Aktion vor hundert Jahren
Am ersten November 1913 erschien folgendes Gedicht von Oskar Kanehl in der Aktion:
Nachtcafé
Peinlicher Duft beißender Parfümerien,
Rauschgetränke und Zigaretten.
An kleinen Tischen, von beweglichen Kellnern
Umflattert, heimentlaufene Provinzialen,
vollblütige Jugend und, sichtlich gewürdigt,
glatzige Greise mit Stammkelchen.
An den Wänden glucken
Wie Giftpilze bunt
Schneppen zur Wahl. Markt.
Fette und Fleischige, Schwammige, Wabblige,
sie Masttiere vom Schlachthof;
andere, hautüberzogene Knochen,
hölzern und eckig mager,
angepinselte Leichen.
Halbakte. Entblößte Rücken
Und Busen bis an die Warzen.
Offen zum Geldeinwurf.
Augen voll Lebensgeschichten,
gemeine und traurige.
Schicksalberufene, Schicksalgestoßene,
Ausgelebte.
Sie blinzeln und zwinkern
Und lächeln einstudiert.
Untereinander tuscheln sie,
obgleich sie sich hassen
wie futterneidische Tiere.
Und lecken und beißen die Lippen,
nippen mechanisch an ihrem Glas.
Kellnervertraulichkeit. –
Zweie sind sich einig und gehen.
Alle winken und schachern,
gemustert, bemessen und bemäkelt
wie Lumpen im Trödelladen.
Kaum daß man es merkt
Wechseln die Weiber.
Leise hautreizend, prickelnd,
frech und leidenschaftswild
wühlt ein Bohèmegeiger mit seiner Kapelle
Musik in die Glieder.
01.11.1913
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