Lit-Ex Literaturmagazin




aktuelle Ausgabe (... work in progress)
archivierte Ausgaben
Inhaltsübersicht aller Artikel







 

Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 3    August 1999

SZ-Literaturbeilage: Verriss I (Podak, Kunisch)


AM MITTWOCH, DEN 24. MÄRZ 1999, HAT DER LÖBLICHEN SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ) EIN UMFANGREICHER LITERATURTEIL ANLÄßLICH DER LEIPZIGER BUCHMESSE BEIGELEGEN. AUF DIE BELLETRISTIK ENTFIELEN ACHT GEHALTVOLLE SEITEN. LIT-EX-REDAKTEUR PATER RALF DE FRIKASSEE HAT SICH DEN TORT ANGETAN, SÄMTLICHE BEITRÄGE AUF DIESEN ACHT SEITEN AUF HERZ UND NIEREN ZU PRÜFEN. NACH DER SCHIER ÜBERMENSCHLICHEN ANSTRENGUNG KANN DAS VEREHRTE REDAKTIONSMITGLIED BEDAUERLICHERWEISE BIS HEUTE NOCH NICHT WIEDER FESTE NAHRUNG ZU SICH NEHMEN. SEIN GENESUNGSPROZEß BEI BUGS-BUNNY-CARTOONS, TRAUBENZUCKERINFUSIONEN UND ÄRZTLICHEM LEKTÜREVERBOT MACHT ALLES IN ALLEM DENNOCH ERMUTIGENDE FORTSCHRITTE. IN RUND SECHS WOCHEN, SO VERMERKT DAS JÜNGSTE BULLETIN, DÜRFTE DER PATIENT IN DER LAGE SEIN, WIEDER EINZELNE, HANDVERLESENE ABSCHNITTE AUS WELTBLÄTTISCHEN FEUILLETONS ZU GOUTIEREN, OHNE ERNEUT GEMÜTSZERRÜTTUNG UND STURZ IN DIE DEPRESSION BEFÜRCHTEN ZU MÜSSEN. NACHFOLGEND DER REDAKTIONSSEITIG UNGESCHÖNTE, GLEICHWOHL LEICHT GEKÜRZTE ERLEBNISBERICHT:


Klaus Podak über Max Rychner

Nicht von ungefähr eröffnet dieser Beitrag über den Schweizer Literaturkritiker Rychner die Beilage. Er gibt ihr gleichsam das Motto: Laßet uns, Schwestern und Brüder Rezensenten, Spuren suchen in den besprochenen Büchern, auf daß der brave Leser neugierig werde auf dieselben und ergo kaufe, kaufe, kaufe. Kein schlechter Vorsatz. Aber wird er eingelöst? Sehen wir uns folgendes Zitat aus der Abhandlung des Herrn Podak an:

"Spuren legen die Dichter, die Schriftsteller. Die Leser erschaffen - im Verfolgen der Spuren - ein lebendiges Bild dessen, was da Spuren hinterlassen hat. Am Ziel angekommen, lassen sie die Spuren hinter sich. Wenn die Suche, die Verfolgung geglückt ist, steht plötzlich das Bild, das Gebilde vor ihnen, dem sie selbst zu flüchtiger Ganzheit verholfen haben. Das erfordert Übung. Ungeübte brauchen Anleitung."

Diese wenigen Sätze bringen die Misere des Bücherrezensenten exemplarisch zu Tage: Er muß auf Teufelkommraus irgendwas Gescheites ablassen über seinen Gegenstand. Und wenn ihm nichts Gescheites einfällt, müssen seine Äußerungen wenigstens gescheit klingen. Zu diesem Behufe greift der Kritiker bevorzugt zur Technik der frei zusammenphantasierten Kategorienbildung, hier: der Spurenleger, der Spurenleser, der Spurenverfolger, der Spurenhintersichlasser, das lebendige Bild, die geglückte Verfolgung, der Dem-Gebilde-zu-flüchtiger-Ganzheit-Verhelfende.

