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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik


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Die menschliche Komödie als work
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Ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

 
 

Volk ohne Traum


Ein Statement
von Uve Schmidt

Orakelhausse

Nachdem ich mir die Europameisterschaften jenseits der Oder vorm Fernseher reingezogen hatte, gestand ich mir, enttäuscht zu sein, weil außer einem Zahlenwerk in der Weltfußballchronik nichts wirklich weltbewegendes entstanden war in jenen Wochen, wiewohl die männlichen Sibyllen unter unseren Außenpolitikexperten alles für möglich hielten: Eine Befreiung Julia Timoschenkos aus dem Klinikknast und eine darauf folgende Volkserhebung in der Ukraine, nach der Niederlage Englands die Rückgabe der Falklandinseln an Argentinien, um ein Friedenszeichen für die Olympiade zu setzen, die Aussöhnung Polens und Russlands nach einem Blutbad nationalistischer Hooligans, ein Ruck durch Griechenland und dessen generöse Entschuldung nach Erringung des Meistertitels, die Errichtung eines Freibezirks mit eigenem Postamt in Danzig als offizieller Europahafen (die symbolische Aufnahme Breslaus in den Deutschen Städtetag zerschlug sich allerdings), und die Übernahme Mallorcas als 17. Bundesland nach Spaniens Niederlage gegen unsere Elf und der Aufdeckung eines riesigen Bestechungsskandals zwischen der UEFA und einem italo-iberisch-kroatischen Syndikat unter Beteiligung der Vatikanbank.

Ich schrieb dies am Tage nach „unserem Sieg über Griechenland“. Zuvor schon hatte die FAZ auf ihrer ersten Seite unseren Erfolg gegen die Niederlande mit „Deutschland besiegt Holland“ übertitelt, klein natürlich, weil letzte Meldung, aber neben der politischen Headline ganz oben und provokant genug, denn die FAZ scheint ja nun vollends von den Donaldisten übernommen worden zu sein. Fakt ist, dass jeder zweite oder dritte ehrliche Zuschauer einräumt, von Sportübertragungen auch unliebsame Überraschungen zu erwarten, dann zumal, wenn seine Favoriten dadurch begünstigt werden, erkennbar ohne eignes Zutun, es sei denn, er oder sie müsste sich regelgerecht der eigenen Haut erwehren. Und natürlich wissen auch die TV-Verantwortlichen, was Zuseher anlockt und uneingestanden bei der Stange bzw. Glotze hält, nämlich primär Sensationsgier, um nicht vom atavistischen Blutdurst zu reden und denselben zu bedienen. Dabei macht es fast keinen Unterschied, ob man in der Seifenoper auf einen fatalen Ehebruch lauert oder bei einem Leichtathletikwettkampf auf den Speer, der versehentlich einen Punktrichter durchbohrt. Tatsächlich hat es in der Pionierzeit des Bildjournalismus skrupellose Reporter gegeben, die aktiven Einfluss darauf nahmen, Verkehrsunfälle, Massenschlägereien und Schadenfeuer exklusiv vor die Kamera zu bekommen. Die unselige Zusammenarbeit von Politik und Presse in den USA ist so berüchtigt wie bewiesen; was die Boulevardpresse sich hier und heute leistet, nimmt man hin, bis die Staatsinteressen evident verletzt werden. Das kann dann teuer werden, doch niemals existenzbedrohend, solange unsere Gesellschaftsordnung der Pressefreiheit mehr Wert („höheres Gut“) zumisst als den Menschheitsidealen an sich, zuförderst Wahrheit und Gerechtigkeit, die großen Pergamentrollen des internationalen Staatstheaters. Auf dieser gänzlich urheberrechtsfreien Weltbühne spielen vor allem Geheimagenten, Maulwürfe und Ausspähungsspezialisten eine Rolle, obwohl man nach Ende des Kalten Krieges annehmen konnte, dass diese Herren nun mehrheitlich in Rente gingen, doch das Gegenteil ist eingetreten: Von Max Mustermanns Konto-Card bis zur Briefschatulle des Papstes ist keine halbwegs relevante Privatsache mehr sicher vor unbefugten Zugriffen, und solange dergleichen technisch und moralisch möglich ist, erscheint es mir wie hochpolierter Hohn, von Geheimnisträgern in Politik und Wirtschaft größtmögliche Transparenz einzufordern. Und wer, bitte sehr, will/muss/darf das alles wissen?! Herr Jörges vom stern, Herr Schneider von den Wohlfahrtsverbänden, Frau Romanescou-Hanussen von der Wahrsagergewerkschaft?

