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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   




AUSGABE 3    August 1999

Zeitgeschehen: Sloterdijk contra low culture

ANMERKUNG ZUM ARTIKEL DES KULTURPHILOSOPHEN IN DER SZ VOM 25.2.99; THEMA: THEATER UM DIETER DORN UND DIE ROLLEN, DIE EINE JOURNALISTIN UND EIN STÄDTISCHER KULTURREFERENT DARIN SPIELEN.

Dies vorab: Man hätte sich eine Passage gewünscht, die kurz erläuterte, warum der Verfasser den Regisseur Dorn für einen Repräsentanten der Hochkultur hält. Und wie sich letztere in seinen Augen von der 'low culture' unterscheidet. Oder ist das allgemeines Wissensgut, nur mir nicht bekannt? Muß eine Polemik sich vielleicht mit dergleichen Lästigkeiten nicht aufhalten, um goutierbar zu sein? Es sieht ganz danach aus. Allerdings kann sie nicht als 'wahr' gelten, wenn sie durch 'axiomatische' Setzung ihrer Ausgangsannahme, dieselbe rationaler Überprüfbarkeit entzieht. Sie, die Polemik, ist dann nur ein nettes Spiel mit Argumenten, die auf wackligen Füßen stehen, nämlich eben auf einer unbewiesenen Ausgangsannahme.

Freilich: Sloterdijks Argumentationsspiel ist so mitreißend, so ungemein plausibel, so erhellend und sinnstiftend, daß ich mir dringend gewünscht habe, seine Denkbasis möge wahr sein. Ja, am Ende konnte ich mir gar nichts anderes vorstellen, als daß sie wahr ist. Nachträgliche Verifikation der Ursprungsbehauptung durch die Schönheit der daraus gezogenen Schlußfolgerungen. Zirkulär irgendwie, aber höchst erbaulich. Egal.

Einige Leute jedenfalls bekommen ihr Fett ab, und das nicht zu knapp. Münchens nagelneuer Kulturreferent, Julian Nida-Rümelin, zum Beispiel. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber seit er für diesen Posten gehandelt wurde und sich Feature um Feature auf den Lokalseiten zu verschaffen verstand, habe ich etwas gegen den Mann. Mag sein, daß dies an tendenziöser Berichterstattung liegt, die ihn der Selbstherrlichkeit, Kurzangebundenheit und Arroganz zieh, mehrfach. Wahrscheinlicher ist aber, daß meine Aversion daher rührt, daß mir Leute, die in die Verwaltung von irgendwas streben, suspekt sind. Was wollen die da? Wie kann ein zurechnungsfähiger Mensch, noch dazu ein smarter Typ wie dieser, funktionärsmäßig etwas verwalten wollen, statt originär selbst was zu tun? Verborgene Motive müssen ihn treiben, denke ich mir. Machtlust zum Beispiel (später mal OB werden?) oder Publicity-Hunger (jeden zweiten Tag in der Zeitung stehen; instrumentell für ersteres). Oder vielleicht ist es ihm auch nur um die Mädels zu tun. Auf der Kultur, hört man, sollen die schärfsten Bräute herumlaufen. Und als Oberkulturverweser hat man da naturgemäß Heimvorteil. Kurzgesagt: Irgendetwas Unseriöses schien uns von Anfang an dem jungen Herrn Philosophieprofessor zu sein, das gerade in seiner messerscharfen Bemühung um Seriosität zum Ausdruck kam (strikt zur Sache reden in Interviews, voll eingearbeitet sein in die verwinkeltsten Details und immer alles besser wissen als der Frager, nie lächeln auf den Fotos), als müsse er vor allem sich selbst davon überzeugen, daß er es ernst meine mit dem angestrebten Job - aber stets scheitere damit. Und weil Nida-Rümelin nicht mit dem, sagen wir ruhig mal: Herzen bei der Sache ist (wie könnte er auch?), sondern nur mit dem kalten Verstand, der die Kulturmaschine der Stadt rundlaufen sehen und möglichst wenig Aufwand damit haben möchte, ...weil dem so ist, zeigt er ein rein technokratisches, machtorientiertes Verhalten, das berechtigte Bedenken und Einwände gegen seine Verwaltungsentscheidung als niederzubügelnde Unbotmäßigkeiten erlebt, statt als (Um-)Denkanstöße, die ihn zu einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge und einem angemesseneren Vorgehen bringen könnten und sollten. So also leistet der Kulturrefent, womöglich ohne gezielte Absicht, der 'low culture' Vorschub in dieser Stadt.

Zu Frau Dössel. Ich habe ihren Artikel "Blick zurück auf Dorn", auf den Bezug genommen wird, damals überflogen und daran nichts auszusetzen gefunden, war weder enttäuscht noch begeistert, wenn er auch einen 'certain unease', wie der Angelsachse sagt, in mir hinterließ, für den ich jedoch keine Worte hatte. Nun, im Fahrwasser von Sloterdijks bestechenden Argumenten, kommen mir plötzlich die Worte für mein Unbehagen gegen jenen Typus von Journalismus, den Frau Dössels Traktat repräsentiert: Dieses wendige Herummeinen, dieser Seich aus Ressentiment, pädagogischem Impetus und purem Flachsinn, der gern hier eine flotte Wendung, dort eine Flapsigkeit zum Nachweis von Lockerheit und Souveränität einstreut und doch ängstlich darauf bedacht ist, ja nicht Flagge zu zeigen, nirgends anzuecken als dort, wo PC es zwingend gebietet. So kommen Traktätchen zustande, die in ihrer verenaauffermannhaften Seifigkeit über weiteste Strecken nur Zeilen schinden zu wollen scheinen. Die Zeitung muß schließlich voll werden. Und wenn der Leser doch einmal den Eindruck gewinnt, diese Arbeiten enthielten Substanz, dann ist die Substanz - wie Sloterdijk zeigt - eben nichts anderes als der xte Aufguß jenes Gedankengutes, das unter viven Kulturszeneleuten derzeit im Schwange ist. Comme il faut, ein Blöken mit der Herde. Hier liegt ein wesentlicher Grund für meine Abneigung gegen Zeitungen, auch wenn sie sich 'Weltblatt' nennen. Freilich erfährt die SZ durch den Abdruck von Sloterdijks Attacke, die immerhin gegen die hauseigene Autorin und somit gegen das Blatt selbst geht, eine gewisse Rehabilitation. Meine Antipathien werden gemindert.


Walter Wurster





AUSGABE 3    August 1999


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