Geschrieben am 1. Juni 2021 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2021

„Mister Dynamit: Verrat am Nil“ wiedergelesen von Alf Mayer

Hat wenig mit Merle Kröger zu tun: „Verrat am Nil“ aus dem Jahr 1967

Merle Krögers „Die Experten“ – nicht dass ihre Schreibweise irgendetwas damit zu tun hätte – rief mir einen frühen Mister-Dynamit-Roman in Erinnerung, den ich jetzt wiedergelesen habe. „Verrat am Nil“ erschien im Frühjahr 1967 als sechstes Abenteuer des BND-Agenten Bob Urban. Es war eine sehr seltsame Wiederbegegnung und ich muss Sie erst auf die Folter spannen, ehe es an Ergebnisse geht. Schließlich sind wir hier im Thriller-Bereich. Siehe auch mein (Achtung) umfangreiches Mister Dynamit-Porträt „Schweres Wasser – Leichte Mädchen … Eine etwas andere Kulturgeschichte der Bundesrepublik“ vom Januar 2018. Die vermutlich größte Agentenserie der Welt, 305 Romane zwischen 1966 und 1992, alle von einem einzigen Autor, hat ihre Eigenheiten.

Dies ist die Geschichte einer total mißlungenen Geheimoperation der Vereinigten Staaten, die mit einem goldenen Geschenk begann und mit einem Fiasko im Orient endete.
Der schönste Luxuswagen, der je die Automobilstadt Detroit verließ, wurde eigens für eine verführerische Frau angefertigt. – Wer macht solche Geschenke ohne Hintergedanken? Nicht die USA! – Der Cadillac sollte ein Problem entschlüsseln, das Arabien zum Feind des Westens machte.
Aber der Schlüssel verschwand heimlich in der Nacht, und zur gleichen Stunde starben ihnen die besten Männer weg. MISTER DYNAMIT, der deutsche Top-Agent des BND, seit dem Fall Montechristo totgeglaubt, tritt aus der Versenkung und rollt die levantinische Küste auf. Von Kairo bis Beirut brennt er ihr seinen unverwechselbaren Stempel ein.
Die Schneehänge am Libanon, Luxushotels am Meer, die kahlen Hochebenen Anatoliens sind die Schauplätze dieses erregenden Berichts von MISTER DYNAMIT und dem
Verrat am Nil
Demnächst bei Ihrem Zeitschriftenhändler 
als Pabel-Taschenbuch KRIMI EXTRA Nr. 298

Diese seitengroße Ankündigung – oh, wie lernte ich diese Vorschauen lieben, eine ganz eigene Art der Poesie – fand sich im November 1966 am Ende des umfangreichsten je erschienenen Mister-Dynamit-Romans, „Captain Montechristo“, in dem Bob Urban einem deutschen U-Boot-Kapitän des Zweiten Weltkriegs nachspürt, der nie kapituliert hat und wie der fliegende Holländer unter den Weltmeeren geistert – eigentlich eine schöne Metapher für die Wiederkehr des Verdrängten und all den Schaden, den deutsche Geheimwaffen auch nach Kriegsende noch in aller Welt anrichten könnten. (Dieser Topos wird quer durch die 305 Mister-Dynamit-Romane immer wieder variiert.)

Erst einmal aber zum totgeglaubten Mister Dynamit, einer vom Kommissar-X-Miterfinder C.H. Guenter (eigentlich Karlheinz Günther aus Nürnberg) für den Pabel-Verlag aus deutschem Holz geschnitzten Agentenfigur, mit der James Bond und allerlei amerikanischen und britischen Agentenfiguren wie etwa Donald Hamiltons Matt Helm oder Adam Halls stoischem Agenten Quiller („Sinnesabenteuer“, ein CrimeMag-Porträt von Alf Mayer hier) Konkurrenz gemacht werden sollte. Vier Fälle hatte Bob Urban bereits gelöst: 
„Morgen küsst euch der Tod“
„Code 18 jagt Grauauge!
„Dreitausend Särge“
„Die grausamen Tage“

Da ließ sein Autor ihn am Ende von „Captain Montechristo“ unangeschnallt bei Tempo 180 auf der Insel Okinawa aus einem Thunderbird-Cabrio schleudern. „Wie eine Mörsergranate bohrte sich sein Körper neben der Straße ins Erdreich.“ 

