weltgrüne Documenta / worlding 1
Der silberne Junihimmel kommt immer weiter herunter und drückt Blanka Beirut auf den Kopf. Und dass, obwohl sie im Zug sitzt. Mit Klimaanlage. Liegt es etwa an dem Geruch von Arrak und Toilette mit Zigarette, den der Sitznachbar freimütig verströmt? Nein, durch die gläserne Trennwand Fenster drückt die Kuppel auf Blankas Fontanellenstellen, wie die Weissagung einer Kassandra. Und siehe da: ...
Peter und Paul Fest am 29. Juni
29.06.2012 | Zwei Lindenholzfiguren, lebensgroß, hat der Tischlermeister und Kirchenschnitzer ausgearbeitet. Die Patronatsheiligen unseres Vereins Sankt Peter und Paul. Die Figuren sind vermutlich aus zu feuchtem Holz, geschnitzt, das knackend immer weiter auseinander klafft. Als sie im Hof zum Austrocknen stehen, bringt der Metzgermeister das Fleisch für das Grillfest zum Jubiläum, stellt den Bottich zwischen ...
Blankas Gedanken grasen in Geräuschgebüschen
Blanka Beiruts Gedanken grasen in der S-Bahn vor schaukelnden Geräuschgebüschen aus Pfiffen, Rauschen und crescendierenden Vokalen, die aus einer Grünanlage mit Bildschirm aufsteigen. Ja, wie Ballons oder unsichtbare florale Gespenster. So undefinierbar ist die temporäre Landessprache, kurz FÄN genannt. ...
Eine Sommergeschichte
Platanenallee rauscht im Wind, filigrane armlange Zweige am hohen Baum hinter Mauer, Schüler rasen auf winzigen Velos im Halbdunkel auf und ab, Lastwagen für Weinbedarf, Ernteschlepper voller blauer Trauben, Motorräder auf der Route Nationale durch St. Clermont l'Hérault. Wir biegen in eine Nebenstraße ein, kommen nach Meyruis im Tal, bleiben im letzten Hotel neben dem Flusslauf, später im Speisesaal sitzt ein Bauernpaar am Nebentisch, sie ...
Fußballimam, Zeltverstecke
X mal Grau + 1 mal Blau ergibt Juni. So rechnet die landlose Frau Kairo. Deutschland rechnet anders. Ein Ball ersetzt den Grausummand und schon ist schönes Wetter. Blanka Beirut weiß noch nicht. Sie summt Frau Kairo erst einmal zum Trost irgendwelche Pianissimo-Töne ins Ohr. Bravo, Blanka !...
Chronologie meiner fußballpoetischen Laufbahn - kleine Werkübersicht
Tatsache, ich bin im Besitz von 8 Fußballgedichten, wobei das Wort Besitz hier wohl eine fragwürdige Wortwahl ist, da es Gedichte betrifft. Aber auch wieder nicht so weit entfernt von Ballbesitz, und was kann sich schneller ändern. Auf jeden Fall richtig ist, daß ich die Herstellerin der 8 Gedichte bin, da kann ich mich gut erinnern, unermüdlicher Einsatz, strapaziöse Arbeitssiege! Und die Abschlüsse doch sichtbar, wenn ich sie hier herstelle, ins Netz bringe, platziere. ...
Dunkle Laublamellen oder die Rechnung der RegierungsMilchmaden
Achtung! Die Regierungsmilchmaden rechnen und deshalb gibt’s Poesie namens Kotihoidontuk. Doch kaum hat Blanka Beirut das Ganze übersetzt, wird’s „stinkende Prosa“. Kotihoidontuk ist nämlich finnisch und bedeutet Betreuungsgeld oder Vergeudungsgeld. Kindervergeudung! Die Berlinmaden schlagen damit ...
Martenstein’sche Zeitdiagnostik
In der ZEIT vom 6. Juni 2012 versucht sich Harald Martenstein in Zeitdiagnostik. Er beklagt, dass unsere Gesellschaft immer unfreier werde. Noch nie, so sein Urteil, „stand [...] eine Gesellschaft, die keine Diktatur ist, so sehr unter Kontrolle“. Mithilfe „von Gesetzen, Verordnungen und medialer Überwachung“ werde eine „moderne Diktatur“ erschaffen. Das ist starker Tobak. Das Stück ist als Polemik ausgewiesen. ...
Gedichte dienen nicht dem Selbstausdruck, sie dienen überhaupt nicht.
Juni 2012 | Der nordchinesische Dichter Wen Tingyun schreibt:
In ihrer Hand ein goldener Papagei
auf ihrem Busen ein gestickter Phönix
sie blickt ihn verstohlen an, um ihn einzuschätzen. ...
Point of no return
Ich stand vorm Glashaus und rauchte. Da fragte mich eine junge Frau, die eben herausgekommen war: Sie würde das sonst nie fragen, aber hätte ich vielleicht eine Zigarette für sie? Worauf ich fragte: Ich würde das sonst auch nie fragen, aber hätte sie morgen Abend vielleicht ein bißchen Zeit für mich, so nach zwanzig Uhr? ...
Notizen aus Istanbul, Teil IV von Gerrit Wustmann
Ich habe in Istanbul die Mülltrennung eingeführt. Nicht der Umwelt zuliebe. Seien wir ehrlich: Bei uns in Deutschland wird all das Zeug hinterher ja auch wieder zusammengeschmissen. Der einzige, für den sich’s gelohnt hat, war der Hersteller der bunten Tonnen. Hier in Istanbul kommt niemand auf solche Ideen. Alles in einen Sack (oder mehrere) und raus auf die Straße damit. Jeden Abend zwischen neun und zehn rumpelt die Müllabfuhr durch die Straße …
Springseile für Todeskalligrafie in den Arbeiten Gottes.
