31.10.17

Eichendorff

Als ich noch ein Rockstar war und blonde Haare hatte. Zum hier angekündigten Album kam es übrigens nie. Eine meiner schmerzlich verpassten Gelegenheiten.


30.10.17

Aludel

Selbstverständlich habe ich Spaß an Wassertropfen, die sich in diesem rostigen Kanal zu etwas anderem verwandeln. Sie bündeln sich, werden zu einem Rinnsal. Die rostige Luke blutet das Haus leer. Einmal beschienen vom Mond, Wind im Gesicht, das Blut von den Händen waschen. Der Traum eines jeden Kindes. Die Regentonne schwappt über. Kaum zu glauben, dass in Russland das ganze Land abfackelt. Du hast keine Konstanz in deinen Bemühungen - oh Daddy, wenn du wüsstest, wie schwierig es im Grunde ist, einen Menschen so zuzurichten, dass er in einen Reisekoffer passt. Es dürfen ja keine Knochen raustehen.

29.10.17

Der 30. Februar des Jahres



Es regnet brossierte Hüte;
wer etwas dafür kann,
sollte jetzt nicht zögern,
die Hand zu heben.

Während die Hände sich erheben,
die Hüte zu fangen,
den eigenen ins Dickicht zu verlagern,
schreibt man Schuldscheine aus.

Es war eine dunkle Hut-Nacht,
die Schreibmaschinen griffelten
von Richtung der Nordwest-Allee.

Wer konnte, aß etwas auf,
sei es eine Vermißtenanzeige,
ein parfümierter Liebesbrief,
der Griff einer Pandora-Büchse,
ein geliehenes Ohr.

Dann setzte man sich unter einen
tapferen Zweig, maß den Umfang
seines Schädels anhand gelesener
Bücher, und probte den letzten
Reim eines verwandten Geistes,
nicht länger als zweihundert Jahre tot.

Die Gasthäuser rollten ihre
Fässer aus den Kellern

"bring out the dead!"

manche nutzten die Zeit bis
zum Aufprall mit dem
Nachspielen eines Horoskops.

Ältere Herrschaften wurden mit
Zöpfen schick gemacht, den
Töchtern abgeschnitten,
auf daß niemand erkennen soll.

Hätte ich noch ein wenig
mehr Zeit, würde ich
über die bahnbrechende
Erfindung der Dorfstraße reden.

So aber bleibt mir nichts
als mich anzuschließen.


28.10.17

(SSB 03) Ungesehene Winkel

Ungesehene Winkel

Das Aufblitzen der Scheinwerfer eines sich nähernder Knudson-Taunus fräst für kurze Zeit einen gespenstischen Schein in die Nacht. Die Häuser entlang der Schloßstraße wirken wie übriggebliebene Kulissen aus Alain Resnais ›Letztes Jahr in Marienbad‹, wo die Komposition stets wichtiger ist als die Aktion, die Sinneseindrücke persönlicher als die Interpretation. Ansaugen, Verdichten, Arbeiten, Ausstoßen. Ein Schattenregister. Gitternetz der Beobachtung : verschwunden ist das, was die Pupille nicht streift, ein Winkel (nie gesehen), möglicherweise ein Scheunentor, ein Stein unter der Brücke, ein Grashalm im Wasser neben dem eigenen Gesicht.

Etwas, das nicht getan wurde, das nie getan wurde, schleppt sich durch die Straßen, wird vielleicht von fremden Gezeiten geträumt, wird vielleicht im späteren Verlauf erinnert, kann nicht aus seiner Zelle entkommen, bleibt in der Wahrscheinlichkeit stecken, in einem falschen Hals, nur eine Gräte der Historie.

Dechiffriertes Bild : immer zur selben Zeit, ein Spuk am simulierten Tag, ein Winkel ist Schatten genug. Den Blick darauf zu richten oder den Blick nicht darauf zu richten, die Augen abwenden oder heimlich eine unmögliche Position einnehmen. Etwas Ungewöhnliches tun, das alles, bevor die Zeit abgelaufen ist. Der Instinkt eines weiteren unsinnigen Tages entvölkert alle Verpflichtungen, vielleicht mit Wasser in den Ohren oder einem Okular auf der Nase, hin und her gehen ohne Ziel, nur hin und her wogen, in Gedanken an das letzte Erlebnis ohne Körper, mit den Schafen Gras rupfen und mit einer Katze zusammen aus einer Regenpfütze trinken.

Diejenigen, die stehen bleiben, unterbrechen sich, begegnen ihren ungesehenen Winkeln. Die Verrücktheit ist ein fremder nasser Schoß, die einzige Rettung für den Gaumen, der das Dorf beherbergt, der Laden wird gleich schließen, niemand betritt das Haus von gestern oder wiederholt seine Worte. Hungrige witternde Rehe stehen unter geschlossenen Kronendächern und ein Fuchs schnürt unruhig um das Dorf, selbst Teil der Low-Key-Beleuchtung, ausgelöst durch versprengt herumeilende Himmelskörper. Die Zeit hat sich aus den Dörfern in die Städte zurückgezogen, in die großen, ruhelosen Metropolen, zu Neonlichtern, zu Fassaden, die pausenlos Reklame ausspeien wie Wahrsager. Die Städte sind ohne ein Jenseits, sind nur Gegenwart, Rotation und Umschlag, hingegen ist in den Dörfern die Zeit entschlafen. In all dieser Zeitlosigkeit aber funkeln bereitwillig Sterne über Schlaf und Traum und reinigen die Skulpturen menschlicher Behausung.

23.10.17

(SSB 02) Seit wann schaukeln meine Schafe?

Der Böhmwind 


Seit wann schaukeln meine Schafe? 

Hat jemand zwischen den Raunächten Wäsche gewaschen und damit ein Los gezogen? Nimm, Herr Wode, das Dorf nicht achtlos links, kehre ein mit deinem Totenheer, der hartgerippte Steinboden sei dein Totenacker, sei dein Kältebad auf deiner wilden Jagd, entfesselter Wind, als der Nachtwind starrend um die Häuser patrouilliert, die schneebedeckten Zweige schüttelt, hier entlang! Hat jemand die Wäsche gewaschen? Die Zweige neigen sich dankbar für jede Regung, die man ihnen antut, damit sie wenigstens ein bißchen Gewicht von sich stoßen können, denn lange noch, lange noch müssen sie den Perchtenmantel tragen.

Der bettelarme Baum : und jeder Baum ein bettelarmer Baum, entkleidet sind die Lauben, das Immergrün von hexagonalen Kristallen besetzt, die Steintreppen stiller, die Schorne, gewaltig sich streckend, erscheinen doppelt so groß in ihren Schieferkleidern, durch das Feuer gestärkt, das in den Küchen und Stuben das Leben erhält, auch die Dachstühle stiller. In der dumpfen Wärme der Ställe keicht das Vieh, keines deiner Länder, Sturm, ist dies, aber das Heer ist abgebogen und donnert, die Wäsche gewaschen und pfeifend, heran. Die Geräusche sind kalt und unwirklich und die Unwirklichkeit ist ein Geräusch der Ferne, die näher und näher kraucht. Zuweilen durchdringt, Getön und Hall, ein Mistbellen den Ritt des Reuterhaufens. Schallauskunft des Groenendaels des Schäfers Herold, der – lange währt die Zeit der Erinnerung – den letzten freilaufenden Keiler durch verworrne Hecken bezwang, nachdem der in sein Haus eingedrungen war, man weiß nicht, wie es kam, wütend wie der Kerberos nach einer Rebellion der toten Seelen, tief im Matsch versunken und trotz Blattschuß noch im Todeskampf das Vestibül zu Kleinholz marschierend, in dem sein ausgestopfter Schädel links neben dem Eingang über einem Jagdtisch mit fünf Beinen und aufwendigen Schnitzarbeiten heute noch die Wacht hält, versteinert und borstig, vor allem aber verstaubt, umgeben von einem Holzrahmen aus heller Eiche. Lorbeerblätter und Datierung fehlen nicht.