Nach 19 Romanen der offiziell 1. Band der Mister Dynamit-Reihe

Was immer der Grund dafür war, eine neu entwickelte Serienfigur nach nur fünf Auftritten sterben zu lassen  – ich vermute: Forderungen nach höherem Honorar, nach einem Autorenfoto auf dem Umschlag, nach mehr Unabhängigkeit und eine eigene Reihe, die Mister Dynamit ab Roman Nummer 20 auch bekam, schon der nächste Band „In Moskau ist es aus mit dir“, der allerdings lange Monate auf sich warten ließ und erst Ende 1967 erschien, 23 andere Krimi-Titel dazwischen, wurde als „Krimi der Sonderklasse in der Reihe KRIMI EXTRA“ angekündigt und C.H. Guenter bekam sein Bild auf der Coverrückseite –, es war effektiv. Für Leser freilich damals ein Schock. So oft kommt der Tod eines Serienhelden nicht vor. (Immer noch entsinne ich mich des Endes, das G.M. Ford seinem harten Reporter Frank Corso 2008 beim sechsten Ausritt bescherte: mit einem Sprengstoffgürtel um den Hals zu einem Banküberfall gezwungen… und dann nie wieder von ihm gehört: „Blown Away“/ „Die Spur des Blutes“ …)

In „Verrat am Nil“, laut Umschlagseite geschrieben von dem „Autor, dessen Romane 10 Millionen Gesamtauflage erreichen“ (wow!, damals sicher eine noch nicht erreichte Zahl), steigt Mister Dynamit auf Seite 1 nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Fall „Captain Montechristo“ auf der Insel Okinawa immer noch „müde wie ein Jagdhund“ beim CIA-Kollegen Mike Mattner ins offene Thunderbird Cabrio. In Hawaii wartet Cordula auf ihn. Mike fährt wie ein Todesfahrer, Bob beschwert sich pro forma, kippt seinen Beifahrersitz ab und schläft bei hundertachtzig ein. Ohne jede Bremsspur rast der Wagen in einer Highwaykurve auf einen Sattelschlepper. Zitat: 

Mike war auf der Stelle tot.
Der schlummernde Bob Urban, wie immer nicht angeschnallt, wurde hinausgeschleudert. Wie eine Mörsergranate bohrte sich sein Körper neben der Straße ins Erdreich.
Von da an hat niemand mehr Bob Urban gesehen. Aber Tausende von Menschen waren monatelang von dem Gerücht fasziniert, Mister Dynamit sei gar nicht tot. Sie glaubten, er sei bei dem Unfall so grässlich zugerichtet worden, dass man ihn in einer Privatklinik versteckte. Das Gerücht bekam Nahrung, weil die Kamera des Bildreporters, der Bobs blutüberströmten Körper fotografiert hatte, amtlich beschlagnahmt worden war.
So geschehen am 25 August 1965, um 08 Uhr 45 asiatischer Zeit bei Meile elf der Inselautobahn von Okinawa im Ostchinesischen Meer.

Soweit der Prolog. In einem CIA-Labor in Genf wird das wenige Seiten später noch einmal variiert. Dabei erfahren wir, dass der eigentlich Totgeglaubte ein Gesicht wie Clark Gable in seiner Jugendzeit hat, unverschämt gut aussieht – und wie Hase und Igel schon bevor die neue große Agentenhatz losgeht, mit der Schönsten der Bösen zusammen abgelichtet worden war: „Mister Dynamit, Deckbezeichnung: Code 18. Name: Bob Urban. Staragent beim deutschen Bundesnachrichtendienst.“

Kapitel 1 folgt einer blonden Schönheit durch das Spielcasino von Campione am Ufer des Luganer Sees. (Es ist die vom Clark-Gable-Foto.)

„Diavolo, wer ist dieser Sternenstaub?“
„Kein Sternenstaub, Commendatore, auch kein Starlet, sondern ein Stern erster Klasse.“
„Machen Sie es nicht spannend. Jeder hat einen Namen und kommt von irgendwoher.“
„Stockholm, eine Oeklund.“
„Ah, Oeklund-Stahl!“
„Nein, die Sprengstofflinie der Oeklunds. Sprengstoffmillionärin.“
„Mamma mia“, schnaubte der Mailänder und feuchtete die Lippen. „Ist das eine Geschenkpackung von einer Frau. Verheiratet?“
„Witwe, wie man hört.“
„Mamma mia, so jung und schon ein brachliegender Acker.“
„Kaum! So was liegt nie brach, Commendatore.“ 

