All posts by Markus Kuhn

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Raymond Carver: Kathedrale

In den Kerkern kleinbürgerlichen Glücks Mit seinem radikalen Realismus taucht Raymond Carver auch in seinem dritten Erzählband in die Abgründe des Alltags und zeigt das Scheitern der Hoffnungen . Joe Penny ist Vater zweier Kinder, hat eine Frau, die er liebt, einen Beruf den er mag, ein Haus und ist glücklich darüber, wie die Dinge laufen. Aus irgendeinem Grund beginnt er eines Tages mehr zu trinken als sonst. Lange Zeit Bier, nur Bier, alle Sorten, bis er irgendwann auf Gin Tonic übergeht. Bald fängt er an, nach der Arbeit aufRead More
Auf schmalem Grat zwischen Abbild und Wirklichkeit Unbändige erzählerische Energie – „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ von David Foster Wallace. Sein Sportsakko hat er auf dem Rodeo Drive gekauft, seine Krawatte trägt das Wappen der Westminster Militär-Akademie, sein Sportwagen hat Ledersitze und Sechsganggetriebe. Auch der Lebenslauf lässt sich sehen: Privatschule in Alexandria, Militär-Akademie, Business-School, Jura auf der Universität von Yale, ein Job in einer Anwaltskanzlei mit einem Jahresgehalt von über 100.000 Dollar. Wie kommt dieser seitengescheitelte, wohlpafümierte, konsumsüchtige Yuppie dazu, mit einer Horde Punks loszuziehen, die Stahlkappenstiefel und abgewetzte LederklamottenRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag, Rubriken

Susanne Riedel: Die Endlichkeit des Lichts

Zwischen Psychoanalyse und Physik Hochpoetisch, wortmagisch und voller Widersprüche. Ein weltfremder Dichter auf seinem Weg zum Medienstar. Der einbeinige Alakar Macody ist ein seltsamer Kauz. Wohnt in einem Haus jenseits des Flussufers, in einer stillen Bucht, mitten in der Einöde. Ein Einzelgänger, der sich mit Pflanzen und Pilzen auskennt wie kein zweiter. Ein Naturbursche, würde man sagen, wenn er nicht mit dem Lyriker T.S. Eliot im eingebildeten Zwiegespräch stehen, sämtliche Dichter zitieren und eigene Gedichte verfassen würde. Ein verrückter Poet also? Ein durchgeknallter Philanthrop? Ja, vielleicht, aber wenn, dann einerRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Rebecca Casati: Hey Hey Hey

Lifestyle-Casanova mit System Die öde Geschichte eines jungen Mannes, der „sich einmal durchs Alphabet fickt“. Die Geschichte liest sich gut. Zumindest die, die rund um das Buch gesponnen wird. Eine junge Frau mit wohlklingendem Namen und vorteilhaftem Äußeren bekommt rund 150.000 Mark Vorschuss für ein unfertiges Manuskript, in dem es um viel Sex gehen soll. Steht die Anpassung des Buchmarktes an andere Popvermarktungsindustrien unmittelbar bevor? Ist das „die neue Vorschusspanik?“ – Ein Spiegel-Artikel macht Rebecca Casati zum Synonym für den gemachten Literaturstar – bekannt und berüchtigt, ehe überhaupt ein BuchRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Philippe Djian: Schwarze Tage, weiße Nächte

Sex und Literatur Ironischer Seitenhieb gegen die französische Literaturszene und haufenweise Sex – Djians 11. Roman Philippe Djian hat einmal gesagt: „In einer kurzen, gutgeschriebenen Sexszene kann man mehr über seine Figuren sagen als auf 40 normalen Seiten.“ Wenn das stimmt, dann müsste sein elfter Roman „Schwarze Tage, weiße Nächte“ einer der aussagekräftigsten Romane aller Zeiten sein. Denn auf seinen 421 Seiten gibt es haufenweise Sex. In den verschiedensten Konstellationen. Davon abgesehen hat der Roman (fast) alles zu bieten, was Fans von einem Djian-Roman erwarten. Einen kauzigen Helden: Francis istRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Litmag, Porträts / Interviews