Bella war zu dieser heroischen Stunde, als der Keiler (und brennte Hollenfeuʼr mir an der Suhle!) sein Anliegen ungestüm vorzubringen sich erdreistete, noch nicht des Schäfers verlängerte Schnauze, und als sie dann den starren Blick des Ungeheuers dort an der Wand zum ersten Mal gewahrte, die schielenden kleinen Glasaugen, den aufgesperrten Rachen, da weigerte sie sich, im Haus zu schlafen. Kein guter Anfang für ein künftiges Vertrauensverhältnis, denn, so dachte der Herold, den Schafen näherten sich ganz andere Störenfriede, und ein Hündchen, das davonlief, anstatt sich mit gesträubtem Fell und starrer Rute selbst einem Prodigium entgegenzuwerfen, wird wohl kaum geeignet sein, um in diesen finsteren Jagdgründen für das Gerücht der Unbezwingbarkeit und Spaßlosigkeit zu sorgen, ein notwendiger Umstand aber, denn lebt nicht schier alles von Gerüchten, von überlangen Schatten, von unsinnigen Taten, die in jeden Rahmen sprengender Vernunftlosigkeit erst zur abschreckenden Blüte gelangen? Seine Bella, so hätte es der Herold gerne verkündet, springe selbst ihr eigenes Spiegelbild in den Pfützen an, wo sie sich den Durst stillt, nicht zulassend, daß selbst ihre Reflexion der Herde zu nahe kam. Die Hündin bekam jedoch – erste Runde des Eigensinns – im Hof der ehemaligen Wendenschuch-Mühle, umgeben von der Herrenwohnung, den Stallungen, dem Hirtengebäude und dem Tropfhaus ihr Plaissier, sichtlich froh darüber, so ganz ohne Bilder, Tand und Trophäen an den Wänden ihren selbstgestalteten Träumen nachgehen zu können, wobei sie – und das sei der Vollständigkeit halber erwähnt – einen ihrer Träume ganz besonders schätzte, in dem sie sich von einem Widder, dem sie doch positionsmäßig vorstand, von hinten (anders war es ihrer Natur leider nicht vergönnt) nehmen ließ.

Träumst du?

Ich bin mir nicht sicher, andererseits, wie wüßte ich sonst davon?

In diesem Hotel, in diesem Zimmer träumst du doch seit Langem von all dem, oder kommt dir das alles geheuer vor?

Die Hündin wafft und bault an : himmlische Rüsche oder Sonnenuntergang, Schlierenfett im Aerium, im (darf man’s nennen?) Hodenstamm der einzeln hochgeilen Baumjuwelen. Oh evening falls, oh Abend fällt.

Sie hat mich, während ich auf einer Schaukel saß, in den Hinteren gebissen. Hätte ich die Hosen herunter gehabt, oder auch nur einen käsigen Ausschnitt offenbart, der Canis würde mich ignoriert haben, wie er auch ein frischgeschorenes Schaf nicht anhappst, sondern höchstens aufscheucht, wegwärts, hinzu; aber erstens sitzt es sich nacktbackig nicht gerade bequem (von der Angst, eine Ameise könnte den Weg ins sumpfige Dunkel finden, ganz zu schweigen), und zweitens sieht der heruntergehißte Part nicht eigentlich nach Hundeabwehr aus, höchstens nach Verführung älterjähriger Damsellen, die dann, ganz zart (wie wir wohl noch in späteren Tableaus sehen werden) ihren Hühnern bei lebendigem Leibe die Federn auszirpen, mit einer Stimme voller Achs. Aber das war ja nicht der Fall, das Hundstier kennt nur Pflicht und Höre (Belohnung auch), mich heim zu treiben.

Seit wann schaukeln meine Schafe?

Ein Zwicken in die Haut, mehr war es nicht. Dunkel schwingende Instinkte, die im ehemaligen Hammerwerk stets zugegen sind, mögen dafür verantwortlich gewesen sein. Sieht der Herold nachts die geisterhafte Fratze Alfons Wendenschuchs über seinem Bett schweben? Und gerät Bella außer sich, wenn die Luft im Zimmer dann immer ganz kalt wird?

Seit wann schaukeln meine Schafe?

Die Hündin trottet, sichtlich irritiert, zurück zu den anderen Wolltieren, die sie leichter erkennen kann, die auch anders schmecken wie dieses hier. Der Geruch, der sie angezogen hat, stammt von apokrinen Drüsen, da gibt es nichts zu rütteln. Jetzt aber hat sie Serge de Nîmes zwischen den Zähnen, obwohl ihr der Stimulus-Response doch eindeutig befahl : der da zurück in die Herde stop.

22.10.17

Das Magazin für unbhängige Welten

Als ich vor drei Jahren das PHANTASTIKON aus der Taufe hob, geschah das zu keinem anderen Zweck, als meine Übersetzung von Thomas Ligotti unterzubringen. Die Artikel, die ich in der Folge schrieb, passten nicht zwischen Gedichte und Weltschmerz. Ich hatte mein Interesse für den Horror als philosophische Disziplin entdeckt. Die Redaktion, die jetzt seit zwei Tagen wieder von mir, Karin Reddemann und Albera Anders geführt wird, hatte insgesamt schon viele Mitarbeiter kommen und gehen sehen. Das Phantastikon ist ein etabliertes Szenemagazin, das ich jetzt umgekrempelt habe, das mehr will, als sich nur mit dunkler Phantastik auseinanderzusetzen. Es geht um den Traum, um die Fantasie ohnehin, die ein Mysterium ist.
Vor einem Jahr wären wir beinahe mit dem "Zauberspiegel" fusioniert; das war die erste große Krise, die dann in die "erfolgreichste" und arbeitsreichste Phase mündete. Vor einigen Wochen wollte ich das Phantastikon endgültig abgeben, aber es fand sich niemand, der dieses Projekt auch nur halbwegs handhaben hätte können. Ich selbst wollte aber nicht herumdümpeln. Aus "Das Beste der Phantastik" wurde "Das Magazin für unabhängige Welten". Und wir widmen uns dem Kult wie auch dem Entlegenen.

Der Schrecken der Reise



Die Schnecke erfährt ihr Tempo hinter vorgehaltener Hand.
Heimlich bekommt sie dafür ein Haus, das wie ein Trichter
Zum Kleinsten und zum Größten hin führt, aber langsam.
Langsamer als die Farben aus Gesichtern rutschen,
Die auf der gleichen Strecke unterwegs sind,
In einem Raum, der abstrakt scheint, mehrteilig,
Wie es die optische Täuschung oft vormacht,
Wenn die Perspektive, von der nun alle reden,
Nicht mehr vorhanden ist, wenn sie dem Ultraschall
Des Gehörten, dem Infrarot der Nacht, durch ihre Wärmepausen weicht.

Dann bleiben gesprochene Worte auf der Strecke liegen,
Keiner kümmert sich um das Gepäck des anderen. Im
Forst sitzen die Tafeln mit den Umsteigemöglichkeiten fest,
Behaupten sich nicht gegen Bäume oder Gräser, haben
Es aufgegeben, die richtige Stelle mit einem X zu
Markieren. Sie werden kaum aufgedeckt, gefunden werden.
Deine Hand leuchtet einen Ballon an, aber auch diese
Geste bringt keine Zeit zurück, die auf der Reise verloren
Ging. Trotzdem folgen die Vögel dem Licht zurück in
Ihre Nester, die jetzt, da sie älter sind, bereits
Vertrocknet und mit eingeworfenen Fenstern einen Tanzsaal
Abstrakter Gerüche bilden.

Nehmen wir auch nur ein einziges Muster fort, hebt sich
Die Distanz bereits wieder auf, alles ist dann nur
Ein einziger Ort, der Trichter der Schnecke zum
Kleinsten, zum Größten hin. Dieses mathematische Rätsel
Schreckt die Reisenden, die wissen, daß sie sich
Nicht mehr bewegen dürfen. Es steht in ihrem Gepäck
Geschrieben, aber auch auf unzähligen Urlaubskarten,
Die an der Wand neben Faltern ihren Platz behaupten.


20.10.17

Holz

Daphne B. 



alias 


Papagena



Eine aus dem Comicversum Erschienene, die sich von mir auf einer Insel - zirka 3000 km von Kempten entfernt - ablichten ließ.

(Idee: Ein Comic nur aus Schattenbildern bestehend, ähnlich dem Chinesischen Schattentheater.)

18.10.17

Der Horcher



Die neuen Tage beginnen nicht so wie die alten enden.
Jemand hat das Interieur verändert, die Kabelage ist
Durch fremde Mauern gezogen, die Venuslampe scheint.
Über unzählige Stufen gepoltert trifft derjenige ein,
Den sie den Horcher nennen. Er steigt aus der Fassade,
Die ihn wie mit einem Fahrstuhl nach oben brachte.

Geweihe zeigen nach Norden, was die natürliche Ansicht unterstreicht.
Zu Boden, sondern in ein dafür installiertes Sicherungsgitter.
Geflohen sind wir längst, nur scheint uns jetzt
Zusätzlich die Sonne ins Gesicht, was die Arbeit sichtlich erschwert.

Die Sätze sind abhängig von den großen Laternen, pausenlos
Ausgespuckte Routine wäre ein Wort dafür, das der Horcher verwendet
                                                                                                  hätte.
Ohne Gefühl der Zweckbindung an den Türen vorbeigehen,
Die atmosphärischen Störungen von jenem Weizen zu trennen,
Das nicht in ein Brot fährt, die zarten Verwehungen anzuerkennen,

Ohne Gegenwehr, ohne einen Wimpernschlag in Anspruch zu nehmen.
Selten haben wir unsere Tage wie vorgesehen verbracht,
Ungesehen, Staubteufel auf einem Friedhof in der Nacht.


15.10.17

(SSB 01) Dort beim Hexenkraut

am end ists doch ein bloszes possenspiel, das nachtgespenster sich in unserm schädel machen. (Oberon)

Die Imago, die Erinnerung, das Phantasma – sind für den Menschen nicht nur nicht minder wirklich als die ›wirklichen Verhältnisse‹, sie sind zugleich beweglicher, transportabler, schneller und können ihn deshalb in der Zeit vor und zurück versetzen. Phantasie und Gedächtnis sind Vision und Erinnerung. Diese können die Wirklichkeit ersetzen.

Erst im Angesicht des Phantastischen, wenn die Vernunft ihre Kontrollmacht verliert, vermag sich die tiefste Empfindung des Seins zu äußern, eine Empfindung, die im Rahmen der ›wirklichen Welt‹ nicht hervortreten kann und die keinen anderen Ausweg findet, als den ewigen Reiz der Symbole und der Mythen zu erliegen.

Die Neigung, zu experimentieren, ist der Reiz, das Unbedeutende, Verkehrte und Richtige mit Aufmerksamkeit zu betrachten, darüber hin und her zu denken, wie es, anders gestellt, geändert, verkürzt und vermehrt etwas Besseres werden könnte.

: daß man in der Veränderung steht,
daß man in der Veränderung
sich selbst nicht verändert.
Gestreift wird vom Verfall,
andere verfallen und man selbst.
Aber es sind nur Kleider,
man hat eines ausgezogen, darüber hinaus ändert sich nichts. 
Aus einem Ballon
tranken wir Würze, wir tranken
das Leben in einem einzigen Zug, installierten
unsere Vergangenheit in dieser Gegenwart, für immer
ein Gemälde auf Erde,
Land, Zeit.

Dort beim Hexenkraut


...unter meinem Bild, unter deinem Bild – denn ich habe dir das Bild erzählt – liegt die Farbe, herausgelaufen aus dem Rahmen, der nicht mehr faßt, was in ihm hin und her schwappte, vor der Zeit den Pinsel tränkte, der dann nur noch aufgenommen werden – der Pinsel, der dann, von Fingern aufgerappelt, über die Gebirgszüge fährt, Stufen und Gefälle einfügt und Lücken hinterläßt, Lücken wie diese.

Die Pinsel sind Lehm.

Die Pinsel sind Lehm.

Einst kannte ich mein Gesicht, nicht aber seinen Umfang, ich kannte auch die Farbe meiner Augen, insofern sei gesagt, daß ich durchaus einmal daran glaubte, die Welt sei erschaffen und sie beträte mich durch meine Poren, doch –

Gerüchte ziehen durch das Land. Bodennah kriecht der feuchte Dunst, der von den Zungen platscht, über die Felder, und damit verderben sie dem Morgen die Sonne. Die Waldlaubsänger sib-sirren in den frisch mit Tau bezogenen Baumbetten mit dem Zwielicht um die Wette, flappen um ihre Koje herum, bringen ihre Hymnen den Würmern dar, den großen Ernährern, die aus der Erde ragen, dem Humus, dem Sand.

Do lunch or be lunch.

Eine Stunde vor Sonnenaufgang tragen die Arien der Rotkehlchen weit, aber erst als um 5 Uhr 40 die Stare erwachen, spottet dieses Opernhaus mit seinem tiefblau beginnenden Himmel allen menschlichen Tuns. Was durch die Lüfte zieht, sich regt, verweht, wird Geschichte werden, die Worte faulender Gestank, der, langsamer als die Federvagabunden, den Wind findet, alles in seiner Reichweite vertreibt, was nicht mehr zur Nacht gehören will.

Traumtentakel ziehen sich in die Büsche zurück, hinterlassen nur unangenehm nässende Spuren, ein Ektoplasma, zusammengefallen durch das tägliche Vergessen. Der Morgen beginnt sein Ritual, badet sich in den explodierenden Farben. In dieser Zeit, einer Zeit, an die wir jetzt denken, tritt Nebel aus der Erde, steht auf dem Land herum und wartet auf die Sonne, die zwar schon ihre leuchtenden Arme über den Kohlwald ausstreckt, aber noch nicht in das Herz der Nebelbank hinein greift. Geisterhaft keckern die Stimmen der Kinder von der groben Steinbrücke, brechen sich an den Gebäuden entlang der Schloßstraße und kehren lallend zurück. Achtet auf den Widder! Die Eger gurgelt in ihrem dunklen Flußbett, im Nebel schwanken Gliedmaßen, auf der Wiese stehen Schatten. Es sind die Schafe, die schüchtern Gras rupfen vor der hölzernen Wand, hinter der sie ihr Nachtlager wissen. Die Tore geschlossen. Achtet auf den Widder! Wollköpfe schnellen lauschend in die Höhe, schwarze Münder blöken. Die Kinderschar lacht, löst sich auf wie eine weitere gespenstische Erscheinung. Die Steinbrücke ist wieder leer. Als sich der Nebel verzogen hat, steht das Dorf wie ein beginnender Tagtraum still und wartend an seinem Platz. Für die anderen ist es heute ohne Bedeutung, ich aber glaube, daß wir uns selbst dort lachen hörten. Vielleicht war einer dieser Augenblicke, als wir über die Steinbrücke der Eger tollten, an den Anfang zu setzen, denn einmal mußten wir einen Abdruck hinterlassen haben, der sich zu einem Spuk manifestierte. Nur eine unbedeutende Turbulenz in Zeit und Raum, die uns selbst für alles andere sensibilisierte. Die Steine nämlich vergessen nichts. Ihre Erinnerungen fließen langsam wie ihre ganze mineralische Existenz. Geduld macht sie unsterblich. Wenn der Dunst an ihnen reibt, erklären sie sich bereit, flüchtige ikonische Gedanken abzusondern. Sie sind die Archivare der Zeit. Und manchmal lassen sie ein geflüstertes Wort entkommen, noch öfter aber ein schallendes Echo, dem man besser nicht folgt. Keine Heiterkeit findet sich dort, wo es endet.

Wie täuscht uns das Leben, wenn neben der strauchigen, süßen Himbeere der Kadaver eines Eichhörnchens liegt, wenn schnurrend die Katze im Stroh auf ihren Mäuseleichen thront. Wie täuscht uns das Leben, weil wir uns gerne täuschen lassen. Vergessen ist der große Sturm des letzten Winters, der doch so viel von der Ruhe der Ansässigen gefressen hat. Wenn sie sich daran erinnern, tun sie das mit einem Schaudern. Gerüchte werden zu beglaubigten Geschichten, die mit eigenen sonderbaren Erfahrungen ausgeschmückt den Abend retten können; und Sonderbares hat hier jeder schon erlebt.

Waldphantastisch eingebrünnt : die Lichtung, die in ihrer Mitte zaudert, wegen des Jagdsterns, bei dem im Verlauf mehrere Tage das Wild dem auf freier Fläche aufgebauten Laufft zugetrieben und mit neu gespannten Netzen und Feuern am Entweichen gehindert wird. Beim abschließenden Abjagen wird das Wild in den Laufft hinein getrieben, in dessen Mitte die fürstliche Jagdgesellschaft auf ihre Beute wartet. Von den Baumheeren keine Gefahr, wohl aber von dem, was zwischen den Schatten geht. Ein Reh, aus baldiger Nacht verirrt, mit Schnupperpranken, Durst im braunen Fell, will den Tau von Halmen lecken und sieht sich – schon erschossen – um. Das Blei zerfetzt den schönen Athletenhals und wirbelt warmes Blut auf die erlahmten Wimpern. Unter den Schuhen des heranquatschenden Hubertus wird es finster und naß und schwer und eulenklamm. Der Herbst hält seinen Atem an, kurz bleibt die Stille haften, bleibt verlockend tot.

Sefchen, altes, geiles, rotes, dreckiges Sefchen; tanz du doch noch einmal um den Galgenbaum, tanz du doch noch einmal den Staub auf, Gewitter deiner Knöchelchen, Sohlen, Fersen, tanz du doch noch einmal ›Rock hoch‹, zeig, wo die Seife endete! Der Ruf durch den Nebel von Krähen beheizt, verschlungen führt der Weg vorbei an den knatschenden Eichen, an gekrüppelten Ästen, an der gesammelten Pest der Altstraße. Wind wurmt über die Teiche, die Flüsse – des Scharfrichters Tochter ist schön wie jede Gespielin des Verderbens. Wer sie tanzen sieht, wird je zurückkehren, rasten am gemiedenen Ort, seinen Blick über den Alraunenacker schicken. Es kommt mir so vor, als befände sich das Fegefeuer nicht weit, als ginge ich durch Niemandsland, als warte dahinter der Erdschlund, gurgelndes Magma!

11.10.17

Changiere das rechte Ding

Fortschritt ist zunehmende Entropie; Veränderung, die nicht eigentlich den Fortschritt bezeichnet, sowieso. Genau genommen gibt es einen Fortschritt nicht, er bezieht sich nur auf zwanghaftes Verhalten. Veränderung hingegen kann ein notwendiger Umstand sein. Mit ihr ist gemeint, die Dinge willentlich in einen anderen Zustand zu überführen, denn Veränderung ist sekündlich, demnach nicht der Rede wert. Zwei große Zeitparzellen verzeichne ich : Das Fichtelgebirge der Abkunft; Das Allgäu des Bauern. Unterbrochen sind diese Zeitparzellen durch unablässiges Reisen und Stolpern, sowie mein Leben in der Schweiz. Ein kurzes Aufbegehren, das mich nicht Fuß (und Knöchel) fassen ließ, so sehr ich es auch versuchte. Daß ich je nur meine Ruhe wollte, um schreiben zu können, ist dem Erringen um jeden Preis zuzurechnen, ein wahrer Wettkampf mit den Unbilden einer im Grunde menschenverachtenden und seelenvernichtenden Gesellschaftsform. Nun, ich nehme das zur Kenntnis und setze meinen Weg fort. Sinnlos, nonkonform, aber unablässig. Standin' at the crossroad, tried to flag a ride. Didn't nobody seem to know me, babe, everybody pass me by. Betwixt and Between.

10.10.17

Stehende Knospen


Albera Anders; Öl auf Papier, 2009

Fortan schlüpften unsere Blüten den Minnesängern gleich aus ihren durchsichtigen, einsichtigen Welten. Der bestäubte Garn vieler Stunden wies ihnen den Weg durch den Kräuterfarn am Teich der irritierenden Gespinste, die mit den Butterfliegen rangen. Von den sanften Teilen ein Teil : das war ihr Begehr; und so drängten sie sich um das Seeufer herum, öffneten ihre Menuette (selbstverständlich im Dreivierteltakt) und zeugten in den Lüften von sich selbst und ihrem artistischen Flappern, der nahen Spule verwandt, nicht aber zu verwechseln mit den Tropfen, die sich vom endlos brausenden Mühlrad trennen. Besagter See ist ein gewisses Heute; unsere Blüten aber sind zeitlos, ein Mantel aus Flügelschlägen sorgt hierfür, genährt von Wiesenträumen. Die Kapriolen der Zinnober-Bürsten erklimmen ihre Wandten, vertanzen mit den Blüten einen gewissen Sommernachmittag. Wir werden uns den Schirm etwas kosten lassen, der uns während des Schauspiels ermöglicht, geschützt und sahnig eingeölt, das Okular auf die richtige Schärfe einzustellen.

Darstellung No. 3 
Bild und Zauber: Albera Anders
Text und Traum: Michael Perkampus

09.10.17

Neunter Gilbhart, Viehmarkt

In erster Linie mochte ich es gar nicht glauben. So leicht wäre es über die Jahre bereits gewesen, die Reiseschreibmaschinen gegen eine zünftige Büromaschine (ein Arbeitspferd) einzutauschen. Ich hätte wohl nicht eine derartige Leidensstrecke zurücklegen müssen. Die Monikas waren mir aufgrund ihrer Robustheit bereits mehr an die Finger gewachsen als die anderen, dennoch gab es Makel, über die ich immer wieder berichtete. Jetzt ist der Koloss Olympia SG vor Ort, eingeritten und für tragfähig befunden. Zudem habe ich, sollte einmal etwas im Argen liegen, einen Mechaniker dazugewonnen, der auch mein zukünftiges Schreiben mit der Maschine gewährleisten kann. Drama beendet? Es sieht leicht danach aus.


Man mag sich fragen, was ich auf dem Allgäuer Viehmarkt zu suchen habe. Die Antwort ist sensationell einfach : mich nach dem Preis für eine 29-Liter-Kuh erkundigen. Der Preis liegt derzeit bei 1100 Euro, was natürlich dem niederträchtigen Milchpreis geschuldet ist. Man möchte fast sagen : jetzt Kuh oder nie Kuh ! Die Maße meiner Klause liegen bei rund 34 Quadratmeter, der Balkon ist zu schwach auf der Brust (aber ich könnte mit einem Rollwägelchen für Kfz-Mechaniker zum Melken rollen, wenn ich die Balkonschwelle wegreiße...) alles Überlegungen, die man sich machen muß.


08.10.17

NachtSichtGerät




ich könnte einen gebrauchen, der
          jetzt
die Strippe zieht
verschwunden ist dann das
und auch das
        Sondermodelle                                               ginge vorbei
ginge ganz einfach vorbei
Nacht.Sicht.Gerät.

   : so was von der Welt erfahren
   so was von ihr hören müssen,
         also daß die da draußen blödsinnig sind
   weiß man ja
         daß die hier einfach auf dem Planeten
damit können Sie                abgelegt wurden
einen Tag erleben (mal schau‘n was aus Ihnen wird)         Als Köche
wie er                                  verkleidete Polizisten
wirklich ist                          und die fickten dann sagen wir mal
die Viecher, die da rumstreunten
der Mensch sage ich ist aus Sodomie geworden

der Mensch sage ich


07.10.17

Ingrimm (Senkfell)




Information: Bis zum "Gesang des Knochenmanns" sind die Stereokanäle aufgespreizt.

Das Tribunal zu Wilem

So war es nicht erstaunlich, daß ein Riese mich vor die Tür setzen wollte. Energie war er, sonst nichts, unhaltbar groß, erschienen aus dem Nichts, durch Gedanken in die Materie gezwungen. Nun erbat ich mir aus, mich noch ankleiden zu dürfen, denn der Anstand gebietet Kleidung. Noch während ich mich bemühte, alle Kluft zusammenzurühren, um hineinsteigen zu können, erschien - ebenfalls aus dem Nichts - mein eigenes Energiespektrum, klingelte aber wohl an der Eingangstür, denn von dort aus hörte ich einigen Tumult. War es verwunderlich, daß zu meiner Verteidigung ausgerechnet ein Renommist erschienen war? Der freilich, denn er kam ja aus meinem eigenen Dunstkreis, man frage nicht, wie, war mir, obwohl ich ihn als relativ machtlos gegenüber der anderen Partei entlarvte, war mir kein bloßer Unsympath; abgesehen davon hatte ich nichts anderes aufzubieten. Durch sein Auftauchen war die Angelegenheit nicht mehr so einfach und schnell durchzusetzen, was meinem Energieverteidiger dann doch anzurechnen war. Es sollte zu einem Tribunal kommen, was mehr war, als ich erwarten konnte, und das mich gleichzeitig erstaunte. Zielort: Wilem; ein Zimmer dort, wie tausend andere Zimmer. Immer mehr Menschen drängten herein: Anwälte, Stenotypistinnen, solche und solche, deren Funktion gar nicht auszumachen war. Ich würde verlieren, mit Verzögerung zwar, aber verlieren würde ich. Oder auch nicht, denn ich hatte eine Verbündete, die zu erreichen das ganze Bestreben meiner Traumreise war.

06.10.17

Von der Lab zu Tale


Albera Anders; Mischtechnik, Acryl und Öl, 2009

So der schneeweiße Stier zu den Blättern aus Thule:

Ich sagte noch, ich singe nie die Lieder meiner Ahnen. Doch hören wollte keiner, und klamm in meiner Brust mein Donnerherz, ihr kennt es wohl - und flieht, wenn ihr es lauscht. Durch Berge breche, durch Täler ich, durch Steppen gleite, durch Weite ich, und hufe empor und stauche in Wut das Gebirg' zu einem Talisman. Es waren keine Tore mir verschlossen: ich rannte sie ein mit dem Lachen der Gespenster und eroberte mich selbst. Ich diktiere, in deine Kammer dringend, dir die Wege, die ich kam.

So die Handschrift aus Thule zu  dem schneeweißen Stier:

Du hast mich gefunden, nicht gesucht, du hast mich gerufen in feurigen Träumen. Ich nehme dein kostbares Blut in meine Seiten hinein, sickerst du in die ruhmvolle Reihe hinab, wird dich das Leben nie mehr durch die Welten jagen, verschwimmst du nur auf meiner Fläche, so fürchte meine Tiefe!

Darstellung No. 2
Bild und Zauber: Albera Anders
Text und Duktus: Michael Perkampus

05.10.17

From Hell

Jack the Ripper verfolgt mich seit Jahrzehnten und markierte eine Zeit lang den Schwerpunkt meiner Forschungen (kurz nachdem ich das Faust-Thema beiseite gelegt hatte). Warum ich nie beabsichtigte, einen Roman über das Thema zu schreiben, liegt auf der Hand: Das war bereits in mehreren Fällen mehr oder weniger erfolgreich geschehen, nie aber so, dass man von interessanter Literatur sprechen konnte. Die Spurensuche war da weitaus ergiebiger. So arbeitete ich mich im Laufe der Jahre durch nahezu alle erhältlichen medialen, wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Bücher. 2014 mündete meine Lust am Mythos in der Teilname an der Jack-the-Ripper-Tour in London. Die Londoner selbst betrachten das touristische Interesse eher als einen Makel, und zugegeben, es gibt eine Menge solcher Touren, die das Thema bis zum Letzten ausreizen. Für mich war der "Spaß" über den angenehmen Schauer hinaus durchaus erhellend.
Alan Moore ist als Engländer natürlich mit dem Mythos aufgewachsen, der gar keiner wäre, wenn die Morde nach den "kanonischen Fünf" nicht einfach aufgehört hätten, oder/und man den Täter irgendwann einmal geschnappt hätte. Doch der Fall war weitaus monströser, als man zunächst annahm, wie man heute weiß.

Wie dem auch sei, sparte ich das in dieser Richtung einzige literarische Meisterwerk (wohl aller Zeiten) bisher aus: From Hell, von Alan Moore und Eddie Campbell. Heute ist das 600-Seiten-Drama angekommen. Einen detaillierten Bericht werde ich nach Fertigstellung der Lektüre dem Phantastikon zur Verfügung stellen.

Der surreale Tombstone Blues

Bob Dylan als Meister der Sprache ist natürlich genau aus diesem Grunde auch ein Meister des Surrealen. Für viele seiner herausragenden Gedichte braucht er nur drei Grundakkorde, um zu tun, was ein Dichter zu tun hat: Sprache zum Klingen bringen. Sehen wir uns folgenden Satz an: “The reincarnation of Paul Revere’s horse”. (dt.: "Die Wiedergeburt von Paul Reverses Pferd"). Selbstverständlich benötigt man, um Dylans Texte einigermaßen richtig zu interpretieren, viele Grundkenntnisse, die eine gewöhnliche Wissensbasis oft bei Weitem verlassen. Für das Verständnis dieser Zeile z.B. ist es von Vorteil, zu wissen, daß Paul Revere ein Held des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges war. Seinen Ruhm erlangte er durch seinen legendären Ritt, der ihm ermöglichte, die Amerikanischen Streitkräfte von der Ankunft der Briten zu unterrichten. Longfellow schrieb das Gedicht "Paul Reverse's Ride" und in den Staaten gilt die Frage nach dem Namen von Reveres Pferd als ein Running Gag und wird gerne als Metapher für "keiner weiß es" herangezogen. Fest steht nur, daß das Pferd, das er ritt, nicht sein eigenes war. Die Geschichte ist selbstverständlich eine romantische und es gab eine Zeit, da war sie bei Kindern sehr beliebt, die naturgemäß auf spektakuläre Heldengeschichten reagieren. Dylan versucht hier die Atmosphäre dieser Geschichte mithilfe einer ausgelassenen, lebhaften musikalischen Begleitung zu bewahren. Wie viele gute Texte erscheint dieser hier wie Gaukelei - dem einfachen Verständnis unzugänglich.

The sweet pretty things are in bed now of course
The city fathers they’re trying to endorse
The reincarnation of Paul Revere’s horse
But the town has no need to be nervous

(All die hübschen Dinger befinden sich selbstverständlich schon im Bett
Die Stadtväter versuchen sich an der Unterstützung
der Wiedergeburt von Paul Reveres Pferd zu beteiligen
Aber die Stadt muß sich hiervon nicht beunruhigen lassen)

Das Symbol der Reinkarnation ist das der Wiederkehr, der Wiederholung, der Notwendigkeit, auf eine bewährte Quelle zurückzugreifen, aber warum die Stadt sich davon nicht beunruhigen lassen sollte, ist dunkel. Bezieht sich das auf die Kunde der Überlegenheit der Britischen Armee? Oder gelingt die Wiederbelebung etwa am Ende nicht?

The ghost of Belle Starr she hands down her wits
To Jezebel the nun she violently knits

(Belle Starrs Geist gibt ihren scharfen Verstand an Jezebel
die Nonne weiter, die sie dadurch gewaltsam an sich bindet)

Belle Starr war eine der berüchtigsten Banditinnen des Wilden Westens, die einen sehr exzentrischen Lebensstil pflegte. Jezebel war die Frau Ahabs, König von Nordisrael. Der Begriff "Jezebel" hat seine Bedeutung für "eine boshafte, heimtückische Frau" bis heute behalten. Die Bezeichnung als "Jezebel" zog man in den 60er Jahren auch gerne für sexuelle Promiskuität heran. Ihre Bezeichnung als Nonne ist ein Link auf das Frauenbild der 50er Jahre, in denen der Frau die Rolle der Bewahrerin aufgehalst wurde. Allein diese beiden Zeilen reißen Welten auf, die sehr präzise aufzeigen, wie sehr Dylan Symbole verknüpft, die in ihrer Tragweite gar nicht auf Anhieb erschlossen werden können.

A bald wig for Jack the Ripper who sits
At the head of the chamber of commerce

(Eine kahle Perücke für Jack the Ripper, der
in der Wirtschaftskammer ganz oben sitzt)

In dieser Strophe taucht der dritte "zweifelhafte" Charakter mit Jack the Ripper auf. Es ist nicht schwer zu interpretieren, daß es in der Wirtschaft immer schon um Opfer ging, die in der unteren Schicht zu finden sind, daß es aus Sicht der Wirtschaft keine Menschen gibt, sondern nur eine Art abstraktes Vieh mit Geldeuter. Verelendung und Verderbnis sind das Handwerkszeug der Unternehmen. Das ist heute, wo es um die totale Entmenschlichung in allen Belangen geht, sogar noch viel besser zu deuten als damals. Nur ist heute jeglicher Protest niedergeworfen, die 60er hatten zumindest diesbezüglich Charakter. Das Vieh steht bereit, es will und es wird geschlachtet werden. Mörder sind sie alle, aber nur der König der Mörder kann in der Wirtschaft ganz oben sitzen.

Mama’s in the factory, she ain’t got no shoes
Daddy’s in the alley, he’s looking for the fuse
I’m in the kitchen with the tombstone blues

(Mama ist in der Fabrik, sie besitzt keine Schuhe
Papa ist in der Gasse unterwegs und sucht nach der Sicherung
Ich bin in der Küche mit dem Tombstone (Grabmal) Blues)

Das hört sich in der Übersetzung zugegebenermaßen recht bescheuert an, und das funktioniert auch nur im Englischen: Worte, die dem Rhythmus geschuldet sind, die sich aus ihm ergeben und darüber hinaus keine Bedeutung zu haben scheinen. Feiner gelöst müßte die Übersetzung natürlich auch ein wenig mehr dichterisches Element enthalten:

Mutter kraucht schuhlos in der Fabrik herum
und Vater sucht die Gosse nach der Sicherung ab
ich träume in der Küche mit dem Grabstein-Traum

Der ganze Song ist an sich grotesk-humorvoll, nur einen Schritt von der völligen Verrücktheit entfernt. Er ist surreal und ohne Bezug, es geht nur um Wortspiele. Gleichzeitig ist er tiefgreifend, aber bedeutungslos. Er ist schmissig, wirft historische Fragmente in die Luft, um zu sehen, was sich daraus ergibt, wenn alles wieder herunterkommt.

The hysterical bride in the penny arcade
Screaming, she moans, “I’ve just been made”
Then sends out for the doctor who pulls down the shade
Says, “My advice is do not let the boys in”

(Die hysterische Braut in der Spielhalle
schreit lamentierend: "Ich bin erledigt!"
und schickt nach dem Arzt, der die Jalousien herunterläßt
und sagt: "Ich rate dazu, die Jungs nicht hereinzulassen".)

Now, the medicine man comes and he shuffles inside
He walks with a swagger and he says to the bride
"Stop all this weeping, swallow your pride
You will not die, it's not poison"

(Der Medizinmann tritt auf und schlurft herein
Er richtet sich prahlerisch auf und sagt zu der Braut:
"Hör mit der Heulerei auf, schluck' deinen Stolz hinunter,
du wirst nicht sterben, es war kein Gift!")

