AUSGABE 3 August 1999
SZ-Literaturbeilage: Verriss II (Drews, Wehr, Hoven)
Jörg Drews über Galsan Tschinag & Norbert Wehr über J. U. Sauer
Über die Herren Drews und Wehr haben wir nicht groß zu
meckern. Sie legen rechtschaffen Zeugnis ab von ihrem Leseerleben, erzählen im
wesentlichen nach, was sie in der Lektüre an Anrührendem, Begeisterndem,
Bewundernswerten usw. gefunden haben. Sie dienen den Büchern als respektvolle
Präsentatoren. Die Werke müssen nicht ihnen dienen zur Selbstinszenierung als
Großkritiker à la MRR. Tadeln tun sie überhaupt nichts. Und so gehört es sich
auch. Entweder ist der Rezensent Feuer und Flamme. Dann paßt und stimmt alles.
Und die Stileigenarten, die man andern Autoren als Fehler ankreiden würde, sind
hier Teil jener Substanz, die ihn hinreißt, sie machen deren Charme, deren
besonderen Reiz aus. Oder der Rezensent ist eben entsetzt. Dann darf er keinen
Stein auf dem anderen lassen in seiner Kritik. Im Falschen gibt es nichts
Richtiges (und umgekehrt; woher kennen wir das?). Er muß den Hammer auspacken
und mit Schwung draufhauen. Da hat der Leser seine Freude. Und darauf kommt's
doch an.
Die Unentschiedenen, die halbscharig hier a bißl hervorheben
und da was benörgeln, setzen sich dem Verdacht aus, entweder schuldhaft gar
nichts erlebt zu haben mit der Lektüre und nun aus Mangel an Berührtsein nach
Schema F herumzuerwägen (was den Leser entsetzlich langweilt) - oder aber selbst
gescheiterte Schreiber zu sein, deren gequältes Lob bloße Konzession an das
Publiziertsein des besprochenen Autors ist (der muß ja gut sein, wenn ihn ein
Verlag genommen hat) und deren Tadel die Miesepeter-Rache des Versagers am
erfolgreicheren Kollegen ist. Sie setzen sich diesem Verdacht aus, sage ich.
Bemängeln ließe sich bei Herrn Drews allenfalls, daß sein Text zwischen
den Zeilen das Gefühl vermittelt, hier werde allzu gekonnt eine rezensentische
Mega-Routine ausgespielt. Festzumachen an Beispielswendungen ist dieser Eindruck
nicht. Dennoch entsteht er und wirft auf die Wahrhaftigkeit seines Angetanseins
einen Schatten von Zweifel.
Herr Wehr andererseits versteht es nicht,
trotz seiner wohl aufrichtigen Begeisterung, unsere Skepsis gegen
schlau-geschicktes Epigonentum zu zerstreuen. Was könnte ein noch so perfekter
Thomas-Bernhard-Imitator vorbringen, das das Original der Literaturwelt nicht
längst geschenkt hat?
Heribert Hoven über Uwe Timm
Zur Qualität dieser Rezension
mögen ein paar Zitate sprechen:
"Indem [Timms Texte] das Einzelschicksal
ins Allgemeine, das Private ins Öffentliche transzendieren, behaupten sie
öffentliche Relevanz." oder: "Den Wonnen der Gewöhnlichkeit verleihen
[die Texte] die ästhetische Form." oder: "[Die Erlebnisfülle seiner
Werke] dekonstruiert auf amüsante Weise die Bedingungen des Erzählens im Medium
selber:.." oder: "Auch jetzt gruppiert er, gleichsam als Probe aufs
Exempel, das narrative Geschehen um Sinnliches und Dingliches..." oder:
"Im Zeitalter der Unverbindlichkeit entwickeln Timms Personen eigene
Maßstäbe, die auch uns nachdenklich machen können: ..." oder: "Die
Ich-Erzähler treten zu Recht als realitätsstiftende Instanzen auf." Lassen
wir's gut sein.
Wer solche Sätze allen Ernstes von sich gibt, ohne jede
(selbst-)parodistische Absicht, dem ist auf Erden nicht helfen. In welch
schauerlichem Ausmaß, fragt man sich, muß dessen Innenwelt kolonialisiert sein
vom sinnleeren, ausgedroschenen Fachjargon der Literaturtechnokraten. Auf ein
Set bestimmter Reize (Literatur) reagiert Herr Hoven nicht mehr mit
'normalmenschlichem' Empfinden und Erleben (wovon simpel und geradaus Mitteilung
zu machen wäre; siehe Drews und Wehr), sondern mit einem mechanisch-reflexhaften
Absondern vorformuliert in seinem Hirn lagernder Deutungsversatzstücke. Wenn
das besprochene Buch so ist, daß es diesem Herrn gefällt oder, schlimmer noch,
zu gefallen sucht, dann haben wir eine Erklärung für die marginale Rolle, die
deutsche Literatur im internationalen Geschäft spielt.
Pater Ralf de
Frikassee
AUSGABE 3 August 1999
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