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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 3    August 1999

Rainald Goetz: Celebration


Das Buch ist eine Versammlung von Essays und Interviews, teils älteren Datums, und vielen, vielen Photographien zum Generalthema 'Techno'. Dies vorab.

Ein Erzähler kann wegen des Inhalts seiner Erzählung nicht belangt werden (wohl aber wegen der Form). Im Gesamtangebot alles Wahrnehmbaren fallen ihm die und die Dinge auf, und dabei empfindet er das und das. Davon legt er nach bestem Wissen und Gewissen Zeugnis ab. Fertig. Ob ein Leser sein subjektives Empfinden teilt, ist ihm vielleicht nicht gleichgültig (und ich lasse einmal offen, was 'teilen' denn heißen könnte). Aber er sucht doch niemanden dazu zu bewegen, es unbedingt zu teilen. Ein Rezensent, der nun tadelt, der Autor habe den und den wesentlichen Aspekt in seiner Geschichte unterschlagen oder einen anderen ungerechtfertigt übergewichtet (MRR-Spezialität), fordert vom Schreiber implizit, die Welt durch seine, des Kritikers, Brille zu sehen. Und was ist das für eine komische Forderung?

Der Essayist und Interviewgeber dagegen erzählt nicht, das heißt, er spürt nicht der Welt nach im Zustand der Unwissenheit, sondern er WEISS. Und mit diesem Wissen definiert er die Welt. Dabei erhebt er, logo, Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit seiner Definition. ("Ja, ich beanspruche eine starke Analysekraft für den Text"; Celebration, S. 249). Der Wisser fordert also vom Leser, die Welt durch seine, des Definierers, Brille zu sehen. Was ist das für eine seltsame Forderung?

Ein Weltausschnitt, der explizit so und so gesehen wird, läßt sich immer auch, ebenso explizit, ganz anders sehen, abhängig allein vom Augenpaar, das hinschaut. Das ist doch triviale Allerweltsweisheit. Wieso kennt der Goetz die nicht? Wenn er zum Beispiel schwärmt, die Love Parade habe daran mitgewirkt, "daß es eine neue Welt gibt, die - und sei es nur ein Mikrobißchen - besser ist als die, die war" oder "Die Love Parade ist das große, beste und bedeutendste Kunstwerk dieses Sommers. Der Augenblick, wo die Gesellschaft sich als Ganzes sinnlich wahrnimmt und sich trotz allem, irgendwie, ganz diffus bejaht... One Love, one World. Peace on Earth. Friede Freude Eierkuchen... Eine Demonstration der Glückserfahrung... Und jeder einzelne von diesen vielen war ganz offensichtlich vollkommen beglückt, dabei zu sein..." - wenn Goetz dieses Hohelied anstimmt, könnte ein anderer daherkommen und das Gegenteil behaupten: 'Haß überall, Krieg wird da draußen geführt. Die schönen Körper gegen die häßlichen. Die strahlenden, aussichtsreichen Vielgewollten machen die elenden, chancenlosen Ungeliebten ohne Gnade nieder, indem sie sich halbnackig tanzend vor deren Augen produzieren, mit dem einzigen Ziel, ein an Wahnsinn grenzendes Begehren zu entfachen, das sie mit genüßlicher Verächtlichkeit zurückstoßen können, um sich damit den narzißtischen Überkick zu verschaffen. Und die Zurückgestoßenen ihrerseits taumeln, wie um ihr Knochenmark gebracht, in der Love Parade mit. In ihren Mienen kleben, schockgefroren von der Wucht und Bösartigkeit der erlittenen Attacke, die mimischen Überreste der längst erloschenen Erlösungshoffnung aus den allerersten Minuten - die Rainald Goetz für Zeichen der Beglückung hält.

Und ein Dritter, dem der Höllenlärm des Spaß-Tatzelwurms das Trommelfell gegerbt und einen sauberen Tinnitus verpaßt hat, könnte verächtlich sagen: 'Da rennen sie hin, die schicken und die weniger schicken, die coolen und die weniger coolen Kids, direkt hinein in den wärmenden Mief einer von der alternativen Musikindustrie gleichgeschalteten Herde künftiger Hörgeräteträger - um sich die Langeweile und Daseinsöde aus dem Leib zu stampfen. Vergeblich.' Und die schier wahnwitzige Lautstärke des Zuges hält der Versehrte vielleicht für das akustische Äquivalent einer jedes menschliche Maß überschreitenden, führergefälligen Albert-Speer-Architektur. Blanker Faschismus in Form von zwanzigtausend Dezibel. Undsoweiterundsofort.

Was ich mit den beispielhaften Lesarten sagen will, ist klar: Mit der Mutation vom Erzähler zum Definierer büßt Rainald Goetz alle Deutungsautorität ein, die er durch sensibles Befragen der Welt - nichts anderes ist das Erzählen ja - erworben hat (siehe etwa 'Rave'). Wer sich dazu versteigt, allen Ernstes zu behaupten, etwas Beliebiges verhielte sich so oder so und nicht anders, der scheidet aus dem Kreis ernstzunehmender Leute aus. Er wechselt hinüber in die wuchernde deutsche Ausmähr- und Besserwisserkultur, in der seine Peers Maxl Biller, Didi Diedrichsen oder Johnny Willms heißen. Es diesen Gesellen gleichzutun, ist meinem Eindruck nach bisher nicht das vordringliche Streben des Rainald Goetz gewesen. Sollte sich das mit dem vorliegenden Büchlein geändert haben, mache ich mich auf manche kommende Enttäuschung gefaßt.


Fritz Gimpl






AUSGABE 3    August 1999


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