AUSGABE 3 August 1999
Zeitgeschehen: Mick Jagger - Scheidung von J. Hall
Schadenfreude ist schäbig, und sie kommt vor dem Fall.
So oder ähnlich heißt es doch immer. Nun, egal. Bei überlebensgroßen Gestalten
wie dem 'Oberstone' Mick Jagger ist alles, was für uns Stinos gilt, außer Kraft
gesetzt. Hier darf einer wie du und ich auch einmal ungestraft schadenfroh sein.
Das zeugt nicht von miesem Charakter, sondern von intaktem
Selbsterhaltungstrieb.
Seit unsereins in der Pubertät war, wandelt
dieser spinkige Popgott unter Sterblichen und hat alles Glück der Erde
gepachtet. Und das heißt vor allem: Frauen jeder Menge und Willigkeit,
vorzugsweise die allerhübschesten. Ob monikaeske Dream Girls aus Kalifornien
oder formidabel bebrüstete Marianne Faithfulls, resche Marsha Hunts oder
zuckersüße Disko-Täubchen aus dem Müncher P1 - Boulevard-Blätter berichteten
stets mit Ganzkörperfoto. Und gerade hier in München war einmal eine extrem
niedliche Maid (nicht Uschi Obermaier) mit ungläubig geweiteten Kulleraugen auf
der Tanzfläche abgelichtet (Bildunterschrift: "Mick, willst du wirklich mich?"),
dazu am Bildrand erkennbar Jaggers wölfisches Breitmaul, in dem das Wasser
sichtlich zusammenlief, wenn auch nur gleichsam in Erwartung eines
Geschäftsessens (desinteressierte Augen), wo doch die Kleine für einen wie uns
das Festmahl des Lebens gewesen wäre. So unglaublich war dieses Foto, daß es uns
umwarf vor Neid und Verzweiflung ob der eigenen Unbedeutend-, mithin
Unbeweibtheit.
Nun also die Scheidung von der xten Ehefrau, einer
pferdegesichtigen, faden Blondine aus Texas, die dem großen Mann, ungeachtet
seiner zahlloser Affären, über Jahre hinweg als Ehefrau und Nachwuchsschenkerin
die Stange gehalten hat (vermutlich nur, weil sie ohne den publicityträchtigen
Lebenspartner vom Status eines sogenannten Supermodels abgesackt wäre in die
Anonymität eines mittelprächtig erhaltenen Muttertiers, das sich zu schminken
versteht). Das Besondere an dieser Scheidung ist, daß Mister Jagger inzwischen
weit über fünfzig Jahre auf dem Buckel hat. Time is runnig out for him. Und in
diesem Sinne deuten wir das aktuellste Foto, das neulich als Beigabe zur
Scheidungsmeldung auf der Bunten Seite abgedruckt war: Jerry H. im Hintergrund
mit melancholischem Geschau und zum ersten Mal nicht unapart in ihrer
Niedergeschlagenheit. Vorn der Rock'n-Roll-Recke mit der Physiognomie eines
Mumienschädels, in dessen Ausgezehrtheitswüste der halbirre Blick eines Menschen
brennt, dem dämmert, daß irgendwas in seinem Leben vollkommen schief gelaufen
ist und er den Fehler nicht mehr beheben, sondern nur noch blindwütig
weitermachen kann wie bisher (Weib nach Weib) bis ihn der Wahnsinn vollends
ereilt oder eine irresistible Selbstmordlust. Wer jetzt kein Haus hat, baut auch
keines mehr, dachten wir beim Betrachten des Fotos. Und uns wurde so
schadenfrohgemut und federleicht ums Herz wie nie zuvor in unserem kümmerlichen
Leben.
Sal Baader
AUSGABE 3 August 1999
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