Soldaten als Frauen
Neuerscheinung bei Hatje Cantz:
„Martin Dammann (*1965) beschäftigt sich als Maler und Fotokünstler mit dem Thema des Wechselspiels von Krieg, dessen Vermittlung vor allem durch das Medium der Fotografie und der daraus resultierenden Bedeutung für die Entstehung eines historischen Narrativs. Während seiner Bildrecherche in Soldatenalben ist er auf zahlreiche Amateurfotos von Wehrmachtssoldaten gestoßen, die sich als Frauen verkleideten – Szenen, die der nationalsozialistischen Ideologie zuwider liefen.
Diese Funde werden nun erstmals in einem Band zur Diskussion gestellt.
Wie in allen großen Kriegen des 20. Jahrhunderts wurden auch im Zweiten Weltkrieg erhebliche Anstrengungen unternommen, die Soldaten durch alle Arten von Unterhaltung für einen ephemeren Moment in ihrer existenziellen Not zu entlasten. Neben den staatlich organisierten Fronttheatern, die aufgrund der Materialfülle mittlerweile gut erforscht sind, gab es aber zudem von den Wehrmachtssoldaten selbst organisierte Inszenierungen, in denen sie Ihre Sehnsüchte nach weiblicher Emotionalität und Sexualität sublimierten und das abwesende Geschlecht selbst verkörperten.
Soweit möglich, arrangiert und kontextualisiert Dammann die Fotografien in seiner Publikation: von spielerischen Klamaukszenen jugendlicher Rekruten über improvisierte Verkleidungen an der Front in engstem Kreis bis hin zu langwierig vorbereiteten Aufführungen in den Kriegsgefangenenlagern der Alliierten. »Ausnahmslos alle scheinen in dem jeweiligen Moment und den jeweils eigenen Sehnsüchten vollkommen aufzugehen, in einer eigenartigen Seligkeit, die sich durch alle Fotos zieht.«, fasst der Künstler die spezielle Aura der Aufnahmen zusammen.
In einem einordnenden Nachwort wendet sich der Soziologe Harald Welzer gegen die psychologische Exotisierung der Soldaten und begreift die Bilder vielmehr als explizit »normalen« Ausdruck von zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte existenten menschlichen Gefühlen – in diesem Fall jedoch im Rahmen eines permanenten Ausnahmezustandes: »So paradox es klingt: Die auf den ersten Blick exotisch erscheinenden Fotos von Wehrmachtssoldaten in Frauenwäsche belegen die Normalität und gerade nicht die Abweichung, auch und gerade in Zeiten des Krieges. Das macht diese Soldier Studies so eindrucksvoll wie wichtig.«
Der nun erscheinende und um Textbeiträge von Martin Dammann und Harald Welzer ergänzte Band zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass es von allem eine Rückseite gibt – auch vom Militär im Nationalsozialismus.“
Foto aus dem Kapitel "Front".
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