Klarheit des Trübsinns
Andreas Breitenstein bespricht in der NZZ heute Szilárd Borbélys Roman «Die Mittellosen»:
„Wollte man das kleine ungarische Dorf, in dem Szilárd Borbélys zum Roman gestaltete autobiografische Kindheitserinnerungen «Die Mittellosen» spielen, als Dystopie erfinden – man müsste über eine Einbildungskraft von desperater Düsternis verfügen. Es ist eine Welt ohne Würde und ohne Erbarmen, ohne Herkunft und Zukunft, ohne Glauben, Liebe und Hoffnung. Alles, was einem Erdenbürger an Sicherheit in die Wiege gelegt wird, steht in dieser tiefen Provinz des Menschlichen zur Disposition. Armut herrscht und schlechte Laune, die gängige Sprache ist jene des Schweigens. Verloren sind die Seelen und verroht die Einwohner; über die Tiere, mit denen sie in grobschlächtiger Symbiose leben, sind sie zwar Herr, doch was sie über diese erhebt, ist vor allem der Alkohol, die Gemeinheit und die Gewalt. Es gilt das Gesetz der Hackordnung, und so sieht jeder zu, dass er einen noch Niedereren findet als sich. Was hingegen alle eint, ist der Hass jenen gegenüber, die nicht im Raster des beschädigten Lebens aufgehen. Schnell wird so einer zum «Juden» gemacht.“
Szilárd Borbély: Die Mittellosen. Ist der Messias schon weg? Aus dem Ungarischen von Heike Flemming und Lacy Kornitzer. Suhrkamp-Verlag, Berlin.
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