Natürlich wird man sich fragen, wer diese Leute sind. Wir wissen es nicht. Nur hier und da (wie zu Beginn), bekommen wir Hinweise. Und selbst die Erläuterungen der offiziellen Bob-Dylan-Seite bleiben diesbezüglich dunkel.

Well, John the Baptist after torturing a thief
Looks up at his hero the Commander-in-Chief
Saying, “Tell me great hero, but please make it brief
Is there a hole for me to get sick in?”

(Johannes der Täufer schaut zu seinem Oberbefehlshaber
auf, nachdem er einen Dieb gefoltert hat, sagt:
"Sag mir, großer Held, aber mach es bitte kurz,
gibt es für mich eine Grube, in die ich mich erbrechen kann?")

The Commander-in-Chief answers him while chasing a fly
Saying, "Death to all those who would whimper and cry"
And, dropping a barbell, he points to the sky
Saying, "The sun's not yellow, it's chicken"

(Der Oberbefehlshaber antwortet ihm während er eine Fliege jagt,
sagt: "Tod all jenen, die wimmern und flennen!"
und, eine Hantel niederlegend, deutet er in den Himmel,
sagt. "Die Sonne ist nicht gelb, das ist Hühnchen.")

The king of the Philistines, his soldiers to save
Puts jawbones on their tombstones and flatters their graves
Puts the pied pipers in prison and fattens the slaves
Then sends them out to the jungle

(Der König der Philister bringt, um seine Soldaten zu retten,
Kiefernknochen an ihren Grabsteinen an und schmeichelt ihren Gräbern,
bringt die Rattenfänger ins Gefängnis und mästet die Sklaven,
bevor er sie in den Dschungel hinauschickt)

Gypsy Davey with a blowtorch, he burns out their camps
With his faithful slave Pedro behind him, he tramps
With a fantastic collection of stamps
To win friends and influence his uncle

(Gypsy Davey fackelt ihre Zeltlager mit einem Schweißbrenner ab,
sein treuer Sklave Pedro hält sich dicht hinter ihm, er streift
umher mit einer fantastischen Stempelsammlung,
um Freunde zu gewinnen und seinen Onkel zu beeinflussen)

Gypsy Davey bezieht sich auf das schottische Folkslied "The Raggle Taggle Gypsy" und ist eines der populärsten Kinderlieder des englischsprachigen Raums. Pedro steht für die Minderheiten, die Einwanderer, die Sklaven, die im Krieg zuerst verheizt werden. Meine Übersetzung funktioniert in der letzten Zeile kaum, denn mit den vorangehenden "Stamps" sind die Stempel in den Pässen, und der Onkel, der gemeint ist, ist "Uncle Sam"

Weiter oben haben wir jedoch eine Statement gegen den Vietnam-Krieg: Johannes der Täufer ist ein Symbol für den Amerikanischen Soldaten, der sich als Geburtshelfer für ein "größeres Gutes" sieht, so wie die biblische Gestalt des Johannes den Messias ankündigte.

The geometry of innocence, flesh on the bone
Causes Galileo's math book to get thrown
At Delilah, who's sitting worthlessly alone
But the tears on her cheeks are from laughter

(Die Geometrie der Unschuld, Fleisch auf den Knochen,
war der Auslöser dafür, dass Galileis Mathebuch
nach Delilah geworfen wurde, die nichtsnutzig alleine herumsitzt,
aber die Tränen auf ihren Wangen stammen vom Gelächter)

Dalilah ist wieder eine biblische Figur, die nämlich den als unbezwingbar geltenden Samson verriet.

I wish I could give Brother Bill his great thrill
I would set him in chains at the top of the hill
Then send out for some pillars and Cecil B. DeMille
He could die happily ever after

(Ich wünschte, ich könnte Bruder Bill seinen großen Nervenkitzel
verpassen, ich würde ihn oben auf dem Hügel in Ketten legen,
dann nach einigen Säulen und Cecil B. DeMille schicken lassen,
er könnte sogar heute noch friedlich sterben)

Brother Bill ist Billy the Kid, Cecil B. DeMille war unter anderem der Regisseur der "Zehn Gebote".

Where Ma Rainey and Beethoven once unwrapped their bedroll
Tuba players now rehearse around the flagpole
And the National Bank at a profit sells road maps for the soul
To the old folks' home and the college

(Wo einst Ma Rainey und Beethoven gemeinsam ihren Schlafsack entrollten,
jetzt Tubabläser um den Fahnenmast herum proben
und die Staatsbank mit Gewinn Sraßenkarten für die Seele
an Altersheime und Schulen verkauft)

Ma Rainey, als Mutter des Blues (1868 -  1939) bekannt, war die erste professionelle Sängerin, die den Blues in seiner traditionellen Form bewahrte und gleichzeitig bekannt machte. Ihre hier dargestellte Verbindung mit Beethoven an einem Platz, der jetzt von Tubaspielern belagert wir, ist im Grunde ein Seitenhieb auf die zunehmende Kommerzialisierung der Musik. Interessanterweise hat man das Dylan Mitte der 60er Jahre selbst vorgeworfen, als er sich vom Folk distanzierte, um seinen eigenen künstlerischen Ausdruck zu vervollkommnen.

Now I wish I could write you a melody so plain
That could hold you dear lady from going insane
That could ease you and cool you and cease the pain
Of your useless and pointless knowledge

(Ich hoffe, ich kann dir eine einfache Melodie bieten
die dich, meine liebe, davon abhält, verrückt zu werden,
die dich erleichtert, dich beruhigt und den Schmerz beendet
der durch unser nutz- und sinnloses Wissen entsteht)

04.10.17

Zweifell


Wir haben verwahrt, aufgebahrt und hergerichtet. 
Die Tische. Die Stühle. Auf den Tellern 
die Masken. Die gelösten 
Zungen im Glas. Nun ist dieser Raum 
offenen Mundes 
für immer zu schließen. 

Das Rätsel der Frau 
Herkunft oder Umwelt 

Vor einer roten Wand 
entkleidet sich die Sphinx zweier Felle, kommt näher 
und streift die Haut auf 

Die Tiefe

Schnittmengen


Die Kommunikation ist ein interstellares Lächeln;
Zungenzeichen treiben die Boten in die Irre. Es
Verschwinden die großen Trübsale, die mit
Schweren Trauben behalftert auf der Gegenseite
Eine rechtsdrehende Ausfahrt nutzen. Die Blässe

Wird vom ausstehenden Teint verursacht, einer
Marter, die zu überstehen ist im Gegensatz zur
Syphilis, gegen die man an Schulen geimpft
Wird, die das Leben als etwas kennen, das
Rein zufällig durch den Gärprozeß

Ausgelöst wird, den man in Erlenmeyerkolben
Nach=brodelt. Man häuft etwas Katzengold
An, wenn die Stille überhand zu nehmen
Droht, steckt in die Zigarette einen Nagel,
Der gegen Mangelerscheinungen hilft, spuckt auf den

Boden wie ein Professor, und masturbiert auf
Einem Fahrrad während der Sommermonate.
Alles in allem ist der Wahnsinn ein abgekartetes
Spiel, wo immer die Ampel eine weitere
Möglichkeit bereit hält, den Verkehr zu schockieren.