Der Nymphensittich und Blanka Beirut fallen in das tiefe holunderschwer duftende Loch des Schlafes. Den ganzen Tag dämmern sie herum. Zwischendurch wird ein Auge geöffnet und dem Mai hinterher geguckt. Dann wieder Erschöpfung! Liegt es daran, dass Blanka Beirut erfahren hat, dass sie im gleichen Jahr geboren ist, wie der Putsch der arabischen Kingkongs in Syrien und Irak? Oder daran, dass durch diese Menschentiere vor ein paar Tagen ...
Habibiklößchen und Bohnenrestauration
Das Weltwetter ist schön, kein Wunder, denn die Welt singt neben Foltergefängnissen. Singt die Folter weg. Behauptet die Welt jedenfalls. Und zur Feier der Tage stöckeln Damen meterhoch im neuen Hurenlook vor Riesenbildschirmen auf den Straßen Kölns und der Welt auf und ab. Die Sonne verschüttet Wärme, ja, und der gemahlene Kaffee wird wieder restauriert. Alles zur Feier der Tage. Blanka Beirut, deren Sittichsänger nach Baku aufgebrochen ist, ...
Liebes-Crimen vom Johannes Druwappel
Mai 2012 | Die Fremde ist immer weiter gegangen, hat sich verlaufen, als die Grasnarbe unter den Schuhen bibbert und Wasser hineinläuft, zieht sie sich an einer krummen Birke hoch, kehrt um, setzt die nächsten Schritte vorsichtig auf festes Weideland, sieht am Horizont Baum an Baum, läuft und läuft und kommt nicht an, der trübe Himmel hellt auf und ermuntert, der reifende Flachs links und der Raps rechts, blau und gelb, süßlich duftend und faulig stinkend, ...
Notizen aus Istanbul, Teil IV von Gerrit Wustmann
Man gewöhnt sich an alles, auch an Istanbul, und die Eingewöhnung geht hier recht schnell. Je länger man in der Stadt ist, je besser man sich in den verwinkelten, labyrinthischen Gassen zurechtfindet, je vertrauter die Gesichter werden, desto heimischer fühlt man sich. Was bleibt ist die Magie. Der Geruch dieser Stadt, ihre Geräusche, ihre Luft, ihre irrsinnigen Temperaturwechsel, die manchmal innerhalb von Minuten geschehen; ihre Hektik, ...
Sprechen wir über "Sexophismen"
Entlang der lebendigen Linie. Sexophismen. Ein lyrischer Zyklus, erschienen im Passagen Verlag, Wien 2010. Das Gespräch mit Swantje Lichtenstein führte Karin Hartmeyer, zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiterin des Verlages (2010). ...
Menetekelbläschen im Hall des Windes
Ad libitum heißt das finstere Wochenmotto der Welt. Oder zum Westwind. Die Kanzlerin kanzelt den Minister und in Blanka Beiruts Treppenhaus trümmert der Nachbar wie Steinsbrocken Befehle auf sein klagendes Kleinkind. Steh auf! Deshalb singt Blanka eine hohe große Sekunde ad libitum dagegen bis er die Tür öffnet und messerscharf lächelnd „Guten Tag“ sagt. Verweint schaut das kindliche Haustier in den Hall des einströmenden Windes ...
Berührungsforschung findet statt//Zur kollektiven Poetologie in Helm aus Phlox und TIMBER!
14.05.2012 | »Die Literatur ist ein Gefüge, sie hat nichts mit Ideologie zu tun, es gibt keine Ideologie und es hat nie eine gegeben.«, so Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Gemeinschaftswerk Tausend Plateaus von 1980. Literatur ist ein Gefüge, das Verbindungen zwischen bestimmten Mannigfaltigkeiten aus Welt, Buch und AutorIn herstellt, und sich gleichsam der Vorstellung eines einheitlichen, souveränen Subjekts entledigt; meint: Literatur als kollektives Gefüge der Äußerung, ohne Signifikanz und ohne Subjekt. ...
Wolkenmaschine 2 und Zahnfäule der Freiheit
Der eisheilige Tag fläzt sich in Funktionswäsche auf Blanka Beiruts Hirnwiese herum. Auf Tage ist eben kein Verlass mehr. Und auf die Heiligkeit auch nicht mehr. Die Nazischlammisierer nehmen in NRW das Wort Freiheit in den Mund, und dort fault es ewig falsch vor sich hin. Dazu tragen die eisheiligen Fasalisten Gott als Fingerpuppe mit sich rum und lassen sich alles erlauben. ...
Notizen aus Istanbul, Teil III von Gerrit Wustmann
Als ich hier in Istanbul, in Beyoglu, vor knapp eineinhalb Jahren den Gedichtzyklus „Beyoglu Blues“ schrieb, war ich zum ersten Mal in der Stadt und hatte gar nicht beabsichtigt, überhaupt zu schreiben. Eigentlich wollte ich nur meine liebe Kollegin Marie T. Martin besuchen und durch die Stadt streunen, neue Eindrücke gewinnen und auf mich wirken lassen. Ich dachte über das Schreiben damals gar nicht weiter nach, es geschah einfach. Morgens las ich Gedichte von Sait Faik, ...
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