Porträt: Philippe Djian

„Was zählt, ist der Stil!“ Zwischen Aufruhr und Alltagspoesie – Djians Figuren altern mit dem Autor Französische Autobahn: Paris – Nantes. Eine kleine Abfahrt kurz vor Le Mans. In der engen Kabine der Mautstelle verbringt ein junger Franzose seine Nächte. Er hat wenig zu tun, selten kommt ein Auto vorbei. Um so mehr Zeit hat er, auf seiner Schreibmaschine seinen ersten Roman runter zu tippen. Der 1949 in Paris geborene Schriftsteller Philippe Djian ist kein Intellektueller. Nach zwei Semestern Literaturwissenschaft und dem kurzen Besuch einer Journalistenschule schlug er sich jobbendRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Litmag, Porträts / Interviews

Christian Kracht im Gespräch

Christian Kracht: Der unzuverlässige Erzähler Dekadent, provozierend, rätselhaft – Ein Interview mit einem Autor, der Interviews hasst. 1995, als die Begriffe „Popliteratur“, „Generation Golf“ und „Tristesse Royale“ noch nicht durch die Medien kreisten, schrieb Christian Kracht einen Roman über einen jungen Mann, der teilnahmslos durch das sinn- und morallose Deutschland der reichen, hippen und hedonistischen Partygeneration reist. Von Sylt bis zum Bodensee, von der einen Sex- und Drogenparty zur nächsten. Trotz schlechter Kritiken wurde „Faserland“ zum Kultbuch einer Generation und Auslöser der „Popliteratur“-Welle, die von Fans als „neue Lust amRead More

Posted On Februar 20, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag, Rubriken

Frédéric Beigbeder: Ferien im Koma

Party, Party, Party „Ferien im Koma“, Frédéric Beigbeders Versuch, mit der Schilderung einer Nacht in Paris an große Vorbilder anzuknüpfen, wäre auch dann gescheitert, wenn man die Messlatte weiter unten anlegt als er selbst. Ein Sittengemälde des zu Ende gehenden Jahrtausends sollte es werden – ein zweiter „Gatsby“ oder „Ulysses“ – und ist doch nur ein zerstückelter Patchwork-Roman über die Crème de la Crème der Pariser Szene. Eine Nacht in Paris. Von sieben Uhr Abends bis sieben Uhr morgens. Klischee oder Traum? Romantisches Rendezvous oder Jet-Set-Party? Von Baudelaire bis Hemingway,Read More

Posted On Februar 16, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Amélie Nothomb: Im Namen des Lexikons

Packender Schicksalstanz Amélie Nothombs „Im Namen des Lexikons“ ist ein absurdes Spiel mit den Irrungen und Wirrungen des Lebens. Zuerst ist alles fast normal. Lucette, ein junges Mädchen, heiratet Fabien, einen jungen Mann. Beide lieben sich. Vielleicht sind sie noch etwas zu jung, doch Lucette ist mit 19 im achten Monat schwanger. So märchenhaft es beginnt, die Realität holt sie ein: Streit, Unverständnis, Entfremdung. Lucette konzentriert sich ganz auf das Kind in ihrem Bauch. Ein Ausnahmekind, davon ist sie überzeugt. „Es wird ein Tänzer oder eine Tänzerin“, verfügt sie, denRead More
Anleitung zum Unglücklichsein Foster Wallace’ virtuoser Kreuzfahrtreport ist ein Ausflug in die Abgründe der Konsumgesellschaft.  „Ich habe sacharinweiße Strände gesehen, Wasser von hellstem Azur. Ich habe erfahren, wie Sonnenmilch riecht, wenn sie auf 21.000 Pfund heißes Menschenfleisch verteilt wird. Ich bin in drei Ländern mit „Mään“ angeredet worden. Ich habe 500 amerikanischen Leistungsträgern beim Ententanz zugeschaut. Ich habe Sonnenuntergänge erlebt, die aussahen wie nach einer digitalen Bildbearbeitung. Ich habe erwachsene US-Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, erfolgreiche Geschäftsleute, die am Info-Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, obRead More

Posted On Februar 15, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Claude Simon: Die Trambahn

Mit der Straßenbahn in die verlorene Zeit Die Magie der Erinnerung – Der 88-jährige französische Nobelpreisträger folgt den Spuren seines Gedächtnisses. Ein Mann liegt im Krankenhaus und erinnert sich: an seine Kindheit zwischen den Weltkriegen im südfranzösischen Perpignan, an seine todkranke Mutter, eine verbitterte Kriegswitwe, an die grell lockenden Plakate des Lichtspielhauses, das er nicht betreten durfte und an die Straßenbahnfahrten, bei denen er es genoss, im Fahrerhaus stehen bleiben zu dürfen. Viel mehr geschieht nicht. Claude Simons „Die Trambahn“ kommt – wie seine Romane aus den 60‘ern und 70‘ernRead More

