AUSGABE 3 August 1999
Anmerkungen zu einem SZ-Interview vom 24./25. 7. 99 mit den Jungpolitikern
Florian Bieberbach (SPD) und Rasso Graber (CSU)
Dieses
Interview ist ein Trauerspiel. Ich sage es vorweg. Angesichts dessen, was
man in Form mündlicher Verlautbarungen von den handelnden Hauptpersonen und
schriftlicher Zeugnisse etwa im Rahmen von Wahlkämpfen geboten bekommt, habe ich
die Politik immer schon für eine Veranstaltung zur parteienmäßig organisierten
Geistesbeschränkung gehalten. Wessen Geist da beschränkt wird, ist mir noch nie
so klar gewesen wie nach dem SZ-Interview mit Florian Bieberbach und Rasso
Graber.
Wenn ich sowas Altmodisches wie Hoffnung auf bessere Zeiten in
junge Politiker setzen soll, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Die
Unwichtigere zuerst: Ich möchte (wenigstens) e i n e programmatische Äußerung
zum Inhalt künftiger Politik hören, die sich nicht um Lappalien wie
MVV-Freifahrt für Studenten dreht. Die Arbeitslosigkeit wäre ein dankbares
Thema. Dito Deutschlands Hinterherhinken in der sogenannten Hochtechnologie.
Auch zur Regelungswut der Gesetzemacher, die längst außer Rand und Band geraten
ist, ließe sich beispielsweise Hoffnungsspendendes sagen. Fehlanzeige in diesem
Interview. Die Nachwuchskräfte schweigen dazu. Entweder interessieren sie diese
Themen nicht oder ihr Sachverstand reicht nicht so weit. Oder aber sie halten
den Mund aus Gründen der Parteiräson: Neue, 'junge' Ideen zu diesen brisanten
Gesellschaftsproblemen sind unerwünscht, weil sie die Pateioberen beim
konzeptlosen Durchwursteln stören. Welcher der drei Gründe mag der am
wenigsten ehrenrührige sein?
Die zweite, wichtigere Bedingung für meine
Sympathien: Ich erwarte zuallererst und vordringlichst von jungen
Hoffungsträgern einen neuen Ton, einen anderen Sprachgestus, im Klartext: den
Bruch mit dem entsetzlichen Politjargon. Und auch in diesem Punkt werde ich herb
enttäuscht. Das Gesprächsprotokoll führt zwei gut geölte
Polittext-Verlautbarungsautomaten vor, die sich seitenweise verbreiten können,
ohne daß ich nach der Lektüre auch nur im Entferntesten wüßte, worum es
eigentlich gegangen ist. Irgendwo, außerhalb der Stadt und unterirdisch
vielleicht, muß es - auf parteienübergreifender Basis organisiert - ein geheimes
Labor geben, wo solche Politsprech-Homunculi im Reagenzglas geklont und nach dem
Zufallsprinzip an die Parteizentralen ausgeliefert werden.
Allerdings
gibt es Unterschiede der Versiertheit zwischen beiden Kandidaten. Rasso Graber
erweist sich klar als der Ungeschliffenere, als gleichsam mängelbehafteter
Montags-Klon. Dem CSU-Vorständler unterlaufen Äußerungen, die ausgesprochen
verräterisch sind für den Politbetrieb in seiner ganzen Scheinheiligkeit,
Inkompetenzballung und Karrieregschaftlerei. Der Jungspund erinnert mich daran,
daß ich im sogenannten Konservativen in den seltensten Fällen etwas anderes habe erkennen
können, als das stumpfsinnige Beharren auf tradierten Positionen, das seine
Wurzeln mutmaßlich in der nicht überwundenen analen Phase frühkindlicher
Entwicklung hat: 'Nee, mein Kackwürstchen geb' ich nicht her! Was ich hab', das
hab' ich. Und das behalte ich auch!' Leute, die sich aus freien Stücken zum
'Rechtssein' bekennen, haben mir von jeher weniger Abscheu als Mitleid
eingeflößt. Ihr Bekenntnis kam in meinen Augen stets der Mitteilung gleich: 'Ich
bin behindert.' Konservative scheinen Menschen mit besonders ausgeprägter Angst
vor Veränderung zu sein und ein auf strikten Normierungen und klaren Werten
beruhendes Weltbild zu brauchen, an dem nicht gerüttelt werden darf, sonst
verlieren sie die Orientierung. Daß alle Phänomene auf der Welt sich aus
verschiedenen Blickwinkeln anschauen und beurteilen lassen, erträgt ihr auf
Eindeutigkeit gerichteter, also autoritär strukturierter Charakter nicht. Wenn
Rasso Graber sich zur CSU bekennt, ruft er damit schallend in die Welt hinaus:
'Ich schließe zahllose Denkmöglichkeiten aus meinem Kopf aus; ich unterwerfe
mich freiwillig jeder Menge strikter Normen (z.B. im Schlips zum Pressetermin
erscheinen), ich mache mich als Vorzeige-Jungdynamiker zum Hampelmann der
übelsten Machthuber, kurz, ich nagle mir dasselbe Brett vor den Kopf, das
weiland schon mein Vater, meine Großtante selig oder sonst ein Vorbildsmensch
sichtbehindernd vor sich hertrugen'.