„Frauen von Klasse spinnen immer …“

City Pulver, welch ein Name (übertroffen später nur noch von einem Killer namens Livio Amalfi), 1,86 lang und Amerikaner, wartet in Genf auf Inke Oeklund. Die ist zickig, trifft sie sich doch in Campione immer mit einem anderen. Hält Pulver trocken. Hat eine Forderung an ihn: „Stell mir bis morgen früh sieben Uhr vor die Haustür ein Autochen – sagen wir, einen Cadillac. Cabrio Modell de Ville Convertible, in goldenem Fischlack, mit Ozelotposlterung, Stereoanlage, Fernsehen, Sprechfunk, Air Condition, Bar, Sitzwärmung, und alles automatisch. – Wenn du es schaffst, City, heiraten wir auf der Stelle.“ 

City kann noch Montag früh heraushandeln, dann entschwebt die Diva. Pulver eilt ins Genfer Büro der CIA, in der Rue Voltaire (sic). „Frauen von ihrer Klasse spinnen immer, das müsstest du wissen“, sagt er seinem Chef. Aber viel Wahl bleibt ihnen nicht. 

„Inke Oeklund, dieser Goldfisch mit Brillanten, hat Liebesbeziehungen zu dem im Augenblick meistgesuchten Mann Europas. …Dieser Mann, der hinter der Oeklund steht, ist im Moment die größte Gefahr für unsere Beziehungen zum Mittleren Osten und zu den arabischen Ländern. Er scheint ein Ding drehen zu wollen, dass uns Hören und Sehen vergeht. Wenn ihm der Coup gelingt, brauchen unsere Diplomaten zehn Jahre, um das Schiff wieder flottzumachen. Wenn wir Pech haben, gibt es sogar Krieg.“ 

Generalstabsmäßig über etliche Seiten beschrieben wird dann „der seltsamste Sonderauftrag, den General Motors in Detroit/ Michigan je zu erledigen hatte“. Zusammen mit der US Army wird das Unmögliche geschafft. Am Montagmorgen steht die Karosse vor Inkens Tür (und erinnert nicht von ungefähr an das Gefährt von Gert Fröbe im Bond-Film „Goldfinger“ von 1964, also wenig vor Entstehen dieses Romans). Schon gleich aber ist Inke samt Cad, wie das Gefährt zwischendurch vom Autor liebevoll genannt wird, spurlos verschwunden, City Pulver kann sich die Rosen sparen. Kurz darauf  wird er samt Boss vom Himmel gesprengt. Fortan geistert der so aufwendig beschriebene Cad nur noch wie ein McGuffin durch das Buch, taucht erst in der Schlussphase wieder auf – im Hochland von Anatolien. Mit einer Tonne Papiergeld bepackt.

Währenddessen dreht, wir öffnen Kapitel 2, „der Mann, der allgemein als tot galt, auf dem Nürburgring seine Runden“. Er fährt einen Ferrari Prototyp 356 P2, schafft schon die zweite Runde unter neun Minuten, fährt einen Durchschnitt von 154 kmh, „eine fantastische Zeit“. (Damals war das irre schnell.) „Roberto“ strahlen die italienischen Mechaniker, „du bist gekauft.“ Der streift die Handschuhe ab und bindet den Sturzhelm los. „Bei siebentausend Touren läuft er nicht sehr sauber. Schaut mal den vierten Vergaser nach.“ Zum Dank darf er zudem den superneuen, superflachen „Dino“ probefahren, lacht zu den Rennfahrerbräuten hinüber und klettert in die Flunder. Acht Minuten später passiert er mit dem Monoposto die Zielgerade, geht noch einmal in eine Runde, überholt einen Porsche GT, sinniert über Okinawa, wo er zum letzten Mal so schnell unterwegs war, da schmiert der Wagen plötzlich ab, „steigt hoch wie ein Pferd“. Bob Urban aber reagiert richtig, „springt mit aller Kraft“ auf die Bremse. Wagen und Fahrer bekommen nicht einen einzigen Kratzer ab. Gutgegangen. Aber Urban hat zu viel zu denken, um beim Aussteigen auf die Rennfahrerbräute zu achten. „Als er an ihnen vorbeiging, muskulös und braungebrannt, entfuhr den Damen ein gepresstes Stöhnen, und die Herren kamen sich arm vor.“ (Seite 23). Auf Seite 80 wird genau diese Formulierung wiederholt, wodurch wir wissen, dass ein gewisser Rusty, der neue große Gauner im Libanon, in Wirklichkeit Bob Urban auf Geheimmission ist.

