Das echte Ich
Peter Praschl erzählt vom Überdruss an gut gedachten Romanen & sehnt sich in der WELT nach der Echtheit in der Literatur:
„Ganz sicher ist, dass Leser von memoirs und personal essays an etwas anderem interessiert sind als nur daran, ästhetische Erfahrungen zu machen oder nur ästhetische Urteile zu fällen – obwohl sich das auch bei Ich-Texten nicht vermeiden lässt, sie sind ja auch Texte und nach den Kriterien traktierbar, die für Texte gelten. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass mein Fiktionalitätsüberdruss ein Symptom dafür ist, dass mir das Ästhetische nicht mehr genügt, dass es mich nicht mehr rettet, vor der Welt schützt, mich gegen sie panzert.
Kann es sein, dass mir das Fiktionale plötzlich wie eine Lüge vorkommt, also etwas moralisch Verwerfliches, nicht bloß wie eine Erfindung, also etwas, an dem man moralisch nichts beanstanden kann? Ich-Texte erscheinen mir wahrhaftiger, gesättigter von Leben, es mutiger mit ihm aufnehmend – vorausgesetzt, sie nehmen Paul Valérys Maxime ernst, dass man ins eigene Ich nur dann eindringen könne, wenn man bis an die Zähne bewaffnet ist.“
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