Übrigens würde ich, fällt mir jetzt auf,
mich einem harten linken Knochen, etwa vom Schlage Kronawitters, mit ähnlichen
Überlegungen nähern wollen. Das nur nebenbei.
Wo war ich
stehengeblieben? Beim unterschiedlichen Verlautbarungsgeschick der beiden
Politkontrahenten. Auf die Frage, warum er in der CSU sei, antwortet Graber:
"Ich wollte einen Gegenpol zum eher linken Umfeld in meiner Schule setzen." Der
Satz ist eine klassische semantische Nullstelle. Er teilt absolut nichts mit,
tut das aber auf eine Weise, die unheimlich nach was klingt, nach tiefer
Reflektion zum Beispiel, die in ihm aus Sorge um die Ausgewogenheit im Lande den
heldenhaften Entschluß habe reifen lassen, ein Konservativer zu werden, obwohl
er im Grunde seines Herzens recht eigentlich betrachtet, jawohl, ein Linker sei.
Oder so ähnlich. In Wirklichkeit heißt Grabers Antwort: '..weil ich ein
reaktionäres Früchtchen bin, das aber nicht offen zugeben kann, weil's uncool
wäre.'
Wenn Graber auf die Frage, er sähe es wohl nicht als seine
Aufgabe an, Edmund Stoiber auf die Füße zu treten, antwortet: 'Es reicht nicht,
einfach nur rebellisch zu sein, weil man halt jung ist. Es ist sinnvoller, nur
dann eine andere Meinung zu haben, wenn es dafür steht', dann heißt das doch -
die Worte auf die Goldwaage gelegt -, daß der normaldemokratische Tatbestand,
eine 'andere Meinung' zu haben, in der weißblauen Christpartei bereits als
Rebellion gilt. Das hat man eigentlich schon immer irgendwie geahnt. Nimmt man's
mit der Wortwahl hingegen nicht ganz so genau, so hört man aus der Aussage
heraus, daß Widerspruch in dieser Partei sehr wohl geduldet wird und zwar
insoweit, als er sich auf die bloße Widerspruchspose beschränkt, die intern
keinerlei Störungen verursacht, sich aber nach außen hin imageförderlich nutzen
läßt als Beleg für den zutiefst demokratischen Charakter sowie die enorme
Weltaufgeschlossenheit der CSU.
Schließlich weist Graber darauf hin, daß
der Nachwuchs in der CSU besser vertreten sei als in der SPD, weil soundsoviele
aktuelle und frühere JU-Chefs (Haedke, Singhammer, Wolf) jetzt in hohen Ämtern
säßen. Ein paar Absätze später beteuert er, selbst aber kein Karrierist sein zu
wollen. Was einer am entschiedensten von sich weist (aus Gründen sozialer
Erwünschtheit etwa), strebt er insgeheim nicht selten am dringendsten an. Das
lehrt der schnöde Alltag. So wie Graber den Begriff 'Karrierist' verwendet,
würde ich darunter einen Menschen verstehen, der - im Gegensatz zum
Ochsentouristen - die Sprossen der Parteihierarchie ungewöhnlich rasch erklimmt
und sich dabei unlauterer, mindestens aber tadelnswerter Mittel
(Gesäßkriecherei? Seilschaftenwirtschaft? Protektion?) bedient. Unklar bleibt,
ob der junge Mann die vorgenannten Parteifreunde verkappt des Karrieristentums
bezichtigt oder den Tatbestand für sich und die drei anderen in General-Abrede
stellt.
Das alles, zeigt sich, ist ungeschliffen und amateurhaft
formuliert vom CSU-Adepten. Herrn Bieberbach dagegen, dem münchner Juso-Chef,
unterläuft kein einziger Lapsus dieser Art. Gekonnt umgeht er die Fallen von
Schlagwörtern und allzu hohltönenden Leerformeln. Und doch werde ich mit seinem
Interviewauftritt nicht froh. Seine Geschliffenheit hat einen starken Zug ins
aalglatt Nichtssagende. Man kann ihn nicht packen, den Burschen. Was immer man
ihm vorhalten mag, er wird sich unfehlbar herauswinden. Und man selbst steht
dann wie der begossene Hirni da. Bieberbach präsentiert Politik als den Sport,
politische Gegner durch möglichst kluge und elegante Sätze alt aussehen zu
lassen. Im übrigen rattert hinter dem Sichtschutz des schlauen Geredes die
Machtmaschine der Partei, auf die kein Sterblicher Einfluß hat. Dieses Gefühl
vermittelt er mir. Ein ungutes Gefühl. Auf seinem noch unzerknitterten Gesicht
deutet sich heute schon eine Grossgenossenverquältheit à la Glotz, Eppler oder
Schily an, die herrührt aus dem Widerstreit der Verachtung gegen die eigene
spießige Klientel, Arbeiter und kleine Angestellte, und der traditionellen
Verpflichtung zum sozialorientierten Gutmenschentum. 'Wir sind bessere
Kapitalisten als die beschränkten Rechten, aber wir dürfen ja nicht, wie wir
könnten' - auch das sagt dieses Gesicht heute bereits. Mich gruselt's vor
solchem Politnachwuchs. Danke, liebe SZ, für dieses ungemein erhellende
Interview.
Dr. Elsbeth v. Joolen u. Schwallbach
AUSGABE 3 August 1999
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