Das Gehäuse des Lenkgetriebes ist geplatzt. Einwandfrei Sprengstoff. Urban ruft beim BND in Bonn an, die schicken per Hubschrauber einen Experten. Einen ähnlichen Fall hatten sie nämlich schon einmal – auf Okinawa –, aber da brannte der Wagen aus. Hier gibt es vielleicht Spuren. Tja, und ein Monteur ist verschwunden. Ugo Ceroni. Ein Italiener, jahrelang als Automechaniker im Libanon. Urban sieht ein Foto und weiß, der ist ihm schon einmal begegnet: Im Flugzeug von Stockholm nach München, als er die Oeklund beschattete, die dann an der Frankfurter Flughafen-Bar Geld aus einem Bankraub in Stockholm in Umlauf brachte. 

Hach, ihr Thrillerfäden, wie werdet ihr doch leicht und schnell geschürzt, wenn man ein Profi wie C.H. Guenter ist.

Überall kennt er sich aus, bringt lässig unter, dass Oberst Sebastian am Galgenberg in Wiesbaden alte Bekannte hat (im Klartext: bei BND und BKA arbeiten jede Menge alter Wehrmachtsoffiziere). Zu Sebastian geht es in München-Pullach „per Lift, den grüngetünchten Korridor entlang über den gelben Gummiläufer und hinter der elften Tür nach rechts, den roten Sisalteppich entlang und die siebente Tür ganz hinten. Das war der Raum 483, das Sekretariat, durch das man die Einsatzleitung erreichte.“

Kleines Chauvi- Intermezzo

Wir sind in den Sechzigern, mitten drin. Chauvi-Sprüche sind en vogue, selbst Bobs Einsatzchef, der alte Oberst Sebastian, so etwas wie ein deutscher „M“, hat welche drauf: „Apropos – ich kannte mal ’ne Dame aus Schweden, die schwärmte für Flöten und Trompeten.“

„Wer sich mit Nitrogylzerin auskennt, kennt sich auch mit anderen Sachen aus. Seien Sie auf der Hut“, warnt der per Hubschrauber eingeflogene BND-Chemiker, der aussieht wie ein Modell für Gartenzwerge.
„Danke, mein Anzug ist versichert“, entgegnet Bob Urban. 
Ob er seine Frau von ihm grüßen dürfe. Sie möge ihn so gern, sagt der Chemiker.
„Und empfehlen Sie mich auch Ihrer Tochter, Doktor.“
„Die ist erst sieben Monate alt.“
„Macht nichts, man muss auch an später denken“, sagte Bob.
Der Doktor macht ein besorgtes Gesicht, als wolle er sagen, mein lieber Nummer achtzehn, mach nur so weiter, dann gibt es für dich kein Morgen, geschweige denn ein Später. (S. 26)

City Pulver zu seiner Angebeteten: „Ich fühle mich nur wie die Römer kurz vor dem Raub der Sabinerinnen…“ (S. 32)

„Übersättigte Frauenzimmer wie die haben manchmal verrückte Hobbys“, meint sein CIA-Stationsleiter. 

Frauen als Lockvögel sind ganz selbstverständlich, zwischendurch ziehen sie „den Nylonstrumpf glatt bis zum Straps“. Oder es ist ein „Minikleid mit Spitzenhöschen“.

„Methode eins im Orient: blonder Happen für schwarze Augen. Damit schaffst du so ziemlich alles hier, Baby.“  – Ihre Lider klappten herunter und gaben nur noch eine Art Visierschlitz frei. (S. 80) 

„Welche Uniform befiehlt der Meister?“ – „Ohne Bikini ist da kaum zu landen“, befiehlt Rusty /Bob Urban ohne zögern. 

„Mein Gott, dieses Vieh! Wie werde ich das ertragen.“ – „Denk an unsere Aufgabe.“ Nochmal Bob Urban (S. 101)

„Am besten gleich bis nach Portugal“, meint BND-Kontaktmann Ben. „Denn in Portugal sind am Monatsende die Nutten am billigsten.“ (S. 160)

Der Plot verdichtet sich

Ein Hunderter aus einem Bankraub in Stockholm – die Dame aus Schweden – der neue große Fall im Orient – ein Mechaniker aus dem Libanon – ein Sprengmittel im Ferrari, sinniert Urbans Boss Oberst Sebastian (bei dem dieses Mal noch nicht darauf herumgeritten wird, dass er ein Offizier a.D. aus Hitlers Wehrmacht ist, nolens volens, beste Fachkraft-Tradition). Tja, und Mike Mattner, der CIA-Kampfgenosse aus dem Montechristo-Fall, war ebenfalls mal im Libanon, speziell Beirut eingesetzt. „Der Unfall auf der Inselautobahn also gar nicht mehr das bombastische Finale der Montechristo-Geschichte, sondern ein Attentat der Libanongruppe?“ – Und jetzt auf dem Nürburgring wieder deren Klaue? 

Oberst Sebastian setzt Urban auf die Spur: „Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Bundesrepublik Deutschland haben im vergangenen Jahr gemeinsam beschlossen, die Finanzen eines Landes im Mittleren Osten zu stützen. Am diesem Programm sind die USA und die BRD je zur Hälfte mit fünfzig Millionen D-Mark beteiligt. Bei uns läuft die Aktion über das Entwicklungshilfeprogramm.“
„Feiner Zug von uns“, sagte Bob. „Die Entwicklungshilfe kostet jeden Bundesbürger pro Tag immerhin sieben Pfennige.“ Er steckte eine Lord an und lauschte.
„Aus finanztechnischen Gründen, die mit der Weltbank abgesprochen wurden“, fuhr der Oberst fort, „sollte die Geldspritze diesem Land bar zur Verfügung gestellt werden. Ein Flugzeug, eine zweimotorige Convair, wurde in Frankfurt beladen. Mit einer Tonne Papiergeld… eine Maschine der Bundesluftwaffe, gesteuert von einem deutschen und einem amerikanischen Piloten… landete in Athen zwischen, wurde neu betankt, setzte dann zum Sprung über das Mittelmeer an und ging verloren … Sie geriet über Afrika in einen Sandsturm … zum Glück konnte die Maschine in der Wüste notlanden … auf ägyptischem Territorium, heißt es … Sie landete in der Libyschen Wüste, hundert Kilometer südlich der Kattarasenke. Die Piloten verdursteten, ehe Patrouillen den Vogel fanden. Aber den Ägyptern gelang es, die Convair nach Kairo zu überführen. Die zehn Geldkisten waren als Diplomatengepäck deklariert und verplombt. Deshalb rührten die Ägypter sie nicht an. Natürlich sickerte die Wahrheit über den Inhalt durch. Nun steht die Maschine auf einem Militärflugplatz bei Kairo, schwer bewacht und für uns so gut wie unerreichbar.“
„Leider unterhalten wir keine diplomatischen Beziehungen mehr zu Ägypten“, sagte Bob. „Und Nasser wird behaupten, das Geld sei für Waffenkäufe bestimmt gewesen. Für Waffen, die sich eines Tages gegen die Arabische Union richten.“
„Das wird er nicht behaupten, er tut es bereits.“ — 

Eigentlich müsste hier der Name Israel fallen, tut es aber nicht. Wie überhaupt das Buch sehr unpolitisch bleibt. Kein Vorschatten des Sechs-Tage-Krieges vom Juni 1967, keine Merle Kröger weit und breit.

Unser Ruf ist nun mal nicht der beste

„Die Amerikaner hängen doch auch mit drin“, meint Bob. „Können die nicht ein bisschen sanften Druck…“
Der Oberst winkt ab. „Die halten sich ‚raus. Es gibt da irgendwelche geheimen Absprachen. Also auf legalem Weg ist an das Geld im Moment nicht ‚ranzukommen. Vielleicht konfiszieren es die Ägypter eines Tages. Ihre Zahlungsbilanz ist seit Jahren passiv. Vielleicht rechnen sie es gegen dubiose Forderungen auf. Das wissen wir nicht. Aber eines wissen wir: Noch nie eine Flugzeuglandung so viele internationale Gangsterbanden zum Nachdenken gereizt.“

Dann wird sie ausgesprochen, die Angst, die sich bis in die 1980er Jahre durch die Mister-Dynamit-Romane zieht:

„Wenn eine erstklassige Gang einen Überfall plant und sich dabei als deutsche Kommandogruppe tarnt, dann entsteht daraus eine internationale Verwicklung, die zu ernsthaften Auseinandersetzungen führen muss. Wir können tun, was wir wollen, unser Ruf ist nun mal nicht der beste. Wenn etwas in dieser Richtung passiert, sind die letzten Arabs unsere Freunde gewesen. Und unsere Sympathien bei ihnen sind ein für allemal dahin.“ – sinniert Sebastian

„Die Deutschen hatten damals Projekte in der Entwicklung, die heute noch Spitzentechnologie sind. Ich denke da beispielsweise an ihre Borsig-Luft-Luft-Raketen, an gewisse Medikamente, Antibiotikas, an Kunststoffe wie Perlon, die ganze Wasserstoffantriebstechnik, Kohleverflüssigung und Anti-Radar-Maßnahmen“, sagt ein Russe noch 1987 in „Der Adler fliegt allein“ zu Urban über deutsche Containerfracht vom Meeresgrund. Es geht um Chemiker bei der IG-Farben… um radarabweisende Farbe, um den Lutzdorf-Anstrich … der per U-Boot nach Japan sollte, denn dort baute man ganze Geschwader von U-Booten, um sie gegen die übermächtig werdende amerikanische Pazifikflotte einzusetzen. Allen Bemühungen der modernen Chemie zum Trotz gelang es bis heute nicht, einen Tarnanstrich zu entwickeln, der auch nur ansatzweise so wirksam ist wie der Lutzdorfsche… behauptet der Plot.

„Die riechen jeden deutschen Agenten schon im Anflug“

Doch zurück zum Fall vom Nil. „Das nenne ich paradox in Reinkultur“, sagt Bob. „Wir müssen verhindern, dass eine internationale Bande hundert Millionen Mark abholt, die zwar uns gehören, die uns aber von gewissen Leuten vorenthalten werden. Ja, das ist paradox.“
„Sie haben es genau erfasst, Bon“, bestätigt Sebastian. „Nach unseren Informationen kommen für den Coup nur die Gruppe Morti und der Mann hinter Inke Oeklund in Frage. Morti beherrscht die Unterwelt an der Levante…“ Morti ist aus Beirut verschwunden, die Oeklund samt Cadillac abgetaucht. Das bedeutet, die Ratten nähern sich der Speckseite. Das ist alles auf lange Sicht vorbereitet. Siehe den Anschlag auf Mike Mattner in Okinawa und auf Urban am Nürburgring, kombinieren die Spione.

„Kairo… aber da können wir nicht hin. Nachforschungen sind in Ägypten unmöglich. Die riechen jeden deutschen Agenten schon im Anflug“, gibt Bob zu bedenken.
„Eine Verhärtung der Spannungen mit Kairo möchte der Kanzler auf jeden Fall vermeiden. Bitte einen anderen Vorschlag, Bob.“
„Man muss die Spur der zwei Banden aufnehmen, ohne ägyptischen Boden zu betreten.“

„Alles richtig, Bob, bis auf ein kleines Wörtchen mit drei Buchstaben. Es darf nicht heißen: M a n muss versuchen, sondern i c h muss versuchen.“
Bob streckte den Zeigefinger ab und richtete ihn gegen sich.
„Also er.“
„Falls III/C keinen besseren Mann hat.“
… Es folgt das obligate Gefrotzel mit dem Monokel tragenden Graf von Triefenberg, seines Zeichens Personalchef des BND und Mr. Dynamits Intimfeind. Bob rekapituliert: „Also dann, Einsatz Beirut, möglichst Morti und der Oeklund dicht unters Fell. Wie möchten Sie die beiden haben, MK oder OK – mit Knochen oder ohne Knochen?“
Triefenberg: „Sparen Sie sich Ihren Galgenhumor für den Einsatz. Kommen Sie möglichst MK zurück.“ 

Schade, dass Bob Urban nicht nach Kairo darf. „Von zehn Taxifahrern sind hier zwei von der ägyptischen Abwehr, einer vom israelischen Geheimdienst und im Hilton ist jeder vierte Angestellte vom CIA.“ Als die blonden Schwedinnen in der ägyptischen Hauptstadt an einer Polizeisperre angehalten werden, sagen sie kurzerhand: „Wir sind Musiker. Germans.“ – Das Wort „Germans“ hatte noch seine alte Zauberkraft, konstatiert der Roman.

Hier bin ich Mensch, hier darf ich Gas geben

Bob Urbans Flieger geht am nächsten Morgen um halb Neun, er hat noch ein paar Stunden, Mensch zu sein (steht da so wörtlich). Sein rotes BMW-2000-Coupé rollt aus Pullach langsam in die Stadt zurück. Jeder Auftrag hat seinen eigenen Reiz, sinniert er. Eine Kleinigkeit ist immer neu. Auch für ihn. Natürlich ist er abgebrüht und kommt viel herum. „Frühstück in München, Lunch in New York, dann in Rio rechtzeitig zum Abendessen. Was war das schon! Er war an der Copacabana ebenso zu Hause wie auf der Leopoldstraße und auf der Via Veneto in Rom. Im Lauf der Jahre hatte er die ganze Schönheit der Erde genossen, aber besonders auch die häßlichen Stellen ihrer Kehrseite erlebt. Manchmal ein hartes Stück Arbeit. Nun gut, er wurde anständig bezahlt dafür, aber ein Traumberuf war das verdammt nicht.“ Auf einem autobahnähnlichen Straßenstück gibt er „Vollgas, Pedal hinein bis zum Teppich, alle Fenster offen, Radio an, gemütliche hundertsechzig am Tacho.“

Hundertsechzig ist so etwas wie Richtgeschwindigkeit in einem Mister Dynamit-Roman. Auch Bob Urbans Fahrer, Feldwebel a.D. Bubi Spiegel, der immer flotte Sprüche drauf hat wie etwa „Wenn das klappt, schmier ich mir einen Regenwurm aufs Butterbrot“, fährt die locker, wenn er seinen Boss durch Europa kutschiert. (Damals gab es noch keine Kurzstreckenflüge, Bonn-Neapel macht man per Auto, IMMER ein BMW.) Immerhin steht da: Sie „rasten“ auf der Autobahn nach Süden.
Aber es gibt auch Landstraßen: Rekordfahrer Spiegel schafft es von Lindau nach Pullach in 3 Stunden 20. (Ginge heute schneller, damals waren es eher viereinhalb.)

Exkurs: Die Technik der Spione

Bei C.H. Guenter wird man stets zuverlässig über allerlei Motoren informiert. Sei es der Glühkopfmotor eines libanesischen Küstenkutters oder der 200-HP-Perkins-Diesel 50 von drei Schlauchbooten, mit denen auf dem Flußweg eine Tonne (zur Hälfte deutsches) Papiergeld aus der ägyptischen Staatsbank geraubt wird. Das einzige Mal, dass das Wort „Nil“ im Roman auftaucht.

Vorher blinkt das Autotelefon (wir sind im Jahr 1966, die müssen damals noch kofferraumgroß gewesen sein), das Funkfernamt verbindet mit dem BKA. An anderer Stelle: „Ich brauche jetzt eine Funksprechverbindung mit Köln.“

Selbst bei der CIA braucht es damals teils noch die persönliche Übermittlung. Ein Fahrer, seit 1947 dabei, bringt etwas aus München zur Einsatzgruppe nach Genf. „Was gibt’s Roger?“ wird der kleine, verschwitzte Mann gefragt.
„Eilnachricht von G-I. War über Funk nicht zu machen.“
Roger zieht einen Kamm aus der Brusttasche des Sommerjacketts, bricht auf der linken Seite einen dicken Zahn ab und reicht ihn dem Genfer Chef.
„Vorsicht, das Ding ist geladen. – Mikropunktfoto.“
Der Kamm wandert in den Papierkorb. Die Zacke nicht.
„Ins Labor damit!“
Dort wird der Mikorpunkt mit der Pinzette herausgefischt, aufgeblasen, ein Foto gemacht und vergrößert. Pah. (Bob „Clark Gable“ Urban und die Oeklund sind drauf.)

Die Geldkisten, die Bob Urban mitten im Beschuss irgendwann an der Levante sicherstellt, halten das aus, sie sind schließlich „die Facharbeit eines hessischen Kistenmachers“ mit Kontrakt der Bundesbank.

Erfolgsnachdruck

Du hast gelernt, dein Herz wasserdicht zu verpacken

Unterm Strich aber: Nichts mit Nil. Der schöne Buchtitel mit der Sphinx reinstes click bait. Mr. Dynamit wird vom Bundesnachrichtendienst nicht nach Ägypten sondern nach Beirut geschickt, um dort deutsche Kartoffeln aus dem Feuer zu reißen.

Als Rusty – der Echte im Gefängnis festgesetzt, durch einen Ausbruch dann bald die Geschichte komplizierend – erschleicht er sich das Vertrauen von Inke Oeklund, die zu einer als Musikerinnen getarnten weiblichen Safeknacker-Bande gehört und irgendwie mit den geraubten 100 Millionen in Verbindung steht. Echos von Elke Sommer, von Schwedinnen in St. Tropez und auf St. Pauli sowie wilden Michael-Pfleghar-Spionen-Serenaden allenthalben, schließlich agierte C.H. Guenter damals auch als Drehbuchautor – siehe Bodo V. Hechelhammer, den echten Chefhistoriker des BND, bei uns über diese Trivialfilmschätze hier und im Literaturverzeichnis.

Bob bringt Inke ins Hotel Phoenicia, lässt sich eine Flasche Pommery im Eiskübel auf das Zimmer bringen, „trinkt sie mit Genuss und raucht eine schwarze Kubazigarre dazu“, sinniert über den Fall, die schlafende Inke neben sich. „Gewiss irrte sich Inke Oeklund, wenn sie Vertrauen zu ihm hatte. Er war da, um sie auszunutzen. Sein Ziel war das Ende dieser Mordbande und das Geld, das seinem Staat gehörte. Sonst nichts.“ 

Oder:
Na schön, dachte er, als Agent kennst du dich aus von San Francisco bis Moskau und auch bei solchen Mädchen. Du hast gelernt, dein Herz wasserdicht zu verpacken. Den kleinen Guss wird es überstehen. Dienst ist Dienst.
So verdammt unangenehm war es ja auch wieder nicht mit Inke Oeklund in diesem kleinen Häuschen, in dieser lauen Nacht am Fuß des Libanon … schließlich zahlte er den geforderten Preis… Als er ihre nackten Glieder spürte, war es ihm, als rase er mit seinem roten BMW von der grellen Sonne kommend in einen dunklen Tunnel hinein. Und der Tunnel nahm kein Ende. (S. 121)

Das Buch irgendwann schon.
Murray Morti, den Bösewicht, der die Unterwelt der Levante beherrscht, erleben wir so gut wie gar nicht aus der Nähe. Am Ende, Achtung: Spoiler, wird sein Leichnam lakonisch an der Küste angespült.

„Sie sollten nicht glauben, ich sei undankbar“, sagt Bob einmal über den Libanon. „Nein, ich werde eine gute Werbung machen für euer Land. Mein Sarg soll dereinst nicht aus deutscher Eiche gefertigt werden, sondern selbstverständlich aus Holz von Libanonzedern.“

Ehrlich gesagt, gibt es bessere Mister-Dynamit-Romane. Und auf einem ganz anderen Planeten: Merle Kröger.

Alf Mayer

C.H. Guenter: Verrat am Nil. Pabel-Taschenbuch 298, Erich Pabel Verlag, Rastatt 1967. 174 Seiten, DM 2,40.

Siehe auch:
CrimeMag Januar 2018: Bodo V. Hechelhammer über miese Filme und den BND: Warum »Mister Dynamit« nicht zündete und dennoch zu einem »SchleFaz« aufstieg
ebenfalls CrimeMag Januar 2018: Bodo V. Hechelhammer: BND & Dynamit: »Der Fuchs ist im Bau und der Hase auf dem Feld« Warum 1966 der BND plötzlich Interesse an deutschem Dynamit entwickelte
CrimeMag April 2021: Bodo V. Hechelhammer auf den Spuren von … „Serenade für zwei Spione“ (1965) – Drehbuch: C.H. Guenter
Alf Mayer: Die Mister-Dynamit-Romane von C.H. Guenter – in CrimeMag Januar 2018
Mister Dynamit lesen – von Reinhard Jahn & Bodo V. Hechelhammer: Lies, bis dich der Teufel hol, CrimeMag Januar 2018
Porträt: C.H. Guenter, Autor der „Mister Dynamit“-Romane – „Wiener“ 5/87: Weltenrettung, Made in Germany. Besuch bei einem äußerst erfolgreichen Serienautor – von Helmut Ziegler.

PS. Alexander Kluge würde das gefallen: Vermutlich ist es besonders im Genre Agentenroman unvermeidbar, dass die Wirklichkeit sogar in die Poren eines solchen Phantasiegebildes wie „Verrat am Nil“ dringt. BND-Superagent Bob Urban verbringt den meisten Teil des Buches undercover, schlüpft in die Vita eines Levante-Gangsters und Lebemannes namens Rusty. Einen Mann mit diesem Spitznamen gab es in diesen Jahren tatsächlich. Es war der deutsch-israelische Agent Wolfgang Lotz (1921 in Mannheim geboren, 1993 in München gestorben), wegen seines rötlichen (rostigen) Schnurrbarts so genannt, und bekannt auch als „der Champagnerspion“. Im Februar 1968 wurde er gegen mehrere hundert ägyptische Offiziere ausgetauscht, die 1967 im Sechstagekrieg in israelische Gefangenschaft geraten waren. Er zog nach München, ins C.H. Guenter-Country, wo die beiden sich in Schumanns Bar begegnet sein mögen … Das war aber dann deutlich nach „Verrat am Nil“. Tja, und als der BND nach Kriegsende unter amerikanischer Obhut im Camp King in Oberursel entstand, lief das als „Operation Rusty“ … Und natürlich gibt es noch einen ganz anderen Mister Dynamite. Jedoch never once dazu eine Referenz in den Romanen. Nicht Bob Urbans Musik …

Tags : , , , , , ,