
Von Moskau aus mit der Transsibirischen Eisenbahn durch die endlosen Weiten Russlands fahren – für viele eine traumhafte Vorstellung. Nicht ganz trifft das auf die Reise in dem dystopischen Shooter Metro Exodus zu. Hier geht es mit einer Dampflock durch ein von einem Atomkrieg verwüstetes und verstrahltes Russland.
Das ukrainische Studio 4A Games hat zusammen mit dem russischen Autor Dmitry Glukhovsky mittlerweile drei Metro-Spiele entwickelt, die auf der gleichnamigen Science-Fiction Romanreihe basieren. Die ersten beiden Teile spielen noch fast vollständig unterirdisch im großzügig gestalteten Moskauer U-Bahn-System. Hier hat sich nach einem Weltkrieg ein kleiner Teil der russischen Bevölkerung vor den tödlichen Verstrahlungen retten können. Die Menschen züchten Schweine in stillgelegten Tunneln, brühen Tee aus Pilzen und haben im Grunde die gleichen Probleme wie vorher. Die einzelnen Bahn-Stationen spiegeln alle möglichen extremen gesellschaftlichen Strömungen wider und sind teilweise heftig miteinander im Streit. Es gibt Satanisten, Nazis, Kommunisten, Christen. Dominiert wird das System von der Hanse – den Kapitalisten, die natürlich mit allen Stationen Geschäfte machen. Alle Spiele der Reihe bestechen durch ihre dichte Atmosphäre, mit sehr guten Dialogen und vor allem vielschichtigen Figuren, die berühren und im Kopf bleiben.
Metro Exodus startet mit einem blutigen Konflikt zwischen der schwer bewaffneten Hanse und dem Helden der Reihe, Artjom. Er ist schon immer per Funk auf der Suche nach Überlebenden außerhalb von Moskau – und zu Beginn der Story erfährt er, warum er kaum ein Signal finden konnte: Die Sender werden bewusst gestört, um die Aufmerksamkeit der Feinde nicht auf die Überlebenden in der Metro zu lenken. Aber Russland ist offenbar doch noch voll von Überlebenden. Dieses Geheimnis soll niemand in der Metro erfahren – und Artjom und seine Gefährten müssen vor der Hanse fliehen. Dazu kapern sie eine Dampflokomotive und begeben sich auf die Suche nach anderen Überlebenden und vor allem nach einem Ort, an dem man ohne Strahlung ein neues Leben beginnen kann. Wie sich herausstellen wird, eine Reise ins Herz der Finsternis. Denn irre Sekten, Gangster-Clans, schießwütige Verrückte und durch die Strahlungen mutierte Bestien lauern nicht nur in den Katakomben der Metro.

Während die ersten beiden Teile linearen Strukturen im U-Bahn-System folgen, bieten die Level in Metro Exodus wesentlich mehr Freiheit. Wenn die Lok mit dem Namen Aurora wegen Barrikaden oder Wassermangel stehen bleiben muss, können riesige Areale an der Wolga, am Kaspischen Meer oder in der Taiga frei erkundet werden, um Probleme zu lösen und die Geschichte weiter voranzutreiben. Hier gibt es unendlich viel zu entdecken. Versteckte Tonbänder und Tagebücher berichten von den ehemaligen Bewohnern, verfallene Industrieruinen und erodierte Städte stecken voller Überraschungen. Die Etappen der Reise spiegeln den Rhythmus der Jahreszeiten und die extreme landschaftliche Vielfalt Russlands. Der Horror der einzelnen Quests und die brutalen Zerstörungen des Krieges werden so immer wieder von eindrucksvollen Landschaften und Lichtstimmungen kontrastiert. Artjom und seine Gefährten schweißt die Reise zusammen, die Spieler:innen lernen nach und nach das ganze Figuren-Ensemble auf den verschiedenen Einsätzen kennen, denn die erfordern immer wieder die Beteiligung von unterschiedlichen Spezialisten.


Das ganze Spiel ist grafisch aufwändig umgesetzt und spielt immer wieder kunstvoll mit der Beleuchtung. Sei es draußen in der Natur, in weitläufigen Tunneln oder in engen Minenschächten und Bunkern. So werden Landschaften und Natur Russlands zu zusätzlichen, lebendigen Protagonisten und erhöhen das Level der Immersion. Außerdem fehlen hier weitestgehend die in den meisten Spielen üblichen Orientierungshilfen und Mini-Maps. Spieler:innen müssen sich also voll und ganz auf die Umgebungen einlassen, beobachten und selbst entscheiden. Die gleiche Freiheit hat man auch bei der Moral. Artjom hat eine Art verdecktes Karma-System – je nachdem, wie viele Leichen seinen Weg pflastern, ändern sich Teile der Story. Alle Entscheidungen haben Einfluss auf die verschiedenen möglichen Enden. Wer es dann bis ans Ende schafft, kann stolz sein. Wie alle Metro-Spiele ist auch Metro Exodus von hohem Schwierigkeitsgrad. Patronen und die überlebenswichtigen Gasmasken-Filter sind nie im Überfluss vorhanden. Es gibt allerdings auch einen vereinfachten Story-Modus für alle, die nur die Geschichte erleben wollen.


Metro Exodus ist eine lohnenswerte Albtraumreise, die auch daran erinnert, dass Menschen überall Menschen sind – egal, welcher Ideologie sie verfallen. Das Spiel fühlt sich an wie ein großer interaktiver russischer Roman. Über Krieg, Liebe, Freundschaft und die Frage, wer man sein will, wenn es auf der Welt keine Regeln und moralischen Instanzen mehr gibt.
© für Bilder und weitere Infos bei 4A Games.
Zum Trailer:
Christopher Werth bei uns hier.
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