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Montag, 4. Mai 2015

Im Land der Beitschetschekeis

Naryn: TAG 6
Ich sitze in Naryn, dem entlegensten Winkel der Erde, den ich bis dato in poetischer Mission aufgesucht habe und denke über die mediale Transformation der Lebenswelt nach.
Ich sitze in einem privat vermieteten Zimmer, spreche weder kirgisisch noch russisch und teile der Vermieterin vermittels Fingereinsatz meine Abreisezeit mit. Sie zückt das Smartphone und kommt nach Getippe schließlich zum gleichen Ergebnis: 10. Ja, 10. 2 mal Besch Barmak. Besh Barmak ist das kirgisische Nationalgericht, es heißt soviel wie fünf Finger, weil es mit den Fingern gegessen wird. 

Ich sitze in Naryn, dem Verwaltzungszentrum des Oblasts der ebenso Naryn heißt, wie auch der Fluß, der durch die Stadt fließt, die schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. Naryn besteht im Wesentlichen aus der Ulica Lenina, einer schmaleren Entlastungsgasse und einer Abzweigung. Klar: Moschee, Basar, Lenindenkmal und eben auch eine Universität mit Deutschabteilung.
Ich sitze in Naryn und bin überwältigt vom Naryn-Gebirge: auf einer Seite die perfekte Westernkulisse mit schroffen, rotbraunen Felsen, auf der anderen zuerst liebliche Hügel in grün, die übergehen in immer mächtigere Berge, die das ganze Jahr über schneebedeckt sind und dahinter blitzen aus der Ferne vergletscherte 5-6-7-Tausender. Das lässt selbst einen Tiroler-Bua nicht kalt.

Ich sitze in Naryn und erkläre einer Gruppe Deutschstudentinnen, was ein Poetry Slam und was Slam Poetry ist, dass Vergleiche nicht nur naturbezogen sein können, dass ein Gedicht nicht nur ernst und streng gereimt sein muss, dass Poesie in allen Dingen steckt, ja, sowohl im Smartphone als auch im noch blutigen Schaffellhaufen der am Basar zum Verkauf angeboten wird. Ich werde die Wichtigkeit und Tradition mündlicher Literatur hervorheben und dabei wohl auf offene Ohren stoßen, zumal das Epos über den kirgisischen Nationalhelden Manas ja auch ein Vortragstext ist, der mit ähnlichen Techniken der Aufmerksamkeitsgewinnung arbeitet. Ich werde sagen, dass Poetry Slam gewissermaßen der Minnesang von heute, bzw. das Poetry SlammerInnen moderne Manastschys sein können. (Manastschys = Erzähler des Manas-Epos). Ich werde die Studentinnen dazu aufmuntern, lautmalerisch tätig zu werden, den Klang der Sprache und den natürlichen Rhythmus thematisieren und, und, und...


Sonntag, 3. Mai 2015

Präriefeeling und Rallyesonderprüfung

Osch-Naryn: TAG 5
Schlaglichter einer Reise (7Uhr30 bis 17Uhr)
* Und der, der am grimmigsten ausschaut, ist in Camouflage-Montur, trägt stolz ein Funkgerät und schwere Stiefel und ist am Rollfeld dafür zuständig, dass niemand ein Foto macht. Osch-Airport spionagegefährdet?
* Die Pegasus-Stewardessen-Uniformen sind elegant-retro-fesch. Alle schauen aus wie Schmuckschatullen mit dezenten Goldschnörkeln.
* Der Bus-, Taxibahnhof in Bischkek wartet mit einer Bezahltoilette auf, die viele Menschen meines Bekanntenkreises einen Nervenzusammenbruch bescherte.
* Wir kaufen uns eine PKW-3er-Bank zu zweit und warten auf einen weiteren Fahrgast für vorne.
* Los geht’s gleich mit einer ziemlichen Puckelpiste samt Gegenverkehr. Eine schöne Einstimmung auf fünf Stunden Rallye.
* Unser Fahrer holt alles aus seinem fünfundzwanzig Jahre alten Toyota raus. Polizeikontrollstellen passiert er mit am Schaltknüppel eingehängtem Gurt. Ja nicht richtig anschnallen!
* Autowerkstätten sind hier noch richtiges Handwerk.
* Großes Hexenbesenangebot am Straßenrand.
* Jetzt grünt ja grad alles und blüht. Werbesprüche werden mit weißen Steinen in den Hang gelegt. Eine dezent-sympathische Methode, die der Landschaft entgegen kommt und dann steht wieder irgendwo ein Denkmal.
* Ja, Erwin Einzinger hat recht: „Ein kirgisischer Western“. Die Kulisse passt: Präriefeeling. Eine verlassene Bahnstrecke aus dem Anno Schnee, windschiefe, hölzerne Strommasten, Steppengrasbüschel, rötliches Gestein, Felsen, frei galoppierende Pferdeherden, Kühe mit Hörnern (gerne bunt eingefärbt), nur die Cowboys schauen anders aus mit ihren weißen Filzspitzhütchen und ihren vollen roten Backen.
* Esel stehen unbeeindruckt auf der Schnellstraße und störrischen vor sich hin.
* Raststättentoiletten legen in Punkto Grindfaktor noch eins drauf: drei dreieckige Löcher im Boden, dazwischen kniehohe Anstandsmäuerchen: 5 Som.
* Ja, hier leben mehr Schafe als Menschen und am stärksten sind Schlaglöcher vertreten.
* Schlaglochslalom-Downhill-Race! Grenzenloses Vertrauen in Stoßdämpfer und Bremsscheiben.
* Ein richtiger Pass kennt keinen Asphalt!

Osch: TAG 4
Ist dann doch immer wieder überraschend, wenn man beim Frühstück in ein süß aussehendes Brötchen beißt und es mit Zwiebeln und Fleisch gefüllt ist. Da kommt Freude auf und Gestern hoch. Denn gestern war natürlich auch Zwiebel. Der Frühstückskoch sitzt gebannt vor dem Fernseher. Es wird geboxt, da bleiben die Pfannen kalt. Für einen – noch dazu mich – steht er nicht auf. Na dann halt Löslichkaffee und Omelette mit Wasweißich. Ach, wär's nicht halb acht und bräucht ich nicht Kraft, schliefe ich noch, Herr Koch. Aber es warten Poetry-Slam-hungrige Studentinnen auf mich!