Stimme von Kork und dunkler Blume / April/ 14/ arbatasch
Blanka Beirut lacht sich heute morgen nicht tot sondern himmelig. Das liegt nicht nur an der Frau mit dem spargelfarbenen Gesicht, die ihr Kaffee bringt auf dem ein Haufen liegt wie Badeschaum. Nein, grüner wird’s nicht in der Republik, denkt sie, keiner will Atomkraft, nur soll alles so bleiben...
Frankenberg. Haus am Hang
Osterreise vom Main an die Lahn wie in ein anderes Land. Landschaft bezeugt ihre Geschichte; katholische, hugenottische, lutherische. Hochamt in Rossdorf, einem der katholischen Dörfer, die dank cuius regio überdauern, das Mainzer Rad an vielen Mauern. Franzosenwiesen heißt das Gebiet nach den Hugenotten und Waldensern.
Die Namen der Söhne
Auf dem Marktplatz, ja, es gibt in dieser nordafrikanischen Stadt einen wirklichen Marktplatz, nicht nur einen Basar, nicht nur Plätze vor der Moschee und vor der koptischen Kirche, auf dem Marktplatz treffen sich jeden 13. Rabi`al-Thani, das ist der 8. Baramhat der Kopten und der 4. März nach dem Julianischen Kalender, die Mütter, deren Söhne im letzten Jahr ums Leben gekommen sind: auf offener Straße erschossen, in Gefängnissen zu Tode gefoltert, auf der Fahrt nach Europa im Mittelmeer ertrunken...
Frühjahrszahnputz und der Glanz der Tintenschrift / März/ 13/ tlatasch
Der Nymphensittich sich sehnt nach Frischeivokalen, heute morgen, was wieder niemand versteht. Kein Wunder, da es nicht ums Verstehen geht, sagt er und flattert nervös mit den grauen Flügeln. Ganz anders der Tag, der wie ein schöner Transvestit daher kommt und alles Dunkel und Grau...
Epidot GrünStern
Fast zweitausend Meter hoch im Gebirge liegt der höchste Ort Lü. Der Name hieß einmal Lux, Sonnenlicht bescheint die Hänge über dem Tal, und im langen Winter spiegelt es gleißend auf Eis und Schnee, ein Lichtkranz in Lü um seine siebzig Bewohner. Ein besonders lange sonnenbeschienenes Bergsegment fällt im rauhen Ländereck auf, fruchtbar...
Salatgurkengrüne Salzach gegen brennendes Buch / März/ 12/ etnarsch
In Blanka Beiruts Tasche knirschts salzig, denn sie fährt nach Salzburg um Geld zu verdienen. Im Zug mosert passend der Sitznachbar unweit vom Chiemsee, alle Vögel wären ausgestorben, nur noch Russenkrähen. Blanka und der Nymphensittich sehen sich die schwarzen Vogelkönige genau an, wie sie picken...
Katastrophen
Als Tschernobyl passierte, war ich neun. Da hätte man mir noch erzählen können, ein Geigerzähler, das ist jemand, der steht hinter der Bühne und guckt, ob die Musiker vollzählig sind. Diese Art Scherze machten einst Herricht & Preil, das größte Komikerduo der DDR. Und mein Schulfreund Thomas hatte eine Platte von denen. Und da kamen ständig solche Dinger wie:..
Alptraum Kunde Krieg, März / elf / hadarschar
Wie eine Klapperschlange zischelt ein die Bahn in die Station. Blanka Beirut will vom Schreiben leben können, aber macht es sie glücklich? Diese ganze Plackerei mit Worten? Andere wetzen Wörter und stechen sie. Wieder andere reden Rattengeschwätz, alles aus Wörtern, wo die doch gutmütige Hunde sind. Blanka geht langsam durch den Tunnel in die flirrende Morgenstraße. Ein orangener...
Weißes Geflügel ohne Kopf / März/ zehn/ aschra
Blanka hört Schüsse. Gegen die Kingkongs. Das heißt Krieg, meint der Nymphensittich, der endlich wieder nach Australien will, doch dazu müsste er Todes- und Strahlenzonen überfliegen. Die Deutschen machen da nicht mit. Weils sie nichts von Krieg halten. Kein Wunder, denn lassen leiber schießen. Von den arabischen Kingkongs. Auf ihr eigenes Volk In ganz Nahost.
GrottenOlm Julien
Schnee hängt an den Wetterseiten der grauschwarzen Buchen, Schnee matscht unter den Lederstiefeln, Hosen halb hineingesteckt, nass, wo sie über Moos schleifen, drei Pullover, drei Jacken übereinander gezogen, silberne Seidenhaare hängen über die Augen, sieht Julien de Vélange oder sieht er nicht, tief in das Tal, wo nachmittags unter sekundenkurzem Sonnenstahl-Einfall metallig matter Nebel aus dem Tal...
Ohne Titel / März / neun / tisaa‘
Mit Worten im Mund, Freiversen, gischtigen, wird Blanka Beirut wieder einmal nachts wach. Sie findet nichts zum Schreiben. Wieder wird die Hälfte verschwinden, denkt sie, verdunsten in der Schlafwüste. Die Reste wird sie, wenn sie Glück hat irgendwann aus sich rausklauben können. Doch am Morgen flattert ihr Leib zum Telefon. Im unerwünschten Gespräch ertrinken die Wortreste der Nacht kläglich...