Es kann nicht der sogenannte gesellschaftliche Auftrag sogenannter unabhängiger Medien sein, bei Funkstille der Fürstenhäuser frivole Falschmeldungen zu fabrizieren und auf der Ebene der Politik journalistisch Feuer zu legen, wenn aus den Ministerien und Rathäusern kein Rauch aufsteigt, zumal die regierenden Entscheider eh die meiste heiße Luft erzeugen. Man hätte genug damit zu tun, die deutschen Tageszeitungen und Periodika vor der herausgeberischen Verwahrlosung zu bewahren; kein Kreisblättle müsste langweilig oder rechtslastig sein, weil es buchstäblich berichtet, einfältige oder knitzige Fragen stellt und mehrheitsfähige Ansichten diskutiert. Und natürlich könnte unsere Presse unserer Obrigkeit sehr viel Arbeit abnehmen, bzw. ersparen, wenn sie sich nicht nur auf Personalien, Bausünden und Lebensmittelskandale einschösse, sondern präventiv tätig würde im ganz großen Stil, d.h. über die Forderung nach bewachten Fahrradabstellplätzen hinaus nationale Notfallplanung betriebe, bevor Fahrräder obsolet werden als Fluchtfahrzeuge für mehrköpfige Familien, für Alte, Behinderte, Unsportliche und unhandliche Haustiere. Es nutzt uns fast gar nichts, wenn die journalistischen Marktführer weiterhin Sexualkundeunterricht erteilen, neue Nährwertmaßstäbe einführen und/oder uns aufs Eismeer locken zum Abonnentenbonus. Deutschland braucht keine neuen Einrichtungsvorschläge, Späße und Spiele, sondern Selbsterhaltungsprogramme. Deutsche Hausmänner über 70 interessieren sich nur noch beim Weihnachtspunsch für Fragen der „Ethikette“, sie wollen wissen, wie es um unser Waffenrecht bestellt ist, wenn nach den Bankfilialen auch die Kleinsparer gewaltsam bedrängt werden, und unsere Kleinrentnerinnen wollen wissen, ob sie beim Einsammeln herrenloser festkochender Kartoffeln als Plünderinnen erschossen werden könnten, weil dichtebei die Ladenzeile brennt und alles rennt und rennt und Hochpreisartikel rettet. Wie stellt ein altes Ehepaar verirrte Nomaden ruhig, die im finsteren Schlafzimmer nach dem Notgroschen suchen? Was, wenn die Notärzte sich eines gereizten Blinddarms nur mehr gegen Vorkasse annehmen, meine liebste Telenovela der werktäglichen Stromsperre wegen geopfert wird, unser Auto nur noch als Müllcontainer taugt, weil das schier unbezahlbare Benzin und die überforderte Stadtreinigung seine eigentliche Funktion konterkarieren? Es wird keinen  Schwarzen Freitag geben, den hatten wir schon; es wird ein Blauer Montag sein, an dem wir aus den Radios und Fernsehern erfahren werden, wie wir uns zu verhalten haben, indem wir „Ruhe bewahren“; unsere Erbsen zu zählen und den Weinkeller zu tarnen etc. fiel uns klüglich schon früher ein. Für die Flucht ins Privatparadies reicht es nicht mal gedanklich, für den Untergang Ozeaniens braucht es keine Weltwirtschaftskrise, für das Überleben der Sorglosen und Verantwortungslosen sorgen die Weltreligionen und die Unterhaltungsindustrie. Und natürlich unsere frei und unabhängige demokratische Presse mit coolen Totschlagzeilen und den tollen Küchentipp, z.B. wie man aus gemahlenen Steinobstkernen prima Mandelölersatz gewinnt für den Löwenzahnsalat. Viel Spaß dabei!
   

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