Herbert W. Franke legt in schönster Regelmäßigkeit neue Science Fiction Romanen vor. Einem Chronometer gleich untersucht er in seinen Büchern sehr konsequent Strömungen, mit denen sich er sich im Rahmen seiner zweiten Schaffensperiode diese Werke erschienen in den später achtziger und frühen neunziger Jahren im Suhrkamp- Verlag und werden teilweise neu aufgelegt aufgrund der mangelnden realen Technik nur ansatzweise auseinandersetzen konnte. Cyberspace, Computerspiele und eine Gesellschaft, in der die strengen gesellschaftlichen Regeln mehr und mehr Orwells 1984 . In Flucht zum Mars kombiniert er diese Prämisse, ohne das der Leser über weite Strecken nachweislich erkennen kann, ob es sich um eine tatsächliche Reise zum Mars in einem zweihundert Jahre alten Raumschiff handelt oder Teil einer neuer Generation von Realitätsspielen sein kann. Gleich zu Beginn wird der Leser mit der achtköpfigen Gruppe konfrontiert, die auf dem Mars gelandet ist. In Rückblenden stellt Franke die einzelnen Protagonisten vor. Zu Beginn scheint es sich nur um mehr oder minder gesellschaftliche Außenseiter zu handeln, denen die Teilnahme an dieser neuen Realitätsshow Mission Mars die Chance gibt, härteren Strafen zu entkommen. Dabei sind ihre Verbrechen von sehr unterschiedlicher Natur. Da reicht das Spektrum von Datenmanipulation über den Diebstahl von Funktionärseintrittskarten für populäre Sportveranstaltungen bis zur Sachbeschädigung dem Ermorden eines Androiden der Schutzgruppe als Rache für den Tod des eigenen Bruders bei dessen Festnahme. Diese Profile werden immer wieder nach dem gleichen Schema aufgebaut. Der Lese lernt kurz den Hintergrund der einzelnen Protagonisten kennen, dann kommt es zu dem Regelverstoß, Festnahme Verhör, Urteil und abschließend eine Art Steckbrief, aus dem die wichtigsten Charakterzüge und eine abschließende Beurteilung zu entnehmen sind. Erst bei den letzten Profilen stellt der Leser fest, dass es nicht nur aus staatlicher Sicht Abnormale sind, die an dieser Simulation teilnehmen. Die Mission lautet nach der Landung auf dem roten Planeten sich zu den noch vorhandenen Bunkeranlagen durchzuschlagen und dort chinesische Kunstschätze aus der Zeit vor dem letzten großen Krieg zu bergen. Ein klassisches Spielszenario, das einen Hauch Exotik mit einer packenden, sehr einfach gestalteten Mission verbindet. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich nicht in einer Simulation befinden, dass sie wirklich mit einem der letzten Raumschiffe zum Mars geschickt worden sind und das hinter dieser Ausgangssituation nicht die Jagd nach unermesslichen Reichtum, sondern vielleicht die einzige Überlebenschance für einen kleinen, einen ganz kleinen Tei der Menschheit sich verstecken könnte.
Auf dem Mars müssen die Protagonisten sehr schnell mit den Unwägbarkeiten der Mission zurechtkommen. Das Raumschiff wird durch eine aus dem Krieg versteckte Miene beschädigt, ein Mannschaftsmitglied schwer verletzt. Das Ziel liegt einige hundert Kilometer entfernt und kann nur noch zu Fuß erreicht werden. Auf dem Weg dahin werden die einzelnen Mannschaftsmitglieder von spinnenartigen Androiden entführt. Nur zwei Mitgliedern der Crew gelingt es schließlich, den Bunker zu erreichen. Sehr konsequent und sehr geschickt lässt Franke seine Leser gänzlich im Unklaren. Das Szenario ist so unwahrscheinlich und überzogen aufgebaut, dass es sich nur um ein Computerspiel handeln kann, in welches die einzelnen Protagonisten als Simulation integriert worden sind. Es gibt ausreichend Hinweise auf diese plottechnische Möglichkeit. Die Gegenposition ein realer kostenintensiver Flug in einem veralteten Raumschiff vor allem ohne funktionierende technische Anlagen auf der Erde mit einer unerfahrenen Besatzung wäre zu unglaubwürdig. Je länger Franke allerdings seine Marsmission gestaltet, desto mehr schwingt das Pendel zu dieser Seite. Dabei muss der Autor nicht nur gegen den Unglauben seiner Protagonisten anarbeiten, sondern vor allem auch seine skeptischen Leser überzeugen. Das versucht er auf eine sehr geschickt Art, in dem er zu Beginn des Buches den Fokus deutlich auf seine Protagonisten richtet und dieser in den für Franke zu bekannten Zwischenspielen ausführlich vorstellt. Diese Portraits lenken von dem altbekannten und nicht sonderlich originell begonnenen Marsplot ab. Vor Jahren hätte man einem erfahrenen Schriftsteller wie Franke unterstellt, ganz bewusst beim Ausgangsszenario auf das Understatement gesetzt zu haben, um die Irrealität der Situation aufzuzeigen. Da aber alle vier seiner neuen Romane trotz guter Ideen und phasenweise wirklich packender Szenarien diese Schwäche aufweisen in Auf der Spur des Engels gibt es Terroristen, die sich Jahrzehnte lang in alten Bunkern ohne großen Kontakt zu ihrer Umgebung eingegraben haben, um dann passend zum Roman gegen das Regime loszuschlagen auch Szenen aufweisen, die altbacken und stellenweise naiv wirken, muss Franke unterstellt werden, dass er nicht zuletzt aufgrund seines sehr sachlichen, wenig emotionalen Stils es nicht anders schreiben kann. Dieser trockene Auftakt mit allen Klischees ist also eher eine Frage des Könnens denn des Willens. Auf einer Spielebene wäre eine solche Exposition noch verträglich, wenn auch bekannt. Im Verlaufe des Buches versucht aber Franke den Leser davon zu überzeugen, dass die Landung auf dem Mars echt ist und die Ideale dahinter sehr viel höher sind als bislang angenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Raumschiff der Erde ohne unendlich große Aufwendungen nach zweihundert Jahren überhaupt noch flugfähig ist, erscheint gleich Null. Wie Franke selbst skizziert, befinden sich die wenigen Raumschiffe in Museum, die sicherlich ein Interesse haben, die Ausstellungsstücke in einem präsentablen Zustand zu halten, aber vielleicht in einer wunderbaren Utopie über die Gelder und die Wissenschaftler verfügen, die Schiffe auch flugfähig zu halten. Hier wäre es sinnvoller gewesen, der Menschheit eine zumindest rudimentäre Raumfahrt zu ermöglichen und die Mission als Teil eines inzwischen zu Routine gewordenen Prozesses mit einem höhern Ziel der Mars liegt zum Beispiel abseits der normalen Flugrouten zu beschreiben. Der Kontrast zwischen der fiktiven, von Franke als eine Mischung aus Arbeiterparadies und Anti- Utopie beschrieben, Realität mit seiner notwendigen Grundprämisse ist zu stark.
Hat der Leser diese fragwürdige Prämisse akzeptiert, beinhaltet das Ende eine weitere Enttäuschung. Der großartige Plan wird enthüllt, die befürchteten Anspielungen entpuppen sich als wahr und ein Mitglied des Teams entpuppt sich als Retter und Judas zugleich. Mit dem gleichen Unverständnis wie die überlebenden Mitglieder der Gruppe reagiert der Leser auch auf diese Simplifizierung der Situation, die eher an kitschige Abenteuerfilme erinnert als ein wirklich überzeugendes Ende eines bislang leidlich spannenden, aber zumindest routiniert geschriebenen Romans. Es ist auch völlig unverständlich, warum Franke einen Charakter nach seinen egoistischen, aber nachvollziehbaren Handlungen derartig auf einen rücksichtslosen Verbrecher reduziert, dessen Absichten neben dem zugestandenen Überlebensinstinkt schließlich schnöde Habgier beinhaltet. Da sich die Situation auf der Erde durch eine kosmische Katastrophe komplett geändert hat und Romane wie Stewarts Leben ohne Ende, Niven/ Pournelle Luzifer´s Hammer und natürlich die Maddrax Heftromanserie aufzeigen, wie komplett sich das Leben auf einer verwüsteten Erde auch in Bezug auf die materiellen Dinge geändert hat, wirkt diese natürlich im Keim unterbundene Aktion derartig aufgesetzt und unüberzeugend, dass es nur eine Antwort geben kann: der Autor wollte das Buch möglichst schnell beenden und hatte im Grunde keine richtige Idee, was er mit seinen oft eindimensionalen Charakteren wirklich noch anfangen sollte. Diese Unentschlossenheit hat sich auch in seinen letzten drei Romanen gezeigt. Dort stand allerdings ein ideenreiches, ungewöhnliches Szenario dieser Schwäche gegenüber. Über weite Strecken ist Flucht zum Mars auch der Titel gibt im Grunde wie der Klappentext zu viel vom Plot preis eine sehr durchschnittliche Lektüre. Einigen wenigen guten Szenen zu beginn des Plots stehen mehr und mehr altbackene Science Fiction Klischees gegenüber. Im Gegensatz zu Andreas Eschbachs Jugendbüchern über den roten Planeten diese sind plottechnisch auch im Verlauf der Serie immer schwächer geworden fehlt dem Roman ein entscheidendes Element: der Sense of Wonder. Der Leser hat nicht das Gefühl, mit diesen jungen Menschen zusammen einen anderen Planeten zu betreten und dort Abenteuer zu erleben. Im Vergleich zu einem Altmeister wie Robert A. Heinlein fehlt Franke im Grunde die Phantasie, den roten Planeten vor seinen Lesern entstehen zu lassen. Dieses Manko ist neben der unterdurchschnittlichen Charakterisierung der Protagonisten, dem mehr und mehr zu einer geplanten und damit gequälten Angelegenheit werdenden Plot die größte Schwäche dieses bislang schwächsten Franke Romans im DTV Verlag. Da hilft auch nicht die Verlagspolitik, das Buch mehr auf ein Mainstream- Publikum zu fokussieren. Die Hauptlesergruppe werden alt gediente Franke Fans bleiben, die seine wechselhafte, aber niemals langweilige Karriere als Schriftsteller von den sechziger Jahren bis in die Gegenwart verfolgt haben.
Herbert W. Franke: "Flucht zum Mars"
Roman, Softcover, 351 Seiten
DTV 2007
ISBN 3-4232-4600-6
15. Apr. 2007 -