Dem Park
Nur noch leere Plätze
Sah
Im aufgewühlten Sand
Einen alten Ball
Voller Schmutz
Ich
In schwarzen Ästen hing
Schwer der graue Himmel
Aufgewühlt
Meine Bettdecke,
So leis’,
Leise,
Zogst du
Die Tür
Zu …
Irgendwie duften
Die Farben des Herbstes
Besonders. Und die
Grauen Wolken sind noch
Kein Grabtuch. Das Licht
Geht durch mich hindurch,
Als wäre ich transparentes
Glas. Wenn wir die
Abstände in einem Atom
Betrachten, sind wir nur
Leerer Raum – so
Wie eine gotische Kathedrale.
Wir lesen den Stein wie
Unsere Gesichter – aber
Verstehen wir noch? Wäre
Das des Evangeliums oder eine
Frage der Architektur,
Der Geometrie oder schon ein
Touristen-Event?
Kyrie eleison
Ein schönes Grüßen
Winkende Hände
Zum Abschiede
Hinter einer
Corona-Maske.
Auf dem Markt
Sah ich einst
Heitere Menschen
Erzählen, gestikulierende,
Unbeschwert, lachend.
Ich gehörte
Auch einmal
Zu ihnen.
Christe eleison
Der Winter wird mich finden,
Bang ums Herz,
Auf dem Alten Friedhof
Leere Bäume, schwärzere Steine,
Aufgewühlt meine Seele,
Die Reste der Sonne:
Ein alter Ball voller Schmutz.
Eingehüllt in das Leichentuch
Der gekreuzigten Atmosphäre.
Schwer hing die graue Hoffnung
In schwarzen Ästen. Fast zur
Unsichtbarkeit verblutet und so greifbar.
Kyrieleis
Sommer, das Meer,
In stiller Aufgeregtheit,
Funkelt Glassterne
Im blauen Glanze
Unserer Augen.
Weiße Schaumkronen:
Du, hinaufziehend in
Abendlichen Fernen,
Und so wirklich nahe,
Entsteigt deine Schönheit
Den Fluten, o Venus.
Glatt gestrichen meine
Bettdecke. Ein Schmetterling
Ruht sich darauf aus.
Kam durchs offene Fenster,
Ach, die Flügel
Unserer Seelen. Unsere
Geistigen Augen schauen
So gern durch unsere
Leiblichen. Photonen und
Elektronen, die ein Reich
Von Geist und Geistern
Weben. Textilien aus
Erinnerungen und Träumen,
Wie z.B.:
Barfuß stellst du dich
Auf deine Zehen, um
Meine Lippen zu
Berühren.
Weißt du noch?
Damals?
Abendsterne.
Doch zurück,
Mein lieber Dichter:
Eben las ich die neuesten
Infektionszahlen auf der
Seite des RKI.
Ein schönes Grüßen
Zum Abschied diese
Bunten Bäume da
Im Park. Sah
Eine alte Frau,
Die etwas in
Müllbehältern
Mit allem Ernst.
Wo soll ich
Nach meinem alten
Leben suchen? Wo?
Fuge
Der Regen fällt
Einsam bin ich
Ich falle
Einsamer Regen
Bin ich der fällt
Maria,
Stella maris
Christi mater
Ora pro nobis
Regina
O
Nitida
Amen.
Amen
INRI
Deus
Soter
Pater
Es
Sanctorum
Tuorum.[1]
Wenn meine Hände schreiben,
Sind sie selbst bewegliche Texte,
Von meiner DNA verfasst –
Oh, diese unzugängliche,
Uralte Bibliothek aus nur
Vier Buchstaben. Ein Labyrinth
Sich verschiebender Kontinente,
Von Sumpfwäldern und Eiszeiten, von
Einem Sonnensystem und einem Kosmos.
DNA, die sich mit
Eigenen Händen erschafft:
Pyramiden, Mathematik, Raumsonden
Und Gedichte und Sonaten und
Rosalind Franklin.
Regen fällt draußen,
Durch das Fenster,
In meine Einsamkeit.
Bin kein Linsenschleifer[2],
Der im Kristall Gott sieht,
Sondern eine Versemacher,
Schwarzes Gekritzel
Auf – kaum zu glauben –
Dem Licht der Sterne,
Von Chlorophyll
Gefangen, lässt
Es Papyrus bauen,
Auf dem
Heiligen Zeichen,
Stofffetzen im Winde,
Über den Nekropolen
Flattern der Geschichte:
Nie vergessen!
Die Sterne Du singst
Funkeln leise Lieder
Über dem Meer
Erhebt sich
Meiner Seele
Aus den Fluten
Der Erinnerungen
Gedenke
An erstes Verliebtsein
Venus.
Wird es sein, wahr
Und ist.
Leise singst
Sterne du
Funkeln in
Der Nacht
An Allerheiligen
Gedenke ich meiner Toten
Wie ich im Herbst
Mit meiner Großmutter
Auf dem Friedhof
Kastanien sammelnd,
Auf dem sie jetzt
Ruht. Heute verstehe
Ich ihre Einsamkeit,
Ihren Schmerz und hoffe,
Dass sie es nun
Besser haben möge.
Du sagtest mir einmal,
Du möchtest als Meise
Wiedergeboren werden,
Im Winter vor meinem
Fenster, Futter zu holen.
Heute fand ich eine tote
Meise auf meinem Balkon.
In den Wiedergeburten
Nur Tod. Darum wünsche
Ich dir: ein schöneres
Meisen-Leben und dass du
Einst als Engel an mein
Fenster klopfen mögest,
Dir zu öffnen.
Die Toten sind
Meine Sterne
Die über mich wachen.
Suite
Ich vermisse dich,
Denn du bist wunderbar,
Dich vermisse ich,
Weil du so wunderbar bist.
Tod wird uns …
Es wird der Tod uns trennen.
Doch du bleibst,
Auch wenn der Tod …
Vergiss nicht meiner!
Doch du bleibst,
Auch wenn der Tod
Bitte vergiss,
Ach, meiner nicht!
Ich vermisse dich,
Denn du bist wunderbar.
Dich vermisse, vermisse ich,
Weil du so wunderbar bist.

ZWEITER TEIL – Satyrspiel
1
Auf geht auf einmal auf dem Hügel
Der Mond, unter geht, unter die Haut
Venus. Zum Verlieben schön die Nacht,
Zum Vergessen, zum Trauern, in Einsamkeit,
In Erinnerung. An dich.
2
Also,
Wohin mit dem radioaktiven Zeug?
Formulare ausfüllen!
Fristgerecht Widerspruch einlegen:
So in 100 Millionen Jahren?
(Da hat bestimmt jemand an die
Kontinentalverschiebung gedacht
Und was unser Müll mit einer
Zukünftigen Biosphäre macht …)
3
Corona besiegt uns,
Durch unsere Dummheit.
Aber auch das kann
Weggefeiert, pardon,
Wegreguliert werden – oder?

4
Und im Notfall haben wir ja auch noch
Cowboys, die einen Flugzeugträger
Auffahren, um dem Virus eins auf seine
Mini-Schnauze zu hauen. Und wieder
Einmal tanzen Affen um ihren
Affengott, der ihnen Paradiese verspricht,
Während sie das von ihren Führern
Besiegte Corona-Virus, über das
Sie Triumphe feiern,
Krepieren lässt.
(Und Gnade uns Gott,
Wenn solche ihre Lügen wahr
Machen. Dann brennt die Welt.)
5
Ein Mensch, o Gott, dich trifft.
Er sagt dir: „Gewähre was!“
„Wer“, fragt ihr, „wäre das?“
Der Gott so einfach treffen kann.

6
Entschuldigung, hier bin ich wieder,
hatte mir nur schnell einen Kaffee geholt.
7 Quod Erat Demonstrandum
Also, ich rief ein Geschäft an, das
Elektronen und Photonen verkauft, und
Wollte etwas zu Feynmans QED
(Quantenelektrodynamik)
Erwerben. Antwort:
Der zuständige Mitarbeiter ist im Urlaub,
ich verbinde Sie weiter.
