Impressum  І   Mediadaten  І  Letzte Aktualisierung: 01.04.2011, 10:01

suche diese Seite web
site search by freefind



Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

Anzeige
Versandkostenfrei bestellen!

Die menschliche Komödie als work
in progress


Ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

 

Home  Termine  Literatur  Blutige Ernte  Sachbuch  Quellen   Politik  Geschichte  Philosophie  Zeitkritik  Bilderbuch  Comics  Filme  Preisrätsel  Das Beste

Volk ohne Traum


Ein Statement
von Uve Schmidt

Gegelte und Geölte

Wenn in diesen Wochen „das Monster der Cyrenaika“ (Scholl-Latour) ins Bild gestellt wurde, erblickten wir zumeist einen alten, sandfarben gewandeten, schlitzäugigen Oberlippenstoppelbartträger unterm staubtrockenen Regenschirm oder den selben Mann in seinen zeitläufig wechselnden Kostümierungen militärischen, folkloristischen oder circensischen Zuschnitts, und nur sehr selten sahen und sehen wir jenen jungen Putschoffizier wieder, welcher turbulente Jahre lang seine selbstgemachte Grüne Revolution durchzog zum Erstaunen, Entzücken und Erschrecken der Welt. Was immer er verlautbarte und ins Werk setzte (auch in den Sand), war durchweg anmaßend und nicht selten wirr, er aber unstreitig der bestaussehende Selbstherrscher aller Zeiten, wenn man ihn denn schon nicht unter die gelernten Politiker und geborenen Autokraten rechnet. Fakt ist: Der Oberst Muamar al- Gaddafi war ein schöner, stattlicher Kerl und natürlich liebte ihn sein Volk und so manches Terroristenliebchen. Da auch meine jüdischen Freundinnen dieser Ansicht waren, kann man davon ausgehen, dass Gaddafis Ausstrahlung weniger auf der mühelosen Vertreibung eines gutmütigen greisen Königs und auf seinen Visionen vom islamischen Volksstaatswesen beruhte, sondern primär auf seinem Sex-Appeal in realiter und in Öl. Muss so einer so enden, droht dem besessenen Beau in der Politik unabwendbar das Schicksal eines Dorian Gray?

Wenn es  in den Sagen und Epen der Völker stupende Gemeinsamkeiten gibt, so sind es vor allem die Vorzüge der heldenhaften Protagonisten: Jung, fesch und forsch. Während Schurken und Ränkeschmiede durchaus Charaktermasken tragen dürfen und damit dem „richtigen Leben“ nahe kommen, sind die herausragenden Recken dem jeweiligen Schönheitsideal entsprechende Lichtgestalten, weit entfernt von der seinerzeitigen Realität einäugiger, hinkender  oder hakenarmiger Muskelmänner mit Narbengesichtern. Und weil es bis zur cinematographischen Umsetzung oft nur mündlich überlieferte Heldengesänge waren, werden weiterhin Klischees gepflegt, deren heutige Version uns Phantombilder vorgibt, welche zu 75% auf Karl Theodor von und zu Guttenberg passten, insbesondere das Faktum seiner Familiengeschichte, denn natürlich waren alle Weißen Ritter edlen Geblütes oder gar göttlicher Abkunft. Starb dazumal der Auserkorene vor dem entscheidenden Waffengang (o.ä.) unter dubiosen Umständen, so lebte er alsbald in der Legende fort. Seit ich Leser und Zuschauer bin, sucht mein Volk weiterhin nach der idealen Besetzung für vakante oder fehlbesetzte Führungspositionen, und seit unsere virtuellen Vor-Bilder zum Greifen nah ins Haus kommen, fällt das Wählerwohlwollen naturgemäß eher auf Chefärzte, Oberförster und Ratespielführer, denn auf die im selben Medium präsenten Politiker. James Dean war noch keinen Monat tot, da wurde er zum ersten Mal hinter der getönten Panzerglasscheibe einer Schweizer Schönheitsklinik fotografiert, mehr Mull als Mascara; später sorgte der „Elvis lebt!“ –  Circus vor allem für seine weltweit  nach zehntausenden zählenden Imitatoren. Neu war dieser  Wiedererweckungsrummel nicht: Jesus wurde nicht nur  nach der Kreuzabnahme lebend gesehen und gehört, im christlichen Volksglauben wandert der Heiland nach Belieben auf Erden und zeigt sich Auserwählten, Unfallopfern und Verfolgten. Real missfielen und missfallen weiterhin jüdische oder pseudojüdische Messiasse den orthodoxen Rabbinern; Reformjuden äußern weniger Berührungsängste. Besonders beliebt waren zu allen Zeiten falsche Thronanwärter, falsche Alleinerben ferner Landstriche, echte entrechtete Königskinder und Überlebende von Revolutionswirren (z.B. die erst nach ihrem Tode amtlich entlarvte Zarentochter Anastasija Anderson alias Popolski). Und natürlich haben immer wieder falsche Früchtchen diverser echter Cäsaren und Oberbefehlshaber für Bewegung im Boulevardblätterwald gesorgt, egal, ob die angezeigten Erzeuger Sexisten waren wie Stalin, Mao und Mussolini oder Sexmuffel wie Hitler und de Gaulle. Alle diese obskurantischen und abenteuerlichen Karrieren haben gemeinsam, dass die handelnden Hauptpersonen zwar falsche oder unglaubwürdige „Angaben zur Person“ machten, aber zumeist keine unmittelbaren Bereicherungsabsichten verfolgten, wie sie Heiratsschwindlern und Hochstaplern (d.h. gerichtsnotorischen Betrügern) selbstverständlich sind. Allein aus der von ihnen behaupteten Herkunft und der demgemäß beanspruchten Anerkennung waren gesellschaftliche und materielle Vorteile zu erwarten, und natürlich waren diese Dunkelmänner und Halbweltdamen von Anfang an alleinverantwortliche Schicksalsregisseure, denen nicht nur Legionen Zeitungsleser und Märchenstundenzuhörer Glauben schenkten oder ihnen gar als Gläubige folgten, sondern es standen ihnen auch die Bewahrer und Beschützer legitimer Interessen und Besitzstände, die Inhaber anerkannter Titel wachsam und wehrhaft gegenüber. Auf dieser Seite stand zu Guttenberg, bis er sich des von ihm verbumfiedelten Doctors entledigte. Seine Freunde und Fans – insbesondere die weiblichen! – sind mehrheitlich keine Politik-Experten und Ahnenforscher, schon eher Menschen mit einem Blick für Maßklamotten und  Gebisspflege und Farbfilme. Kann es sein, dass weder die Nachläufer des Eselreiters Jehoshua, noch die Mitläufer des Adolf von Braunau oder die ungezählten kleinbürgerlichen Opfer von Finanzhaien es jemals genauer wissen wollen, was die Maschmeyers ihnen verheißen?

