Markus K. Korb
Grausame Städte
o.O.: Blitz Verlag 2003 158 S. 9,90
(Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek 1)
Dieser Band, der eigene Geschichten des Reihenherausgebers Markus Korb vorstellt, enthält zwei Geschichtenzyklen; einer, von vier Geschichten, spielt in Venedig, der zweite (5 Geschichten) in Berlin. Beide sind ziemlich morbide. In der ersten Geschichte Concetta hält ein nekrophiler Mörder Zwiesprache mit seinem Opfer, d.h. er führt Selbstgespräche, denn seine ersehnte Geliebte ist tot, von ihm ermordet, während er sich die Erfüllung seiner Liebe erwartet und alles in Flammen aufgehen lässt, als die Polizei sein Versteck in einem Palazzo in der Nähe des Canale Grande stürmt. Da der Mann völlig verrückt ist, ist seine Rede zwar morbide, aber auch völlig überraschungslos. Im Carnevale a Venezia wird ein weiterer Ich-Erzähler mitten im bunten Narrentreiben von der Vergeblichkeit allen Daseins überfallen, was ihn gerade zum Ende des Karnevals in Tränen ausbrechen lässt. Das Ikarus-Prinzip wartet mit der originellen Idee einer Reise zu ausgefallenen Selbstmord-Plätzen durch Suisite-Tours an; der Erzähler betätigt sich nach einer Reihe phantasmagorischer Erlebnisse, die ihn in eine vergangene Zeit zurückzuführen scheinen, als Ikarus und fällt unbeachtet in den Canale Grande, denn er hat doch nicht zu fliegen vermocht. Diese Geschichte hat ihre beklemmenden Momente. Die Insel der Gräber führt auf die Begräbnisinsel San Michaele in der Lagune von Venedig, die den Toten vorbehalten ist, aufgrund eines uralten Paktes mit einem geheimnisvollen und sinistren Meeresbewohner, der im Austausch für die Leichen, die man ihm als Nahrung darbringt, die Schiffe der Venezianer in Ruhe lässt. Der Protagonist findet in dieser Hommage an Lovecraft die enorme Natur dieses Wesens heraus, die er nicht erahnt hat.
In Insomnia streift ein Künstler, dessen Ziel die Auflösung menschlicher Formen ist, durch das ausgelassene Leben des Berlins der Zwanzigerjahre und modelliert Menschen um, mit der Axt. In der nächsten Geschichte wird ein kleiner Junge von Alpträumen geschüttelt und sucht das Leben seines erkrankten Bruders zu retten, dessen Seele in seiner Vorstellung vom Untermieter der Familie, dem Schlafgänger, der sein Gesicht stets mit einem Schal verhüllt, ausgesaugt wird. Indem er den Schlafgänger, hinter dessen Schal sich statt eines Gesichts nur formlose Schwärze verbirgt, zu erstechen versucht, will er den Bruder retten.. Es bleibt offen, ob sich der Protagonist nur in eine Wahnidee gesteigert hat, der Mann, ein Holzknecht, den Bruder sogar mit heimlich verabreichten Salben gerettet hat, oder ob er ein Ungeheuer verjagt hat. In Wir alle sehen besser aus in Schwarz & Weiß geht ein weiterer sehr gestörter Ich-Erzähler um, der der fixen Idee anhängt, dass die Farben Lügen und es Wahrheit nur in Schwarz & Weiß gibt und der darum zum Elternmörder wird, um seine völlig verdrehte Weltansicht zu erproben, und sich mit weißer Farbe beschmiert, um in den Tod zu springen, als Märtyrer der religiösen Wahrheit in Weiß (S. 126).
In ihrem klugen Nachwort weist Eddie Angerhuber auf gewisse Parallelen zwischen den beiden Zyklen hin; ist in Insel der Gräber der Protagonist von der venezianischen Leicheninsel fasziniert, die sich als cthulhuoides Ungeheuer erweist, so dringt der Held von Tief unten in ein Labyrinth unter Berlin ein, ein auch von Neo-Nazis benütztes Bunkersystem aus der Nazizeit, und weckt dort ein viel schrecklicheres Ungeheuer, das den globalen Tod herbeiführt.
Die Erzählungen Korbs sind sehr morbide, oft sind die Effekte irrwitzig und vordergründig, zu viele jugendliche Irre tummeln sich in ihnen, aber man findet in ihnen auch originelle Einfälle und eine beängstigende Atmosphäre, die vom Autor einiges erwarten lassen, wenn er erst stilistisch ausgereifter ist. Das Buch enthält auch schaurige Innenillustrationen von Gustav Wölkl.
27. Feb. 2007 -