Aus dem amorphen Teig der Wirklichkeit scheint Herr Podak mit seinen Begriffsförmchen - wie Muttern an Weihnachten - eine Serie von Gestalten herauszustechen, welche die Welt an dieser einen Stelle anschaulich und begreifbar macht. Doch bei dergleichen handelt es sich immer nur - das weiß man spätestens seit Wittgenstein - um heiße Luft oder, freundlicher ausgedrückt, um eine gediegene Form der Rabulistik, die das herausplappert, was der auf Hochtouren laufenden, inneren Formulierungsmaschine gerade so einfällt. Und das geht bei Herrn Podak arg zufällig und fahrlässig vonstatten. Anknüpfend an einen brauchbaren Ausgangsgedanken (Bücherlesen ist phylogenetisch betrachtet die Fortentwicklung des Spurenlesens aus steinzeitlichen Tagen), hangelt der wackre Schreiber sich zeilenfüllend von einer frei flottierenden Assoziation zur nächsten, blindlings voran ins Unbekannte. Nur Pi mal Daumen paßt das Folgende an das Vorangehende. Macht nichts, Hauptsache, alles Vorgebrachte klingt gefällig und gescheit. Und das tut es auch irgendwie. Nur landet die Chose leider unversehens im Unsinn: 'Ungeübte brauchen Anleitung'. Wie bitte!? Will uns Herr Podak tatsächlich weismachen, daß ein ungeübter Leser (was ist das?) ohne Scout, also Kritikus, die Spuren (und hier müßte jetzt doch mal angegeben werden, was unter 'Spuren' denn bitte zu verstehen sei) ..die Spuren nicht findet, die ein Autor legt, mit anderen Worten, gar nicht weiß, worum es in dem Werk, das er liest, überhaupt geht? Das wird der Verfasser, wenn er's recht bedenkt, kaum ernsthaft behaupten wollen. Daraus schließen wir, daß er's während des Verfassens eben nicht recht bedacht hat. Im Feuilleton kommt es, lernen wir daraus, auf bedachtsame Gedankenführung offenbar weniger an als auf hochtönende Formulierungspräziosen, die ob ihres ungefähren Wesens auf Stichhaltigkeit kaum zu überprüfen sind.

Spätestens ab da hatten wir keine Lust mehr weiterzulesen, haben es aber aus Pflichtgefühl dennoch getan und mußten uns zur Strafe dafür weiter unten noch ein zweites Mal ärgern. Dort zitiert Herr Podak folgende 'schön und vollkommen unprätentiös formulierte' Sentenz von Rychner: "Im Grunde soll [Literaturkritik] eine überredende Anleitung dazu sein, wie man solche Dinge lesen sollte, um Freude daran zu haben."
Wenn das eine unprätentiöse Formulierung ist, dann gibt es keine prätentiösen. Ein schematisch denkender Holzkopf wähnt sich im Besitz eines privilegierten Zugangs zur Wahrheit und erdreistet sich gönnerhaft, uns Lesergimpel an seinen stratosphärischen Einsichten teilhaben lassen zu wollen. Wir bedanken uns recht schön für diese Gunst - und verzichten gerne darauf. Um den angepriesenen Schweizer und alle seine Werke werden wir nach diesem Essay einen weiten Bogen schlagen. Klassenziel verfehlt, Herr Podak.


Hans-Peter Kunisch über Ilja Trojanow

Herrn Kunisch kennen wir als literarkritischen Hans Dampf in allen Gassen. Kaum eine Ausgabe der Süddeutschen Zeitung muß ohne seinen Beitrag auskommen. Zuweilen ist er gleich zweimal vertreten im Blatt. Dem Vernehmen nach schreibt er überdies für die ehrwürdige ZEIT und wer weiß für wie viele andere Kulturorgane außerdem. Der Mann ist gut im Geschäft, darf man mit Fug und Recht behaupten. Wer derart gefragt ist bei den Redaktionen, muß irgendetwas richtig machen. Fragt sich nur, was. Beliebt bei Zeitungsoberen macht sich einer, vermuten wir, wenn er keine Leser verschreckt. Und des Lesers Gemüt bleibt ruhig, wenn man ihm die Konfrontation mit allzu prägnantem Gedankengut erspart. Auf diesem Gebiet leistet Herr Kunisch zweifellos Großes. Seine Abhandlungen sind auf ganz prononcierte Weise profil- und standpunktlos. Er schafft es regelmäßig, sich höchst eloquent über ein Werk der Literatur zu verbreiten, ohne einen verläßlichen Anhaltspunkt dafür zu liefern, ob er selbst dasselbe für gut, mäßig oder gar schlecht hält. Aus Herrn Kunisch spricht offenbar der Weltgenius der Kritik, der, erhaben über jedewede schnöde Parteilichkeit und Ereiferung, sich Dingen höherer Ordnung zuwendet, deren Relevanz im Rahmen einer Literaturkritik unsereinem verschlossen bleibt. Das muß dem Mann erstmal einer nachmachen. Viele versuchen es, auch in der Beilage, um die es hier geht. Manchem gelingt es, aber längst nicht mit dieser Meisterschaft. Das Geheimnis letzterer dürfte in dem Pensum liegen, das der Meister sich auferlegt. Bei der oben angedeuteten Arbeitslast bleiben - schon aus Zeitmangel - originelle, also den Leser potentiell verprellende Gedanken ganz von allein außen vor, so daß Hans-Peter Kunisch, der Schlaufuchs, sich nicht einmal gesondert anzustrengen braucht, um dieselben zu vermeiden.


Pater Ralf de Frikassee





AUSGABE 3    August 1999


INHALTSVERZEICHNIS: