„bitte wenden“
schreibkraft, Ausgabe 33
Ausschreibung:
" edition schreibkraft sucht Beiträge für Heft 35, "bitte wenden"
„Wenn möglich bitte wenden.“ Viele Autofahrerinnen und Autofahrer unter uns kennen diesen Satz. Er markiert genau jenen Punkt, an dem die Interaktion zwischen humaner und künstlicher Intelligenz an eine Grenze gelangt. Nichts illustriert die Hürden dieser ganz und gar nicht friktionsfreien Interaktion besser als die stets höfliche Bestimmtheit der humanoiden Stimme, die bei jeder Wiederholung mehr Panik im menschlichen Gegenüber generiert. Der beste Freund des mobilen Menschen, das Navi, es nervt – und stellt uns vor die Entscheidung: Wollen wir ihm unhinterfragt gehorchen und tatsächlich wenden (eine Option die gar nicht so wenige Verkehrsteilnehmer wählen, um dann als Geisterfahrer daherzukommen oder mit ihren Lastwägen in Tunnelportalen stecken zu bleiben) oder schauen wir lieber doch mal aus dem Fenster und treffen unsere eigene Entscheidungen.
Wende, Wandel und Veränderung sind nicht erst seit der Obama-Kampagne von 2008 zentrale Begrifflichkeiten jedes Wahlkampfes – was verwundert, denn ihr einzig genuiner Sinn lässt darauf schließen, dass es so, wie es ist, nicht sein soll. Das Gefühl sagt: Wir stecken in einer Sackgasse. Dabei wird das, wie es ist, einmal die Zeit sein, in der wir uns noch ausgekannt, die wir noch verstanden haben: in der wir noch zuhause waren. „It’s the end of the world as we know it“ ist ein zynischer Jubelschrei jener Dystopie, die hinter jeder Ecke lauert. Ist der Ruf nach Wandel dieser Tage also ein Schrei nach der Wende Richtung retour? Gestern ist das neue Morgen. Aber Unfrieden und Unzufriedenheit liegen eben nicht nur wegen der vielen gemeinsamen Buchstaben ganz nah beieinander …
Und doch sind es womöglich nicht nur Befindlichkeiten, die den Wunsch nach Veränderung oder Restauration befeuern. Brennende Wälder, schwitzende Eisbären, schmelzende Gletscher und ein stetig steigender Meeresspiegel: Aktuell schreit der Klimawandel nach einem Wandel unseres Lebenswandels. System Change, not Climate Change! Zeit zu handeln also? Oder ist die Umkehr, wie sie in diesem Kontext gepredigt wird, nicht zuletzt ein religiöser Topos, der sich vom Mittelalter bis ins Barock als ein bestimmendes Prinzip klerikaler Einflussnahme auf die Lebensgestaltung behauptet hat? Jedes „Memento mori“, jede plakative Erinnerung an das „Rad des Schicksals“ eine Ermahnung zur Umkehr, die – no na – möglichst zeitnah erfolgen sollte. Gefordert ist damals wie heute: Entsagung.
Sowieso: Die Analogie zwischen dem Umgang mit eschatoligischen Ängsten und jenem mit der Furcht vor dem Klimawandel ist in ihrer überraschenden Stringenz mindestens faszinierend. Und das nicht nur, weil sich unsere Vorväter die Hölle als einen unangenehm heißen Ort gedacht haben. Statt Ablassbriefen zahlen wir – Staat wie Privatperson – heute für CO2-Kompensation. Werden diese Parallelen weitergedacht, könnte aus Greta Thunberg ein neuer Luther werden.
Ist jetzt also tatsächlich die Zeit für eine spektakuläre Wende? Oder ist es ohnehin schon zu spät? Wohin soll diese Wende führen? Einfach zurück? Nach links? Rechts? In eine bessere Zukunft? Wollen sie eine politische Wende, eine in der alltäglichen Lebensführung, die vielleicht auch mit Opfern einhergeht? Oder gibt es nicht doch auch Lebensbereiche, in denen wir den andauernden Rufen nach der Wende ein selbstbewusstes „Weiter so!“ entgegenhalten können, ja müssen?
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