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Letzte Aktualisierung:
01.02.2012, 07:27
Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Volk ohne Traum |
… der werfe den ersten Schuh!
Wenn über eine dumme Sache endlich
Gras gewachsen ist,
Die Vorstellung, in Frankfurt am
Main (bzw. an der Nidda) würde ein Kleingärtnerhasser systematisch Wohnlauben
abfackeln, verängstigte mich wahrscheinlich eher, als das mörderische Treiben
eines Dirnenwürgers, denn wir sind umgeben von Laubenpiepern und unsre Frauen
sind ehrbar. Sollten allerdings Polizei und Staatsanwaltschaft glücklos bleiben,
die Brandstiftungen und Hurenmorde sich mehren und die veröffentlichte Meinung
(etwa by BILD und FAZ) aufkommen, Parzellendenken und Prostitution
pervertierten den freien Geist der großen Städte – na, dann Prost
Pressefreiheit! Warum wohl wurden in den Ostblockstaaten (genauer: in den
Nachrichtenorganen der einstigen sogenannten Volksdemokratien) Unwetter und
Zivilverbrechen, Tierdramen und Verkehrsunfälle, Familientragödien und
Promitratsch zumeist nur knapp, selten oder gar nicht gemeldet und geschildert?
Nun, aus den gleichen Gründen, wie diese Themata der Rohstoff sind, aus dem
unsere Pressefreiheit gesponnen und gewebt ist: Aus politischen und
wirtschaftlichen Motiven. Die Befriedigung des Informationsbedarfs und der
Unterhaltungsbedürfnisse schied schon rein optisch die Geister in beiden
Deutschland, doch nicht wirklich unsre deutschen Seelen und die Konsolen in den
Wohnküchen Ost oder West. Und der Personenkult hüben und drüben? Zwar waren
einheimische Spitzensportler und genehme KünstlerInnen in der DDR bekannter als
die führenden Mitglieder des Zentralkomitees und der Regierung, obwohl sie
maximale Portraitpräsenz genossen, doch wer kann heute hierzulande unsere Damen
& Herren aus der Politik namentlich ihren Ressorts und Fraktionen zuordnen?
Höchstens 12%! Dennoch bestimmen Häupter und Visagen, Brustbilder und
Arschgesichter maßgeblich die Chroniken unserer schnellen Jahre, wobei der
Anteil der zum Tagesruhm eines Pressebildes oder zur Sternstunde eines
Fernsehauftritts gelangten Bevölkerungsvertreter nicht nur zunimmt, sondern
überhandnimmt. Was könnte diese Variante der aktuellen Volksnähe anderes
bezwecken, als den Eindruck verbreitern, Klassengesellschaften bestünden nur
noch in Indien und Großbritannien, aber weder hier noch da am diesseitigen
Mittelmeer. Natürlich wurden im real existierenden Sozialismus keine
unpassenden Aussagen per Zeitung, Funk & Flimmerkiste publik gemacht, doch
soweit es technisch möglich ist, unterbleiben „unpassende Bemerkungen“ auch in
unseren Sendern, selbstverständlich auch intelligente Leserbriefe und
vorfinanzierte Filmbeiträge, und natürlich kam man wegen eines Judenwitzes in
der DDR nicht vor den Kadi, aber bei uns schon, was dann am Witz liegt.
Vergleiche zwischen Väterchen Stalin und Heinrich Lübke verbieten sich rein
landschaftlich, doch die peinliche Posse auf Bellevue bzw. meinem
Flachbildschirm schreit förmlich nach einem bürgerlichen Wahlkönigtum. Alle
werfen den ersten Schuh (sonst noch was?) und nehmen (auf Befragen) persönlich
übel, gradso, als hätten alle Lümmel von der ersten oder letzten Bank ihr
Schulversagen Musterschülern wie Wulff, Westerwelle und Rösler zu verdanken,
welche ihnen weder vorsagten, noch sie abschreiben ließen. Und alle plappern
jeden gepuderten Quatsch nach, etwa die Beschädigung eines Amtes
durch den Amtsinhaber. Wie geht das denn? Ich kann meinen Frack, die
Schlossfassade, ein Amtssiegel oder im Ausland als Staatsbesucher „unseren Ruf
beschädigen“, aber niemals das Amt; der protokollarisch allerhöchste Job
in Deutschland ist unverwüstlich, solange die deutschen Medien ihn nicht
abschaffen. Sollte je ein deutscher Bundespräsident das Amt in Verruf bringen
durch sein dienstliches Gebaren oder semikriminelle Verfehlungen im Amte, dann
kompromittiert er gleichzeitig alle diejenigen, welch ihn für das Amt
ausgeguckt, empfohlen und gewählt hatten, und als einen solchen erinnere ich
mich nur an Heinrich Lübke, der mittels einer von der Stasi frisierten
Personalakte als „KZ-Baumeister entlarvt“ wurde und relativ früh sich als
Altersschwachsinniger offenbarte, bewacht von seiner Frau Wilhelmine, die
trotzdem noch eine 2. Amtszeit durchsetzte, „um den Rest der Welt
kennenzulernen“, ganz zu schweigen davon, dass ausnahmslos alle
Bundespräsidenten ein Vorleben, Webfehler und Achillesfersen hatten, damit aber
nur an den äußersten Rändern unserer Presse konfrontiert wurden. Hier und heute
waren es keine Kampf- oder Käseblättchen, die sich profilieren wollten, sondern
unsre mächtigsten Medien, welche mit ihren Megakanonen auf ein Spatzenheim
feuerten. Wollen sie ernstlich die Berliner Republik von einer Unperson auf dem
Bürgerthron befreien, von einem falschen Zarewitsch quasi oder dem
Gottseibeiuns gar? Oder stecken die Damen der Vorgänger dahinter oder Frau
Schausten, Frau Künast und Frau Höhler, einfach alle einflussreichen Weiber, die
nicht mehr so jung sind oder nie so schön waren wie unsere First Lady? Ich
denke, es ist einfach ein unsportliches Wettschießen um den Goldenen Pfau auf
der Stange, dem Publikumspreis des deutschen Journalismus. Und natürlich machen
die Nachfolge- und Amtsreformvorschläge bereits deutlich, mit wieviel Spaß man
bei der Sache ist und wie effizient der Politzirkus im Winterquartier sich auf
die Frühlingstournee vorbereitet. Sollte Christian Wulff am 21. März noch unser
Präsi sein, wünsche ich ihm weiteres Wohlergehen. Schade, dass niemand die Witwe
Ranke-Heinemann gerufen hat, an der das Amt und die Welt wirklich genesen
könnten, ließe man sie nur. Grüß Gott, Gnädigste! |
Alle Statements auf einen Blick: |
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