Gestickte Gedichte
Mit AUGEN SPRECHEN TRÄNEN REDEN präsentiert das Literaturhaus Wien ab dem 11. September textspezifische Arbeiten sowie Installationen der Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Sabine Groschup.
Im Zentrum der Schau steht der Zyklus Taschentücher der Tränen.
101 Objekte finden sich unter diesem sprechenden – und eben auch vielversprechenden – Titel versammelt: über Jahre hat Groschup Taschentücher eingesammelt und bestickt; sie verknüpft dabei in einem präzisen Prozess Textilien und Texte, Literatur und bildende Kunst.
Die Tücher geben die Bildfläche ab und werden, anders als in ihrer alltäglichen Verwendung, dauerhaft in entfalteter Form präsentiert. Auf ihrer Oberfläche finden sich die gestickten Zeilen, in ihren Tiefenstrukturen sind die Tränen, körperlicher Ausdruck gefühlsmäßiger Extremzustände, zu erahnen. Anders als aktuelle, oftmals digitale, lyrische Arbeiten, die ähnliche Strategien der schnellen Lesbarkeit und leichten, mediengestützten Verteilbarkeit für sich nutzen, wendet die Künstlerin mit ihren analogen Unikaten das Moment der Zeitlichkeit zu ihrem inhaltlichen Vorteil.
Sabine Groschup versenke den Hals (aus: Augenröslein, 14.12.2013), 2016. Aus dem Zyklus 101 Taschentücher der Tränen, eigene Lyrik gestickt auf Stofftaschentücher, ca. 28 x 28,5 cm. © Bildrecht, Wien 2017
Sie verbindet die Stoffe möglicher, sich uns entziehender Erzählungen und das Stoffliche des sichtbaren Gewebes. Zur Plötzlichkeit des jeweiligen Textbilds tritt mittels der Schrift die Dauer der Stickarbeit, neben der Intensität der Gedichte wird die nicht zuletzt auch chronologische Langwierigkeit emotionaler Prozesse manifest. Sabine Groschup ruft mit ihren lyrischen Textarbeiten einen vielfältigen Motivkomplex auf, der zum Staunen, zum Weiterlesen und zum Innehalten einlädt.
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