Helau
Meine katholische Freundin erzählte mir neulich abend, daß sie nicht besonders gute Erinnerungen an Fasching habe. Schon als Kind hatte sie sehr schlechte Augen und mußte eine riesige Hornbrille tragen, die es möglich gemacht hätte, zum Fasching als Woody Allen zu gehen. Sie wollte aber nicht als Woody Allen gehen, sondern als Prinzessin. Sie stand vorm Spiegel und sagte traurig:...
Karnevalsschlacht und zerschnittenes Schweben / März / acht / tamania
So irritiert wie das Blümmschen am Fenster schaut Blanka Beirut auf den deutschen März. Von Sonne über Eiskälte und Regen ist schließlich alles dabei. Hauptsache ungewiss. Da sollen den Wörtern nicht die Haare zu Berge stehen. Die bibbern und wollen nicht aus der Handtasche rauskommen. Der Tag ist bereit..
Mooreiche Moorleiche
Regenbogenfarben, im Dämmerlicht, Schimmelschichten versunkener Wälder, Fruchtholz, Wallnussbaumholz, und >in nuce< der harte dunkele kostbare Kern, Kirschbaum, Ahorn, Ulme, weiß Ahorn, schwarz Mooreiche – da sehe ich vor mir Moorleiche, hart durch Tausendjahrwasser an Landauf dem Trocknen dürre gedorrt...
: gelbes istanbul/mehr taksis als new york und/das rostgold gebrochene licht/des şeker im çay:/die ornamente –Beyoğlu Blues – Gedichte von Gerrit Wustmann.
Julietta Fix:
Gerrit, du hast den Gedichtzyklus Beyoğlu Blues geschrieben. Wie es auch Dr. Erika Glassen, die das Vorwort zum Buch geschrieben hat, sofort aufgefallen ist, tauchst du in den Istanbuler Stadtteil in einer Form ein, die der Besucher so heute nur noch ganz vereinzelt wahrnehmen kann. Wie hast du Zugang zu dieser Atmosphäre gefunden?
Gerrit Wustmann:
Ich denke schon, dass man all das auch heute noch sehr deutlich wahrnehmen kann, wenn man denn will, auch obwohl sich rund um Beyoglu durch zahlreiche Gentrifizierungsmaßnahmen einiges im Wandel befindet. Ein Wandel, ...
Zwielautschwemme und gestohlene Wortpulke / März / sieben / sabaa
Wer verdrehte eigentlich Welt, denkt Blanka Beirut heute morgen, als der Aachener Weiher zur quadratischen Wasserflimmerkiste wird. Ja, solche Sonnentage hat der Februar, der ansonsten nicht mehr derselbe ist. Die Tauben waren es nicht, denn die haben ein Alibi; sie klecksen schon seit Stunden kleine perlmuttschimmernde...
Ein Abriß der Entwicklung der türkischen Lyrik
Wo der Beginn der türkischen Poesie(1) anzusetzen ist, ist aus räumlichen und sprachlichen Gründen gar nicht so einfach zu bestimmen. Denn es gibt eine Vielzahl von Turksprachen und von einer türkischen Besiedlung Anatoliens in großem Stil ist erst ab Ende des 11. Jahrhunderts zu sprechen. Für die türkische Volksdichtung in Anatolien ist als einer der ersten großen Dichter Yunus Emre aus dem 13./14. Jahrhundert zu nennen. Die Vertreter der Volksdichtung nahmen sich in einer volksnahen Sprache...
Sieben Starke Herzen / Februar/ sechs /sitta
...am Ende der Fahnenstange
liegt wieder Schnee im Augenweiß.
(Swantje Lichtenstein)
Am Ende eines Satzes geht Blanka Beirut spazieren und beobachtet, wie zwei dicke schwarze Vögel über die Morgenwiese hinken und sich als Amselriesen ausgeben. Dem Nymphensittich kann man aber nichts vormachen, er belächelt die Angeber aus der Handtasche heraus, vor allem, weil diese es nicht lassen können,...
Vampire in Ungarn
Nach Ungarn sind wir gefahren, ab Graz über Fürstenfeld bis zur Grenze bei Szentgotthard. Dort haben wir die unrestaurierte Barockkirche gesehen, trübes Halbdunkel, Geruch nach nasser Mauer und Staub, die Gemälde nicht frisch vergoldet - das übertrumpft alle Farben und macht sie tot - müde grau und wie alte Fresken pastellen sind die Deckenmalereien, die süßlichen Statuen und Stuckaturen herb von Staub und Alter, wir lugen unter zerschlissene Tapisserien und hinter das Gittertor zum Hauptaltar, streifen herum...
Jasmin und der Diktator / Februar/ fünf/ chamsa
Wir öffnen das Gartentor, damit der
Jasmin als schöner Tag auf die Straßen
hinausgeht. (Mahmoud Darwish)
Eine Nacht kann lang sein. Und langsam. Vor allem, wenn ein kreisrundes Watteplättchen vor magerer Mondsichel hinter einem her ist und dauernd etwas sagen will. Da bleibt nur die Suche nach dem Plural von Kosmos. Gibt es nicht, kreischt der Nymphensittich wörterbuchtreu und liest in den Sonnenstrahlen vom Tage, als wären sie Postkarten der Zugvögel.
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