(… klingt fast
wie Akte X)
1

Auf dem
Alten Friedhof,
Am Mittag
Mein Schatten
Wandernd mit
Den Schatten
Der Bäume
Hinter uns
Die Sonne
2
Die Zeit
Erinnert sich
An die Toten,
Verwundert,
Als wäre sie
Ein Teil
Von ihnen
Gewesen. Ich
Wundere mich
Über das Leben,
Verwundet,
So als ob es
Meines wäre.
Allzu vertraut,
Um das Fremde
Darin zu vergessen.
Wunder und Wunde.
3
Testen live
Lange, lange Schlange; ich armes Schwein
Mit Schwerbehinderung; kein Stuhl.
Los, mit Handy sich anmelden … okay, mein Handy
Kann das nicht, außerdem gibt es hier keine Verbindung.
Fazit: Pech gehabt.
Und was eine Kollegin erlebte: von A nach B
Geschickt, von B zu C durch die halbe Stadt,
C sagt, sie erfülle die Kriterien nicht, sie
Habe dieses nicht, dann brauche sie jenes,
Und überhaupt: man wäre nicht zuständig usw.
Dann zurück von C zu B – durch die halbe Stadt,
B mittlerweile nicht mehr da, also wieder nach A.
Fazit: Weinend in der Schlange, Stunde um Stunde.
Stellen wir uns vor,
Welcher Wahnsinn das
Wäre, wenn es sich um
Eine ansteckende
Krankheit gehandelt hätte …

4
Der Zufall hat eine große
Bedeutung in der Evolution.
Als ich heute meine Vorräte
Kontrollierte, stellte ich fest –
Ich schätze meinen Lieferservice sehr,
Da super nett und hilfsbereit,
Aber manchmal fehlen einfach Dinge
Im Regal oder etwas geht am
Telefon unter – nun, die Bestände
Kontrollierend, stelle ich
Fest: ich habe jetzt zwar
23 Küchenrollen, aber
Keine Zahnpasta.
So funktioniert
Evolution also.
5

Neues vom
Isolierten SuperSingle-
Wohnmodul.
Gerade mit Aliens
Küchenrolle gegen
Glühbirnen getauscht.
Müllsack mit
Klebeband
Stabilisiert.
Eine Socke vom
Trockner verschluckt,
Hypothese: eine
Mikro-Schwarzes Loch.
Hallo Bodenstation,
Die Situation wird kritisch:
Rapider Abfall
In der Versorgung mit
Schokoeiswaffelhörnchen.
Unfasslich, was mit Superkleber
Alles zu reparieren ist.
(Nur nicht meine Seele.)
Wenn dann abends die Besatzung
In meinem LEGO-Space Shuttle
Das Licht ausmacht und ich
Beethoven höre, dann kehrt
In meiner Welt mir
Doch so etwas wie Frieden ein.

6
Und wieder tanzten sie um das Goldene Kalb
Doch diesmal brüllt es: „Habt kein anderes
Gold neben mir!“ (Wer genau hinausschaut,
Offenen Auges, sieht die Corona der für dieses
Monster geopferten Toten.)
In Variation eines berühmten Satzes aus der
Weimarer Republik: Wir haben uns den
D. T. engagiert.
Einige haben sicher profitiert.
Nur nicht die Hundertausenden
Von Toten.
Nicht wunderlich, dieser alte Adam:
Während die einen verrecken,
Streichen die anderen ihre Provision ein.
Wir sind die Schlange. Die das Paradies
In uns immer wieder zerstört.

7
Der Schaufelradbagger,
Auch in der Finsternis, gräbt sich
Weiter in das Herz der Welt, bis es
Aufhört zu schlagen und rostet.
Ich geh’ durch ein weites,
Wüstes, ödes Land,
Hieß früher Soundso–
Wald.
Auf dass wir glücklicher
Würden in unseren
Schönen, neuen,
Digitalen Paradiesen.
8
Wahlkampf, Wahlkampf.

Kyrie eleison
Christe eleison
Kyrie eleison
Schummdiedumm.
Keine Verantwortung.
Bumm.
Kyrie eleison
Christe eleison
Kyrie eleison
Wahlkampf, Wahlkampf.

Kyrie eleison
Christe eleison
Kyrie eleison
Überall keine Zuständigkeit
Weit und breit allezeit.
Kyrie eleison
Christe eleison
Kyrie eleison

Bibabutzemann,
Wer bei Viren
So versagen kann.
Wahlkampf, Wahlkampf.
9
Da war für einen Moment
Jenseits des Alltags
Dieser Abendhimmel
Tod und Leben zugleich
Wie eine Tür durch
Meine Seele rückwärts
In ein Vergangenes
Ich stand vor einem Fenster
Meine Seele hier ist die
Von dort von damals
Ich öffne das Glas um einen
Kleinen Spalt
Und
Die kristallklare
Märzenfrühlingsluft
Ist wie
Ein Spiegel
Ist wie
Herbst
Vor einem Fenster stehe ich
Von dort von damals
War meine Seele je hier?
Herbst
Wie ein Spiegel
In der Frühlingsluft
Kristallklarer Abend
Tönt in den März
Zersplitternd das Glas
An meinem Finger
Rinnt etwas Blut
Tropft auf ein
Schneeweißes Tuch
Verwirrend
Wie Schlaf
Und Kuß

Und
Ein Blatt
Fällt
Hinab von der
Erde hinauf
An einen Ast.
10
Auf dem
Alten Friedhof,
Dämmerung
Mein Schatten
Wandernd mit
Den Schatten
Der Bäume
Wird
In der Dunkelheit
Bald
Mit ihnen
Eins

Markus Pohlmeyer, der vor kurzem seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegte, bei uns hier. Sein Corona-Zyklus: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9. Seine Shut Down Haikus hier.

Gerade erschienen: Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Dritter Teil. Die Corona-Zyklen I-VI. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 22, 1. Aufl., Hamburg 2021.