Posted On Februar 14, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Alexa Hennig von Lange: Woher ich komme

Tagebuchgeflüster Alexa Hennig von Lange kehrt der Popliteratur den Rücken und schreibt ein nachdenkliches Buch über die Erinnerung, das über weite Strecken blass bleibt. Hochsommer, Schulferien. Eine Familie verbringt den Urlaub im Ferienhaus am Wattenmeer: Vater, Mutter, 13-jährige Tochter, 6-jähriger Sohn. Mit dem Jungen an der Hand spaziert der Vater bei Ebbe übers Watt, Richtung Meer. Der Kleine ist glücklich, freut sich, winkt Mutter und Schwester zu, die ebenfalls im Watt wandern. Plötzlich füllen sich die Priele. Vater und Sohn gehen weiter, hören die warnenden Rufe nicht. „Lauf so schnellRead More

Posted On Februar 14, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Paulo Coelho: Elf Minuten

Zwischen Lust und Leidenschaft In seinem Roman Elf Minuten reflektiert der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho über Sex und Liebe und hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Maximal elf Minuten dauert der sexuelle Akt beim Besuch einer Prostituierten. Elf Minuten, für die reiche Männer im Edelbordell „Copacabana“ in Genf mehr als 350 Franken ausgeben. Elf Minuten, vor denen Manager, Geschäftsleute, Banker, die bei ihrer Arbeit mächtig und arrogant sind, die sich tagsüber mit Angestellten und Kunden herumschlagen, die mit Heuchelei und Unterdrückung umgehen können, trotzdem riesige Angst haben. 45 Minuten minus die Zeit,Read More

Posted On Februar 14, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Philippe Djian: Sirenen

Ein Mann, drei Frauen und die Welt in Flammen Philippe Djian begibt sich mit seinem zwölften Roman auf die Demonstrationsschlachtfelder der Globalisierungsgegner und zieht sich damit einen Schuh an, der ihm nicht passt. Von seinem ersten Roman Blau wie die Hölle über die atemberaubende Liebesgeschichte zwischen einem Gelegenheitsschriftsteller und einem besessen-temperamentvollen Mädchen, die ihm zum Durchbruch verhalf (Betty Blue, 37,2 Grad am Morgen), bis zum Porträt eines verwitweten Schriftstellers (Schwarze Tage, weiße Nächte) war der viel gelesene Franzose Philippe Djian alles andere als ein politischer Schriftsteller. Klar, hinter der RebellionRead More

Posted On Februar 14, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe

Weggefährten für die Dauer einer Nacht Zwischen Authentizität und Küchenphilosophie – Shooting-Star Lebert legt seinen zweiten Roman vor. Mit 16 Jahren wurde Benjamin Lebert mit Crazy zu einem der prominentesten Vertreter der jungen deutschen Literatur. Sein Debütroman über die Pubertät eines halbseitig gelähmten Jungen im Internat wurde vom Feuilleton hochgejubelt, in Deutschland 500.000 mal verkauft, in 33 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Jetzt ist er 21 Jahre alt und legt seinen zweiten Roman vor: Der Vogel ist ein Rabe. Egal ob der Inhalt lesenswert oder langweilig ist, ob die KritikerRead More

Posted On Februar 2, 2004By Markus KuhnIn Bücher, Litmag

John Griesemer: Rausch

Großes Emotions- und Katastrophenkino John Griesemers Rausch ist ein unterhaltsamer Historienroman über den Beginn des Kommunikationszeitalters, aber keine literarische Sensation. 1857. In einer Zeit, in der es weder Satellitenschüsseln noch Handys gab, in der man nicht einfach zum Hörer greifen oder eine E-Mail schreiben konnte, um einen Freund in Übersee zu erreichen, versuchte eine Hand voll mutiger, innovativer und geschäftstüchtiger Männer ein Kabel quer durch den Atlantik zu legen, von Irland nach Neufundland, von der alten in die neue Welt: Der Beginn des Zeitalters der globalen Kommunikation, die Geburtswehen derRead More