AUSGABE 3 August 1999
Andrea Brown: Träum weiter, Baby!
Der zweite Roman der
münchner Autorin Andrea Brown hat mich ins Grübeln gebracht. In diesen Werk
schlägt das Romanpersonal seine Zeit damit tot, rund um die Uhr das
nachzustellen, was es für 'das Leben' zu halten sich hat einbleuen lassen:
Schicke Kleidung tragen, schick ausgehen, schick Urlaub machen, schicke
Fickpartner an Land ziehen, schicke Existenzprobleme wälzen (Geldmangel mit
Koksdealen beheben) und schicke Sprüche klopfen. Ich hatte den überwältigenden
Eindruck: INFANTIL. Wenn ich den Begriff 'Erwachsensein' definieren müßte, wäre
dieses Szenario so ungefähr das letzte, woran ich dabei dächte.
Ins
Grübeln gebracht hat mich die Frage, ob der Autorin mit ihrem Text eine
brillante, geradezu genial entlarvende Satire auf die real existierende,
zeitgenössische Schick-Gesellschaft gelungen ist, oder ob sie nur das
trivialromanhafte Abziehbild einer ganz anders gearteten Wirklichkeit geliefert
hat? Und wenn letzteres der Fall wäre, stünde die Folgefrage an: Hat Andrea
Brown, strategisch infam kalkulierend, ein solches Machwerk geschaffen, um damit
die Prädispositionen eines Zielpublikums verkaufsförderlich zu bedienen, dessen
kritischer Verstand schon vor Aeonen im Trommelfeuer der allgegenwärtigen
medialen Seifenoperei untergegangen ist - oder weil sie selbst eher schlichten
Gemütes ist, Teil jener Herde, für die dieser Schmöker geschrieben wurde, und
nicht anders kann?
Frage also: Brillante Satire oder schauerliches
Abziehbild? Sehen wir uns die folgende, für den Text typische Passage näher an:
"'Wie, Sascha hat keine Zeit?' fragte sie verständnislos. Das war zu
erwarten gewesen. Nicole lebte in einer anderen Welt. Auf ihrem Planeten kamen
die Männer abends pünktlich nach Hause und hatten das dringende Bedürfnis, den
Müll runterzubringen und mit ihren Frauen über ihre Gefühle zu reden. Wenn das
nichts half, kauften die Männer ihnen Gucci-Taschen. Die Kinder schliefen in
dieser Welt gleich nach der Geburt nachts durch und trugen selbstreinigende
Designer-Klamotten, und Au-pair-Mädchen putzten die Küche, so daß man selbst
genügend Zeit hatte, sich seiner aufregenden Karriere zu widmen."
Vorderhand klingt das ganz lustig. Das Lustige bringt Frau Brown in der
comicstriphaften Überzeichnung ihres Anliegens unter. Und die paßt ja durchaus
unter das Label 'Satire'. Ich hätte auch wirklich beinahe gelacht, wenn die
Litanei nicht einen Tick zu überdreht wäre. Sie stammt ganz offensichtlich von
jemandem, der am Witzwert seiner Pointen zweifelt und in der Not mit äußerster
Kraft auf die Tube drückt. Heraus kommen Groteskheiten ('wenn es nichts bringt,
über Gefühle zu reden, werden Gucci-Taschen gekauft'??), die die Wirklichkeit
nicht 'überhöht' abbilden, sondern sie platterdings entstellen. Fertig ist das
Abziehbild.
Nach dieser Masche ist, fürchte ich, das gesamte Buch
gestrickt. Denn Andrea Brown ist von Anfang bis Ende des Textes in Not. Sie kann
weder beschreiben, noch kann sie ihr Personal miteinander sprechen lassen, noch
weiß sie überhaupt, wovon sie erzählen soll (nur d a ß sie erzählen soll, weiß
sie, weil der Verlag gern nochmal hunderttausend Bücher absetzen möchte). Und
sie hilft sich aus dieser permanenten Not, indem sie entweder, wie oben gezeigt,
überzeichnend auf die Tube drückt oder sich exzessiv in Formeln ergeht. Dabei
handelt es sich sowohl um Sprech- als auch um Denkformeln. Beide Gattungen gehen
fließend ineinander über und treten häufig gemeinsam auf. Nachfolgend ein paar
Beispiele. Eher zu den Sprechformeln gehören folgende Wendungen:
"Ich
konnte nur hoffen, daß das Au-pair-Mädchen das genauso sah, wenn sie das Chaos
beseitigte." (19) oder "Ich konnte nur hoffen, daß Sascha wirklich in den Club
gefahren war." (226) Hier 'hofft' die Erzählerin natürlich nicht, sondern
quasselt einfach nur gedankenlos im Schnodderjargon vor sich hin.
"Als
ich seinen vertrauten Geruch einatmete, fühlte ich mich wieder rundum wohl."
(56) Frau Brown schaut offenbar gern Werbung an. War es der
Rundum-Wohlfühl-Tee oder die Rundum-Wohlfühl-Versicherung, der/die sie hier
inspiriert hat.