Äh, wat willst du, nie gehört. Guck ma auf unsere
geile Homepage. Nö? Waddema.
Ja, wir sind absolut kompetent darin,
aber vielleicht sollten Sie mit
jemanden sprechen, der dies tatsächlich
weiß und kann.
([{Aber das habe ich Ihnen jetzt nicht gesagt.}])
8
Nun, sie haben gelernt,
Die neuen Hitler-Stalin-Maos.
Mit freundlicher Unterstützung
Der Sozialen Medien.
(Oder folgende Strategie aus
Dem Ewigen Handbuch für
Diktatoren) Sagt der Journalist:
Fake News,
Sag zum Journalisten: Selber
Fake News. Alles ist plötzlich
So flüssig, kaufbar,
Verhandelbar, weglügbar.
War es zwar schon immer …)
9
Diejenigen, die bisher an Kohle,
Erdöl, Plünderung von Naturschutzgebieten
Und an Sklaverei verdient haben, wieso sollen
Denen jetzt Menschenrechte, Demokratie und
Klimaschutz … ? Herzlich willkommen,
Corona, du lenkst gut ab! Könnte einer ironisch
Und tieftraurig im Stillen denken.
10
Was macht Corona mit uns?
Oder waren wir das schon längst?
11
Es gibt genug Plätze in den Traumfabriken,
An gut geschmierten, IT-gesteuerten Bändern,
Aber nicht genug Plätze auf den Gängen der
Krankenhäuser …
12
Die
Vielen,
Sie sind
Masse und
Messer in
Der Hand
Weniger
Egos …
13
Digitalisierung
Also das ist: wie ein
Kamel durchs Nadelöhr
Schieben. Und wenn das
Funktioniert hat,
Die ganze Herde hinterher.
Es ist ja so wunderbar modern,
Alles ins Virtuelle rüber zu schubsen.
Aber das braucht auch ein konkretes
Fundament in einer tatsächlichen Realität.
Also, stellen Sie sich vor, für die Titanic
Hätte es eine Homepage gegeben: Wir
Haben tolle Rettungsboote mit Minibar,
Mit Flachbildschirmen und rosaroten Kissen
Fürs Gemütliche. (Die übrigens
Unsummen gekostet haben.)
Das hätte einen Begeisterungssturm
Im Netz ausgelöst. Wo kommt denn
Der blöde Eisberg her? Konnte ja niemand
Wissen. Wie, zu wenig Rettungsboote?
(Und wie selbstzufrieden
Gab man sich, als man
So viel bei der Anzahl der Rettungsboote
Hatte einsparen können.)
Aber das hier war nur eine
Allegorie.
14
Es gibt Länder, da zählt ein Mensch nichts.
Es gibt Länder, da zählt ein Mensch nur, wenn er zahlt.
Es gibt Länder, die für Menschen zahlen,
Weil sie zählen – einfach so. Und genau dort
Wird das Virus es richtig schwer haben. Hoffentlich.
15
Manchmal,
Wenn ich resigniert bin,
Finden mich
Früher oder später Wörter,
Seltsame. Unheimliche.
Irgendwie unbewohnbar.
Gehört ihr zu mir?
Bau uns zusammen!
Mach dir ein Zuhause
Oder anders:
Langsam tauchen auf
Worte, dann Verse, Gedichte.
Wie entrückte Inseln, die
Mit dem fliehenden Horizont
Zu fliehen scheinen.
Aber mit nur einem Gedanken
– Flügel der Phantasie –
Darf ich bei ihnen sein.
Ein lauschender Gast,
Demütig,
Der still auf- und mitschreibt,
Bis er zurückkehrt.
[1] Übers.: Maria, Stern des Meeres, Christi Mutter, bitte für uns, Königin, o (du) Strahlende. Amen. / Amen INRI Gott Retter / Vater bist du der Heiligen dein.
[2] Anspielung auf Spinoza.
Markus Pohlmeyer, der vor kurzem seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegte, bei uns hier.
Sein (bisheriger) Corona-Zyklus: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5. Seine Shut Down Haikus hier.