Truthahnfett rinnt über schlanke Wege, die Fallen
Erhöhen den Einsatz, an Menschenfleisch zu
Gelangen. In der Sänfte ein versteckter Dolch.
Außerhalb der Sonne tropft ein Vulkan in das
Paradies mit den symmetrischen Hörnern unter

Dem Haupthaar. Unter einer verbrannten Amsel
Entsteht ein neues Einkaufszentrum mit Tiefpreisen
Unter Null. Bienen werden beim schwarz=Honigmachen
Erwischt. Ihre Strafe soll sein die unbekannte
Königin. Allerdings hatte die Strecke auch ihr

Gutes, bestand nicht nur aus Kurven und Geraden,
Sondern ebenfalls aus einer Hypotenuse, die sich
Wie eine Krawatte binden ließ. Als du mich vor
Der Kommode entdecktest, war dir anzusehen, daß
Du es auf diese Art tun wolltest, die mich zur

Legende machen würde. Doch bräuchten wir hierfür nicht
Eine Menge Benzin? Meine Taschen waren längst 
Zugenäht und deine hielten dem stürmischen Beifall
Kaum stand. Nur deshalb sprangen wir gemeinsam aus
Dem Fenster auf die Markise des Drachentöters.

Im Nachhinein hätten wir uns die Schuhe binden 
Sollen, vielleicht wären wir dann woanders heraus-
Gekommen. So aber blieb uns der Trost
Des Sommergewitters auf einer Schallplatte.

03.10.17

Eine alte Dame geht aus



Sprecher: Michael Perkampus / Claudia Maulwurf

Manchmal stellte sie das Radio an. Es kam ihr dann so vor, als wäre jemand bei ihr im Raum und spräche sie an. Antworten müßte sie ja nicht, aber sie tat es trotzdem. Oft sagte sie: "Ihnen auch!" Oder: "Das haben Sie wieder einmal fein ausgedrückt!" Sie ging in der ganzen Wohnung umher und betrachtete die Wände, die Figuren auf manchen Regalen, die Teller in der Vitrine. Manchmal gab es im Radio ein Lied, das sie kannte. Das akustische Fenster, das sie davon überzeugte, daß es eine Welt außerhalb ihrer Küche gab. Lange war sie nicht mehr raus gekommen, woher sollte sie also wissen, ob die Straße vor ihrer Haustüre überhaupt noch existierte? Vielleicht war da schon längst eine Autobahn entstanden. Sie hätte televisionieren können, damit kannte sie sich allerdings nicht besonders gut aus; sie wußte nicht, wie man zuschaut, und deshalb gab es für sie nie ein Bild, dem sie hätte folgen können.
Das Radio war die Lebhaftigkeit in Person, darin war die ganze Welt vertreten, sogar das ›Weiße Rauschen‹, das sie sich manchmal ebenfalls einstellte. Und heute - heute wollte sie wieder einmal ausgehen. Dafür hatte sie ihr einziges bestes Kleid im Bügelofen bügeln lassen. Manchmal aber wollte sie Stille. Es kam ihr dann so vor, als sei sie die letzte Überlebende eines großen Irrtums. Dann sagte sie in die Stille hinein: »Ich habe es schließlich gewußt!« Oder: »Es ist schon merkwürdig!« In der Stille hörte sie den Boden an manchen Stellen knarzen. Ab und zu, wenn ihr danach war, küßte sie eine der Wände, anstatt sie nur anzusehen, die Figuren in manchen Regalen. Jetzt aber nahm sie ihr Kleid, zog es an - und auch ihre einzigen besten Schuhe vergaß sie nicht, bevor sie sich ins Bett legte. Im Radio lief ein altes Lied.


02.10.17

Schellack



Sprecher: Michael Perkampus / Claudia Maulwurf / Fafnir Fiedler

»Auch ich möchte wissen, wer Sie sind« sagte sie. Ich ließ sie stehen und ging nach nebenan. Kurz darauf kam sie herein, erschüttert ob meines Verschwindens, aber ich zuckte mit den Schultern, als ich sie so schüchtern stehen sah, das Licht aus dem Nebenraum über ihre Schultern geworfen. Dieses Licht beleuchtete nichts und nahm ihr für einen Augenblick die Ziselierung aus dem Gesicht. »Was tun wir nun? Was fangen wir an?«
»Wir hören uns ein paar Aufnahmen an - Tonband, oder besser: das gute alte Schellack!«
»Die Läuse?« Ihre Augen traten ins Dunkel.
»Ja. Gibt es nicht mehr. Die Platten sind schwer, schmerzen aber wundervoll, wenn man sie auflegt.«
»Sie tun so, als würde ausgerechnet ich Ihnen zuhören.«
»Ich weiß.« Ich fühlte mich ertappt, doch dem durfte man keine Träne nachweinen. Sie stand noch immer im Türfutter. »Schließen Sie doch die Tür, wenn Sie noch etwas bleiben wollen!«
Sie schloß und schloß. "Dann ist die Tür aber für immer geschlossen!"
»Sorgen Sie sich nicht, wir nehmen das Fenster! Allein, dass wir beide diese Atmosphäre teilen - das sehe ich doch richtig? - läßt eine geschlossene Tür alt aussehen.«
»Warum sind Sie vor mir geflüchtet?«
»Sie wollten etwas anderes fragen! Zwingen Sie sich nicht, zu lügen - sagen Sie lieber etwas falsches!«
»Sie meinen, daß ich Sie liebe?«
»Das wäre nicht das erste Mal.«
»Und ich käme auch noch damit zurecht.« Sie lachte kurz auf und setzte sich aufs Bett. Was sie trug, trug sie nur zum Spaß. Es war nicht ihr Stil. Den verbarg sie unter ihrem Mieder. Ich ging zum Grammophon und legte Donegan Lonnie Skiffle unter die Nadel. Rauch stieg auf und sorgte für den Vanillegeruch.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir das Licht einschalten? Ich kann Sie gar nicht sehen« sagte sie.
»Sie wagen sehr viel - tanzen Sie mit mir!«
Sie erhob sich raschelnd und lief im Zimmer hin und her, um mich zu finden. Ich blieb still und wartete, bis sie nach all den Gegenständen, die sie umwarf, endlich gegen mich rempelte. Ich griff schnell zu und walkte ihre Arschbacken, preßte ihren Unterleib an meinen. Ihr Atem veränderte sich. Sie beherrschte das Morsen.
Lang, kurz - kurz, kurz - lang, lang - lang, kurz, kurz - lang, kurz, lang - kurz - kurz, kurz, kurz, kurz: nimm mich!
»Sie atmen vorzüglich« flüsterte ich. »Sie kultivieren Ihren eigenen Slang!« Erst jetzt bemerkte ich, daß sie ihre Zunge verschluckt haben mußte, denn es befand sich keine in ihrem Mund. Sie begann, lasch zu werden, brach unter meinen knetenden Händen zusammen. Es mußte jetzt schnell gehen. Ich sprang zur Tür, riß sie auf und rief: »Ein Notfall!«
Skiffle, der auch auf dem Plattenteller lag, war der erste, der reagierte. Mit wenigen Blicken hatte er sich im Zimmer umgesehen und die Situation erkannt, kniete nun vor ihrem blauen Gesicht und schüttelte den Kopf. Nach und nach strömten auch die anderen herein.
»Sie ist tot« sagte Skiffle mit seinem Kratzen und Rauschen in der Stimme.
»Sie sollten sich auf CD pressen lassen« riet ich ihm.
»Da haben Sie recht. Das werde ich.«