Vom Beginn ihres geistigen Erwachens an müssen Kinder ihren Eltern vertrauen, einschließlich aller Lebenslügen, Buchfälschungen und Renommistereien; selbiges gilt nicht für Türdrücker, ungeliebte Vorgesetzte und Schwiegereltern. Wer als Intimus eines  Strebers dessen Aufstieg zu Ruhm und optimalem Einfluss begünstigt und begleitet hat, weiß wie unbehaglich man als Mitwissender  lebt; wer einer Ehescheidung entgegensieht, wird die Zweischneidigkeit von Großmut, Gleichmut und Komplizenschaft in einer Paarbeziehung kläglichst kennenlernen, vom schändlichen Scheitern geschäftlicher Partnerschaften nicht zu reden, und stets begannen die meisten dieser Beziehungen mit gefeierter Kameradschaft, Freundschaft, Liebe. Klar, zur Untreue gehören zwei, ggf. ein Mann und mehrere Frauen oder ein Chef und seine Firma, aber ein ganzes Volk kann sich nicht irren! Wirklich nicht? Nein, aber es kann sich angesichts eines Totalschadens mehrheitlich dumm stellen, womit die öffentliche Affäre ihres Idols und seiner Anbeterschaft sich wieder in der Ausgangslage befände: Auf dem Marktplatz von Kelkheim oder Kairo. Seit gestern (11.3.11) beherrschen die ökologischen Nachbeben in Japan und das militärisch-politische Standhalten der Familie Gaddafi unsere Nachrichtenmedien derart, dass man auf eine absonderliche Weise beruhigt sein kann: Solange das Desaster im Fernen Osten und die Bürgerkriege in Afrika von keinen anderen Schreckensmeldungen überboten werden und wir uns keine verlässlicheren Lagebilder verschaffen können, kann man sich getrost von der geopolitischen Weltkarte abwenden und nachvollziehen, wie die gefechtsfernen Europäer im Zweiten Weltkrieg definitiv dazu verdonnert waren, das „Völkerringen“ auszusitzen vor ihren Radiogeräten, bis die Sieger über sie kamen als solche oder solche und schlussendlich als Atombomber über die unbelehrbaren Liebhaber des Kamikaze und des Harakiri. Selbstzufriedener kann Deutschland derzeit kaum sein, selbstsicherer nur im Traume. Die große Pleite kommt bestimmt! (Carlo Cato) 
 

Alle Statements auf einen Blick:

Volk ohne Traum
Der türkische Alpdruck und die verschnarchte Demokratie
Nightmare USA und wir Schäfchenzähler Germania sucht Gralsritter
Ahoi, Arche Nova! 
Los der Arbeit oder endlich ausschlafen
Traumatamtam
Gute Nacht!
Schwarzer Schlaf
Liebe Nachtwächter!
Stimmen aus der Urne
Stille Nacht
Tränen und Krumen
Im Schlafe kotzen
Der Feind unterm Bett

Nach Sonnenuntergang
Frag würdig!
Bella Leitfigura
Frauen und Kinder zuerst
Fliegeralarm
Ein Hermelin aus Tempelhof
Deutschland, ein Herbstmärchen
Gott ist Atheist
Wetterbericht
Böse Buben
Was glotzt Du?
Oscar der Observer
In memoriam 8.Mai 1945
Ein starker Mann
Übern Damm
Der Fall Eva H.
Esra und andere
Belegtes Brot

Der Rentner im Tschibuk
Märzwehen
Jugendsünden (1)
Jugendsünden (2)
Jugendsünden (3) 
Sportimportexportweltmeister
Tschingderassassabumbum
Der Preis des Friedens
Stinkegeld
Froileins to the front?!
Man träumt Deutsch
Wir wunden Kinder (1)
Wir wunden Kinder (2)
Wir wunden Kinder (3)
Denkmalsdeutsch
Mann oder Frau?
Deutschlandplan (A)
Wahllos in Mainhattan
Heldengedenktag
Wir Weihnachtsmänner
Das wahre Leben
Addio Africa!?
Unter Schneemenschen
Osterbotschaft
Fass ohne Hoden
Roter Westen
Masse Mensch I
Masse Mensch II
Von alter Leidkultur
Friede sei mit uns
Patria o Muerte (1)

Patria o Muerte ! (2)
Brennender Sand


Abendlanddämmerung
Gedichte mit Röntgenbildern des Autors
 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik

Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste