1

Corona
Zwingt
Uns
Hinter Masken
Reißt sie zugleich
Der gesamten
Gesellschaft
Vom
Gesicht
(Was früher wie
Geschmiert lief oder
Wegefaket wurde, das
Rächt sich brutal:
Diese
Negativ-
Auslesen
Nach
Oben
Die in Bürokratien
Transparent-blinde
Statthabende
Serienmäßig gesteigerte
Produktion von Ohnmacht
Und
Vertuschung
Freiheit für
Lehre und Forschung?
Totgespart. Geiz sei
So was von geil.
Hat sich ja jetzt
Richtig gut
In der Pandemie
Ausgezahlt.
Fabrikation von
Dementia digitalis[1] bzw.
Beförderung des Weltunwissens:
Strom kommt aus der Steckdose.
Die Kuh aus der Milch
Und dem Supermarkt.
Und wenn ich spazieren gehe,
Muss ich aufpassen, nicht vom
Rand der Scheibe zu fallen.
Wäre sowieso wichtiger, die
Richtige Meinung zu haben.
Und der Liebe Gott
Knipst abends die
Sterne an. Krass,
Wie viele Follower Der hat …

PS: Vielleicht könnte ich ja mein
Gehirn in eine Cloud hochladen?
Dann wäre ich für immer und ewig
Unsterblich. Dann können mich
Diese Viren mal!
(Oh, war das eben böse.)
Dann und nur dann.
Bis jemand den Stecker zieht.
Oder die Sonne sich ausdehnt.)
2
Pflegenotstand?
Bekannt erst
Kürzlich
Seit
Jahrzehnten
3
Heilbringer?
So viele
Gedanken
Ungedacht
So viele
Lieben
Ungelebt
So viele
Kinderseelen
Zerbrochen
4
Wenn ich mit nur einem Gleichnis
Diesen Jesus von Nazareth rekonstruieren sollte,
Was für ein Mensch erstünde da? Ein Poet,
Der die Schöpfung liebt; der Gott mit Du anredet;
Der gütig ist; der Auswege sucht; der mir sagt,
Es ist nie zu spät, fang noch einmal neu an, anders.
Der Brot und Zeit für alle haben möchte. Bei einem
Guten Wein, mit einem fröhlichen Gespräch. Für den
Macht, Prunkt und Gloria nichts bedeuten. Und alles ein
Nichts im Vergleich zum Lächeln eines Kindes.

5
Flensburg in Weiß
nach Edgar Allan Poe
Weiß
Der Schnee
Fällt mittlerweile horizontal.
Auf dem Baum gegenüber
Von meinem Fenster
Sitzt eine
Krähe.
Ich telefoniere.
Jetzt sind es schon vier Krähen.
Ich schreibe eine Mail.
Der Baum wird immer schwärzer.
Ich denke an „Die Vögel“ und überlege mir,
Wie lange mein Kühlschrank und ich durchalten
Können. Aber ein Corona-Virus
Krächzt vom Regal herab: Nimmermehr.
Oh nein, dies
Dämonisch Gedicht …
Und die Mutanten: immer mehr.
Und die Politik: immer hinterher.
Flensburg
Ist rot.
PS I
Ich bin für
Bußgelder
Ohne Verwarnung
Ohne Diskussion
Für inkompetente
Politikerinnen
Und Politiker
PS II
Oh, wie leicht ist es
Doch, auf den Amazonas
Zu verweisen, hier während
Hier auch Wälder illegal
Abgeholzt werden, hier
Und illegal.
Lächelnd die Politik.
6

Jedes Leben zähle.
Fehlender Impfstoff.
Chor: Ich war’s nicht.
Ich war’s nicht.
Solo: Ihr schafft das schon!
Chor: Ich war’s nicht.
Ich war’s nicht.
Solo: Wir waren’s nicht.
Wir waren’s nicht.
7
Also, ich stelle mir vor,
Wenn wir einmal eine
Echte, schlimme, richtige
Katastrophe hätten,
In der reagiert und
Regiert werden müsste
In Echtzeit und
Mit Vorausblick,
Mit Besonnenheit
Mit Weisheit,
Mit Wissenschaftlichkeit
Und mit Blick
Für das Menschliche,
Ohne Tricks, Deals und Fake News,
Und ohne Aufgabe der Grundrechte,
Dann wären wir doch in absolut
Echt richtig kompetenten Händen.
8
[Schweigeminute]
9

Nicht aufhören können
Weitermachen um jeden Preis
Noch mehr Gewinne
Das war ja so schön
Nichts von der Macht abgeben
Weiter lügen
Die könnten uns ja etwas wegnehmen
Weiter plündern
Das steht und von Rechts wegen zu
Weiter abkassieren
Wir hätten innehalten können,
Um nachzudenken, etwas anders
Zu machen, hätten. Sollen. Dürfen.
Tun. blablabla.
10
Logik
Damit die Großelterngeneration
Vor Corona geschützt werde,
Sollen Eltern und Schüler/innen zu Hause und
Kitas und Schulen geschlossen bleiben.
Darum müssen aber nun viele Großeltern
Mit Zug, Bus und Bahn zu den Enkelkindern fahren,
Damit die Eltern im Homeoffice entlastet würden.
Oder weil die Eltern nicht im Homeoffice arbeiten dürfen.
Voll logisch. Zielführend.

11
Man stelle sich vor, da gäbe
Es eine Republik die ihre Bewohner
In einer Krise mit der dort üblichen
Währung Bananen unterstützen möchte,
Was volltönend die Medien
Herumposaunen.
Aber dann behördliche Angst
Vor Missbrauch: von 1000 Einwohnern
Könnten ja, sagen wir, 8 irgendwie krumme
Dinge machen; darum:
Wer auf dem Formular auch nur ein
Häkchen falsch macht, kriegt die Hölle auf
Den Hals gehetzt …
Oder warten wir mal locker
100 Tage ab, mal sehen, wer’s überlebt.
(Natürlich verzichteten die zuständigen Behörden
Aus Solidarität auch 100 Tage lang
Auf ihre Bananen …)
Wenn aber irgendwo Milliarden Bananen
Verschwinden: Niemand habe einen Fehler gemacht,
Alles wäre formal richtig gewesen. Systematisch und
Organisierte Verantwortungsdelegationsautomatismen.
12

Nach der
Abwahl eines
Gewissen
Präsidenten:
… die sinkenden
Schiffe verlassen
Die Ratte
13
Wir müssen wieder lernen,
Sterbliche zu sein. Aber wenn
Wir miteinander, gemeinsam,
Liebend und verstehend,
Diese schweren Wege gehen,
Dann werden wir ein wenig,
Eine kleines bisschen
Unsterblicher.

14
Hilfe, wir brauchen ein Raumschiff,
Die Sonne wird zu einer Supernova!
(Äh, wat isn dat??? Guugel doch ma …)
Nein, das Geld dürfen Sie dafür nicht
Verwenden, es ist nur für Sonnenbrillen
Gedacht. Wir müssen formal alles
Richtig machen. Formal!
Aber, das ist eine Supernova!
Dann setzen Sie halt mehrere
Sonnenbrillen auf.
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Heute
Wollen Influencer
(Marionetten an welchen Fäden?)
Unsere Aufmerksamkeit,
Unsere Geschichten und
Unsere
Selbständigkeit
(Die noch bei
Einem Pakt mit dem Teufel
Grundlegend vorausgesetzt wurde.)
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Gemeinsinn, Gemeinschaft
Getrieben in virtuelle Gefängnisse,
In die man sich freiwillig und jubelnd begab,
In die Arena des Neoliberalismus,
In der Clans und Stämme um das bisschen Rest
Erde kämpfen müssen. Seien Sie live dabei,
Wenn Ihre Konkurrenten/innen …!

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Gut, dass die Menschenwürde
Schwuppdiwupp
Mit einem Haarschnitt
Wieder hergestellt werden kann.
Ich dachte in meiner Naivität:
Verteidigung der Grundrechte,
Freie Wahlen, Zugang zu
Bildung und sauberem Wasser
Oder so ähnlich …
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Handyunser in der Cloud
Geheiligt werde dein Markenname
Dein Reichtum komme
Dein Influencing geschehe
Im Virtuellen wie im Analogen
Unsere täglichen Streamings
Gib uns heute und vergib
Uns unsere Schulden.
19
… und meine
Seele wandert fern:
Die Sternbilder
Sind voll, zu voll mit Sehnsucht
In einer Sommernacht
In der Liebende
Verlieren
Was sie sich erträumt
Und finden
Was sie sich nie geträumt
20
Los
Geht’s:
Planlos,
Phantasielos,
Empathielos,
Visionslos,
Erbarmungslos,
Ideenlos.
21
Wir leben
In einem so hohen
Hochhaus,
Dass wir die Wolken
Für die Erde halten
Und uns nicht mehr
An die Fundamente
Erinnern. So schauen
Wir aus dem Fenster
Nach draußen, aber nur
Noch selten, die Blicke
Sind nun nach Innen
Gerichtet. In Räume
Voller Spiegel.
22
Jedes Leben zähle.
Wir dürfen fragen:
Leben oder Lebensstil?
Wer entscheidet,
Welches Leben zählt?
(Das nordamerikanisch-
Europäische;
Das im Mittelmeer
Untergehende;
Das auf der Flucht?)
Wer?
Und wie viele
Unsichtbare Tode
Müssen andere
Menschen, Pflanzen
Und Tiere sterben,
Damit wir uns, uns,
Unseren
Lebensstandard leisten?
Unsichtbar … unhörbar.
Sonst würde ja die
Konsumparty gestört.
23

Wir müssten die Grundrechte
Verteidigen: gegen Populisten,
Mutanten, machtgeile Wahlkämpfer
Und Angst. Und Panik.
Und selbst dem Teufel
Würde ich erklären und diskutierend
Argumentieren, dass, auch wenn
Uns das Weihwasser ausginge,
Eine Demokratie die Grundrechte nie
Aufgibt und Warum.
Denn irgendwann
Macht sich der Teufel
Wieder vom Acker.
Die Frage ist: Wie wollen
Wir danach weiterleben?
Als welche Menschen?
Wir wurden schon einmal
Aus dem Paradies vertrieben.
24
Rufer in der Pandemie:
Mut zur Komplexität!
Macht die Ebene
Wieder zu Berg und Tal!
25
Corona-Solo von Markus
Tag 346: Außeneinsatz
Muss die Bodenstation verlassen.
Erschwerend meine Schwerbehinderung.
Jacke und
Orthopädische Schuhe: an.
Brille: einsprühen
Antibeschlagspray.
Maske: auf.
Stock: in der einen Hand.
Müllsack: in der anderen.
Halt, Handschuhe und Mütze
Vergessen. … Erledigt.
Stock: in der einen Hand.
Müllsack: in der anderen.
Moment, wie soll ich jetzt
Die Tür abschließen?
… Erledigt.
Den Flur scannen. Die Luft
Ist rein. Treppe schnaufend
Hinab, atme langsam du
Musst Sauerstoff sparen
Halte dich am Geländer fest
Licht geht aus, toll, wie immer
Aber gleich geschafft.
Haustür auf: scannen. Luft
Ist rein. Keine mobilen
Corona-Transporter. Durch
Schnee und Eis ein paar
Meter zum Hoftor.
Stock: in der einen Hand.
Müllsack: in der anderen.
Moment, wie soll ich jetzt
Das Tor aufschließen?
… Erledigt.
Gelbe Tonne anpeilen.
Deckel zugefroren.
Müllsack und Stock abstellen.
„Basis, ich habe ein Problem,
Das dauert hier länger.“
Müll endlich abgeliefert.
Rückweg einschlagen, bevor
Es dunkel wird.
Schnell noch die Post holen.
Stock: in der einen Hand.
Briefe: in der anderen.
Mit der dritten schließe ich
Die Haustüre auf. Irgendwie.
Japsend die Treppe hoch.
Hinter mir Geräusche.
Schneller.
Tür erreicht.
(Und vergiss nicht im
Logbuch zu löschen dass
Du mit der Mülltonne
Geredet hast)
Stock: in der einen Hand.
Briefe: in der anderen.
Schlüssel? Brille beschlagen,
„Ich sehe nichts mehr, Basis.“
„Halten Sie durch, Chef.“
Ich fühle den Schlüssel.
Erreiche mit Atemnot den
Flur. Was ich später
Im Spiegel erkenne,
Deckt sich kaum noch mit der
Erinnerung an mich.
Japs. Schnauf. Noch die
Schleuse schließen.
(Ich möchte mich für die erste
Marsmission vorschlagen. Ich kann
Auch alleine fliegen …,
Monatelanges Training …).
Maske: ab.
Tief einatmen.
Mütze: ab.
Händewaschen.
Dann Homeoffice:
Upgrades, Akkus leer,
Druckerpatrone fast am Ende,
Kein Papier mehr …
Druckerpatrone: in der einen Hand.
Heißen Kakao: in der anderen.
In der dritten: ein Buch.
Erledigt.

26
Faun[2]
In meiner Erinnerung: laufe ich
Durch Schnee; abends; kalter
Winterhimmel, an einem Ort,
An einem Ort in Dänemark,
An dem ich heute nicht
Mehr sein darf. Und meine
Seele wandert fern:
Die Sternbilde
Sind voll, zu voll mit Sehnsucht,
Landkarten im kosmischen
Maßstab unserer Phantasien
Und Mythen.
Für uns wandernde Eintagsfliegen
Scheinen uns die Sternbilder ewig
Stille zu stehen. Doch sie wandeln
Sich, aber so gnädig langsam, dass
Wir es nicht sehen können,
Wenn wir, wenn sie
Wandelnd wieder werden zu
Baum und Fluss,
Nymphe und Faun, der
Bei aufziehender Venus
Zufrieden die Flöte,
Die ihn selbstvergessen
Gespielt, nun
Beiseite legt, dass er
Lausche:
Den singenden Blättern,
Den singenden Wassern,
Den singenden Nymphen.
In dieser Sommernacht
Schimmert Venus fern.
(Ich
Vergesse die
Winterkälte in dieser
Erinnerung einer
Erinnerung.)
Und aufsteigend, ein Echo
Der Täler und Gründe:
Mein Stauen
Über all das –
Hier in der Hand oder
Dort geträumt –
Mein Staunen
Über all das,
Was ist.

[1] Siehe dazu M. Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen, München 2012.
[2] Inspiriert von einem Picasso-Bild, abgebildet z.B. auf dem Cover von P. Vergilius Maro: Bucolica/Hirtengedichte, lat./dt., übers. v. M. v. Albrecht, Stuttgart 2001.

Markus Pohlmeyer, der vor kurzem seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegte, bei uns hier. Sein Corona-Zyklus: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8. Seine Shut Down Haikus hier.
Gerade erschienen: Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Dritter Teil. Die Corona-Zyklen I-VI. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 22, 1. Aufl., Hamburg 2021.