Geschrieben am 15. Juni 2017 von für Bücher, Crimemag

Mike Ripleys Geschichte des britischen Thrillers

ripley cover 9780008172237Nur noch kurz die Welt retten

Reading ahead (11): Mike Ripleys „Kiss Kiss, Bang Bang“

Einen Abend wie 1984, als Len Deighton seinen Kollegen Eric Ambler zu einem kleinen Lunch ins Savoy in London einlud und ihm dann dort die Überraschungsgäste John Le Carré, Lionel Davidson, Miles Tripp, Gavin Lyall, John Gardner, Frederick Forsyth, Ted Allbeury persönlich und aus der Schweiz Graham Greene per Telefon zum 75. Geburtstag gratulierten – so etwas gab es nur einmal, und es war der Höhe- und zugleich schon Schlusspunkt einer Entwicklung, die runde zwei Jahrzehnte angedauert hatte. Rule Britannia!

Mitte des 20. Jahrhunderts hatte Großbritannien zwar ein Imperium verloren, aber es waren seine (fiktiven) Geheimagenten, die unentwegt die Welt zu retten hatten. England regierte klar den Thriller. James Bond hatte vielerlei Kollegen und britischer Abenteuer- und Pioniergeist führte immer noch in die unmöglichsten Winkel der Welt. Kiss Kiss, Bang Bang nennt Mike Ripley seinen Rückblick auf eine literarische Entwicklung, die von 1953 bis Mitte der 1970er Jahre währte. 155 britische Autoren (plus einige Südafrikaner) stellt er vor, zeichnet Karrieren und Wirkungswege nach. Der Titel des Buches stammt aus einem Briefwechsel Ian Flemings mit Raymond Chandler, in dem der Brite seine eigenen Agentenromane als „pillow fantasies of the bang-bang, kiss-kiss variety“ bezeichnet hatte.

Mike Ripley – persönlich und in seinen Krimikritiken eher eine Schwatzbacke – hat für seine Thriller-Geschichte recht diszipliniert gearbeitet, aber präsentiert manchmal konfus und man muss ihn gegen den Strich lesen. Als Parallellektüre äuerst reizvoll ist Donald McCormicks Who’s Who in Spy Fiction von 1977, als damals noch vieles frisch war, auf das Ripley nun zurückblickt und sich manchmal seltsam verzettelt. Generell und durchaus in ordnung unterscheidet er in „adventure thrillers“, zu denen Hammond Innes und Alistair Maclean gehörten, in „spy fantasy“ (mit Ian Fleming oder James Leasor) und die realistischere „spy fiction“ mit John Le Carré, Len Deighton, Ted Allbeury, Anthony Price. Literarisch sortiert und wägt er nicht immer mit der Feinwaage, er hält es eher pauschal mit Jerry Palmers Aphorismus von 1978 (aus Thrillers: Genesis and Structure of a Popular Genre): „Ich würde sagen, dass das Schreiben von Thrillern so etwas wie Kochkunst ist. Man kann zwei Köchen genau die gleichen Zutaten höchster Qualität geben, und der eine wird etwas solch Köstliches damit fabrizieren, dass Sie schwelgen, während der andere nur Essen macht.“

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Die Umschlag-Innenseiten von „Kiss Kiss, Bang Bang“

Manches fordert auch zur Kritik heraus

Ripley skizziert Zeit und Kulturgefüge, schildert „The Land before Bond“ und schreibt dann in zehn Kapiteln so etwas wie eine Geschichte des britische Thrillers. Abgerundet wird das Werk von einem umfangreichen Anhang. Schön, dass auch ein Register dazugehört. Denn manche Namen wird man vergeblich suchen oder an unvermuteten Stellen finden. Dass er Eric Ambler nicht unter die „Leading Players“ zählt ist schon sehr merkwürdig, auch beim „Supporting Cast“ bin ich nicht immer seiner Meinung.

riple modesty 3293203639Modesty Blaise-Schöpfer Peter O’Donnell zum Beispiel wird zwar im Text erwähnt, erhält aber kein eigenes Porträt. Fast scheint es, weil Ripley mit der Joseph-Losey-Verfilmung nichts anfangen konnte, weniger jedoch noch mit der Amazonenfigur an sich. Nun ja.

ripley Hall_Quiller_Memorandumripley Hall_ScorpionAuch für Adam Halls heute noch innovative Agentenfigur Quiller hat er letztlich wenig Liebe und Verständnis, Distanz hält er auch zum äußerst hartgesottenen James Munroe (James Mitchell). Sein großes Faible gilt Len Deighton und Alistair Maclean. Immerhin. Desmond Bagley, Francis Clifford, Lionel Davidson, Ian Fleming, Frederich Forsyth, Dick Francis, Jack Higgins, Hammond Innes, John Le Carré, Gavin Lyall, Berkley Mather, Anthony Price, Wilbur Smith, Alan Williams kommen ausführlich vor.

Eine der größeren Fehlstellen finde ich John Kruse (Der Name der Lilie, Red Omega), dessen Zeit am Ende des britischen Thrillerreichs lag und so etwas wie die Kumulation einiger Linien war. Man kann an Ripleys Buch einiges kritisieren, aber was er insgesamt wieder ans Tageslicht rückt, das ist schon beachtlich. Und macht großen Spaß.

So habe ich zum Beispiel Lust bekommen, die grandiosen Naturthriller des Südafrikaner Geoffrey Jenkins wiederzulesen (A Twist of Sand, A Grue of Ice, River of Diamonds). Sie aber sollten, wenn Sie ihn nicht längst kennen, zu allererst Lionel Davidson besuchen (Die Rose von Tibet, Der Rabe).

ribley davidson 9780060805937-uk-300ripley davidson 9783328100027_1465836433836_xxlDas Cover zitiert den Alistair MacLean-Titel When Eight Bells Toll (Das Mörderschiff), die Rückseite ziert eine der eleganten Ladies von Peter McGinnis (zur CrimeMag-Gratulation anlässlich dessen 89. Geburtstag geht es hier). Alleine schon die Umschlaginnenseite des Hardcovers mit den vielen alten Taschenbuchcovern weckt nostalgische Gefühle: Als die Welt noch so groß und unbekannt war, dass Bücher uns in fremde Länder und Abenteuer entführen konnten – einfach so. Es war tatsächlich ein goldene Zeitalter, genauer: Zwei Jahrzehnte. Mit erstaunlich vielen tollen Büchern – deren gelegentlich ziemlich chauvinistischen Gehalt Ripley nicht verschweigt. Als Wendepunkt benennt der Chronist das verstärkte Erscheinen der amerikanischen Konkurrenz. Robert Ludlums Scarlatti Inheritance erreichte 1972 Millionenauflagen, dann kamen David Morells erster Rambo-Roman First Blood (1972, übrigens ein richtig gutes Buch) und Brain Garfields Death Wish. Spätestens mit dem Tod von Alistair MacLean 1987, dann mit Gorbatschows Glasnost und dem Wegfall des großen Feindbildes Sowjetmacht sieht Mike Ripley die literarische Vorrangstellung Britanniens schwinden. Schmunzeln musste ich bei seiner Vorbemerkung: „There will be spoilers. Live with it. Many of the thrillers referred to here were published fifty years ago. You’ve had time.“

ripley lyall Most Dangerous Game1ripley Gavin_Lyall_–_The_Wrong_Side_of_the_SkyMike Ripley ist Autor von 21 Kriminalromanen, er war der Krimikritiker des „Sunday“ und dann „Daily Telegraph“, dann der „Birmingham Post“, besprach in der Zeit von 1989bis 2008 insgesamt 978 Krimimalromane. Auf shotsmag.co.uk schreibt er die Kolumne „Getting Away With Murder“.

Gut, dass die britischen Thrillerautoren der Goldenen Zeit nicht davon gekommen sind.

Alf Mayer

 

ripley jenkins 710MQO7YxOL._AC_UL320_SR200,320_ripley jenkins 511NXvg4R0L._SX321_BO1,204,203,200_Mike Ripley: Kiss Kiss, Bang Bang. The Boom in British Thrillers from Casino Royale to The Eagle Has Landed. How Britain lost an Empire but ist secret agents saved the world. HarperCollins, London 2017, 428 pages, 20,00 GBP.

 

Reading ahead mit CrimeMag:
(10) Stephen Hunter: G-Man
(9) James Ellroys Fotoband: LAPD ’53
(8) Richard Price: The Whites
(7) Dominique Manotti: Noir
(6) Chuck Logan: Falling Angel
(5) Tod Goldberg: Gangsterland
(4) Gerald Seymour – ein Porträt
(3) Donald E. Westlake: The Getaway-Car
(2) Garry Disher: Bitter Wash Road
(1) Lee Child: Personal

Sowie:
Kem Nunn: Chance (2013)
R. J. Ellory: A Quiet Belief in Angels (2012)
Lee Child: Jack Reacher’s Rules (2012
Charles Bowden:
Murder City: Ciudad Juárez and the Global Economy’s New Killing Ground (2010)

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