Fix Zone

Neuer Versensporn

Redaktion: 

Cover von Band 20 mit Gedichten von Ernst Balcke

Neuer Versensporn: Band 20 mit Ernst Balcke (1887-1912)

Geboren am 9. April 1887 in Berlin. Wächst in Berlin-Schöneberg auf. Enge Freundschaft mit Georg Heym. 1906 Mitbegründer der kurzlebigen Schülerzeitschrift Kreissende Sonnen, in der erstmals einige Gedichte von ihm unter dem Pseudonym „laureatus“ erscheinen. Ab 1907 Studium der Romanistik und Anglistik in München, Berlin, Besançon und Edinburgh. Über Georg Heym ab 1910 lose Kontakte zum 1909 u. a. von Kurt Hiller und Jakob van Hoddis gegründeten „Neuen Club“. 1911 rezensiert Balcke anonym Heyms Gedichtband Der ewige Tag für die expressionistische Zeitschrift Die Aktion. Eigene Gedichte bleiben unveröffentlicht. 1911 Staatsexamen in Berlin und Kandidat des höheren Lehramts. Am 16. Januar 1912 bricht Ernst Balcke beim Schlittschuhlaufen zwischen Lindwerder und Schwanenwerder in das Eis der Havel ein, schlägt mit dem Kopf auf, verliert das Bewusstsein und versinkt. Georg Heym, der seinem Freund zu Hilfe eilen will, bricht selbst ein und ertrinkt nach halbstündigem Todeskampf.
Das Heft bietet eine Auswahl von 45 Texten aus Balckes einziger Buchveröffentlichung, einer Sammlung seiner Gedichte, die 1914 im Berliner Verlag Reuss & Pollack erschien.
Exklusiv den Exemplaren der Abonnenten liegen zwei Zugaben bei: eine Reproduktion des in dem Band Gedichte enthaltenen Porträts von Ernst Balcke, rückseitig bedruckt mit Georg Heyms seinem Freund zugeeigneten Gedicht Die Ruhigen, sowie ein Beiheft mit allen von Balcke in der Schülerzeitschrift Kreissende Sonnen publizierten Dichtungen.

 

Die Selbstmörderin

 

Auf ihrer Brust klebt eine gelbe Kröte;
die regt sich nicht; ihr Purpurauge droht
voll Angst und Eifersucht tief durch die Röte
des schwülen Abends, der im West verloht.

Zwischen den schlanken, weißen Fingern blinken
die Kelche kaum entkeimter Wasserrosen,
grüngelbe Tange hängen in den losen,
aschblonden Haaren, die zum Grunde sinken.

Die kalten, blauen Lippen legen sich
wie Lapislazuli um ihre Zähne;
der scharfe Kiel eines der vielen Kähne
riß, rot wie Karmosin, tief einen Strich

Durch ihre Stirn. Schwer, langsam gleitet sie,
nicht Wind noch Welle sind da, die sie rühren.
Vom schlanken Halse bis herab zum Kinn
des Froschlaichs schwarze Fäden sie umschnüren.

Sie treibt zur Stadt. Gelbgraue Dünste kauern
wie fahle Hunde um des Himmels Rund.
Ein Dampfer rauscht; von ölig-schmutzigen Schauern
wird überschüttet ihr sehnsüchtiger Mund.

Zwischen verfallenen Häuserfronten windet
hindurch sich ihr einst heiß geliebter Leib.
Durchs Dunkel, horch, von höchsten Wonnen kündet
leis singend, irgend ein glückseliges Weib ––

Das Licht auf ihrer Haut erlischt. –– Den Nebel
wälzt aus den Brückenlöchern vor der Wind.
Von einem Dampferdeck bespeit ein Flegel
ihr süßes Antlitz, das im Grau zerrinnt.
 

(Dezember 1910)

 

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