"Daß diese Wirkung sich auch auf unser Bankkonto
erstreckte, fand ich allerdings mehr als verwunderlich." (148) Typische
Wendung für Leute, die sich gern anspruchsvoll ausdrücken möchten, aber nicht
wissen, wie das geht.
"Ich mußte nur den Duft seiner Haut einatmen und
hatte sofort wahnsinnige Sehnsucht nach ihm. Die tiefgefrorenen Gefühle tauten
auf und meine Hormone schlugen Purzelbäume. Wir küssten uns lange und
leidenschaftlich. 'Hmm, wie gut du dich anfühlst', sagte Sascha, 'ich will dich
nur noch küssen und im Arm halten.'" (145) Hier klingelt es nur so von
albernen, abgenudelten Begriffen und spielt schon ein wenig in die Denkformeln
hinüber, also in stereotype Anschauungen von der Welt. Die Autorin begibt sich auf das weite Feld der
Leidenschaften, und es deutet sich an, was mit dem nächsten Beispiel, eine
Parade-Denkformel, zur schrecklichen Gewißheit wird:
"'Hmmm? Das
wichtigste ist, das man miteinander reden kann', sagte er, 'ich will bei einer
Frau das Gefühl haben, daß sie zu mir steht. Daß wir über die gleichen Sachen
lachen. Aber das Reden ist doch wichtiger. Man sollte über alles reden können.
Darüber wie es im Bett ist. Oder welche Musik man gerne hört, oder welche Träume
man hat. Und welches Bond-Girl das beste ist.' (130) Abgedroschener geht es
kaum mehr. Mit diesem Text im Mund wird der Sprecher auf der Stelle zur
Witzfigur, zum Aufsageonkel geschlechtspolitisch korrekter Redensarten, vor
deren bravo-hafter Wesensart (Dr. Sommer-Team!) man sich nur noch ans Hirn
langen kann. Ein solcher Infantil-Quatschomat von Mann muß jede Frau, die nicht
wegen Gemütsschlichtheit selig gesprochen wurde, ins Lesbentum treiben. Das
Übelste ist natürlich der letzte Satz, der mit dem Bond-Girl. Er soll mutmaßlich
dem vorangehenden Sermon, den Andrea Brown vielleicht insgeheim selbst nicht
ganz so doll gelungen findet, den Kick ins Originelle geben. Aber er macht die
ganze Passage nur noch erbarmungswürdiger in ihrer Flachsinnigkeit. Denn in
trauter Zweisamkeit über das beste Bond-Girl zu diskutieren ist ungefähr so
originell wie den neuesten In-Drink im Schumanns zu bestellen oder CSU zu
wählen. Originalität für Einfaltspinsel, die den brennenden Wunsch nach dem
gerade Angesagten für die Emanation eines ausgeprägten Individualistenegos
halten.
Später dann, als Sahnehäubchen auf dem gequirlten Schmonzes,
dieser Dialog: "Mel, du hast ein besseres Leben verdient. Ab jetzt werde ich
alles tun, damit du glücklich bist." "Ich bin pflegeleicht. Wenn du so
bleibst, wie du jetzt bist, bin ich zufrieden." Selbst JR und Sue Ellen von
der seligen Dallas Ranch würden sich geschämt haben, in derart hirnverbrannter
Zwiesprache miteinander kommunizieren zu müssen.
In den hier
vorgestellten Beispielen von Sprech- und Denkformeln (deren Anzahl sich beliebig
vermehren ließe; das Buch brummt davon) gerinnt die Vielfalt der Welt zu einer
schrecklichen Einfalt. Ein ganz eng begrenzter Kanon von Denk-, Fühl- und
Handlungschiffren wird entworfen, hinter dem - gerade im Zusammenspiel mit der
gleichgestrickten, flächendeckenden sonstigen Seifenoperei - ein hoher
Konformitätsdruck steht: Nur wenn Du es so machst, Leser, ist dein Leben
richtig! Die Lektüre solcher Bücher wirkt verrohend auf den Lesenden insofern,
als sie ihn tendenziell unfähig macht, über das hinauszudenken und zu empfinden,
was der Jargon vorgibt. Und das ist die eigentliche Krux mit solchen Machwerken:
Ihre Lektüre führt unter die Knechtschaft der Formeln. Sie bevormundet den
lesenden Menschen und nimmt ihm die Würde, indem sie ihn zu einem lebenslang
scheiternden Nachahmer der Abziehbilder macht. Mit anderen Worten: Bücher wie
dieses treiben ungezählte (junge) Leute in Dumpfheit, Herdentum und latente
Verzweiflung. Sie machen in letzter Konsequenz ein selbstbestimmtes und
selbstverantwortetes Leben unmöglich. Sie sind die eigentliche 'Pornographie'
dieser Tage. Die oben aufgeworfenen Fragen dürften damit wohl beantwortet
sein.
Lieselotte von der Schmalz
AUSGABE 3 August 1999
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