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Sonntag, 10. Juli 2016

Shanghaiverdichtung

Wir passieren eine Apotheke. Nix kann ich lesen aber Viagra. Die Taxifahrer sind geschützt durch Plexiglaskojen. Wir gratulieren mit Urkunden zur lobenden Erwähnung und lernen so Namen kennen: Hu Huihui, You Dong-dong. Elektroroller überraschen uns immer und überall. Ich blicke in den Duschkopf, der Duschstrahl begrüßt mich freundlich, ich lese: Köhler. Köhler macht in Sanitäres. Gegessen wird von 12 bis 14 Uhr. Mit Nähe hat man hier kein Problem. Offiziell wohnen 24 Millionen, inoffiziell aber 30 Millionen Menschen hier. Die Inoffiziellen haben natürlich keinen Zugang zu Bildung und Ausbildung. Und aus dem Ausland kommen nicht die Coolen, sondern die, die Geld machen wollen. Die Uniformierten sind entweder sehr jung (Polizei) oder sehr alt (Wachmänner).
In der Altstadt Teehäuser, Pagoden, Basar und Gärten mit vielen Spielereien. Das Wäscheaufhängesystem ist ausgeklügelt: ausgeworfene Latten, gespannte Drähte und Bambusstangen zum Verschieben. In Tempeln werden Schiffchen in einen Ofen geworfen und verbrannt: der Geisterwelt übergeben. Die Räucherstäbchenpräsenz in Tempeln benebelt meine Sinne. Die Gebetshandlungen machen einen sehr gymnastischen Eindruck. Man ist hier sportlich. Kaum dicke Menschen. Die Alten sind edel ausgemergelt.

Die Smartphoneizierung ist quer durch alle Schichten vollzogen. Es gibt hier sehr viele uns so nicht bekannte Berufe: Ich entsorge altes Speiseöl, ich Pappkartons, ich trage Fische in Kübeln von da nach dort. Das Großstadtfunktionsgefüge ist beeindruckend. Auf den Straßen gilt das Recht des Stärkeren. Fahrräder dürfen keine Lichter haben, weil sie die Autos damit irritieren könnten. Mofamuffe gibt es hier in allen Variationen, auch ganze Mofaschürzen und Mofawetterflecke. Die alten Lastenräder – Chinaklischeebild – gibt es noch immer, sie sind aber getuned mit Elektromotoren.

Die Preisgestaltung ist äußerst gemischt. Gestern um 120 Yuán auf den Jin Mao Tower (340 Meter), davor ein Pot Suppe mit Tortellini um 5,50 und um 20 mit dem Taxi heim. Die Fähre kostet 2, der 24 Stunden Hop-on-off-Touri-Bus – je nach Linie – 30 bis 50. Kaffeemangel herrscht nicht. Außer in den sehr großen Shoppingcentern (von denen es sehr viele gibt). Starbucks hat die Vorherrschaft. Doppelte Espressi für 19, Teigbuns für 2, Frühlingsrollen und anderer Kleinteigkram auch. Hier wird viel in Ei gemacht. Käse geht mir noch nicht, Brot aber schon ab. Bier 10-65. Im Supermarkt, in dem ich von einem Stricher angemacht wurde nur 5,90. Eintritte für Tempel und Museen 5-30. Der Crazy-Sightseeing-Tunnel 50 Yuán.


In den 1990er Jahren wollte die Zentralregierung durch Investitionen in Shanghai Hongkongs Status schwächen. Fünfzig Prozent der Hochhausbaukräne dieser Welt standen in den 90ern in Shanghai. Man hat hier keine Angst vor langfristigen Maßnahmen. Strategische Überlegungen werden mit großem Risikomut durchgezogen. Nicht immer erfolgreich. Die Einkindpolitik wurde wohl zu spät aufgegeben und die Spatzenausrottung hat zum Parasitenbefall, Ernteausfall und so zur großen Hungersnot geführt. Wie gesagt, wenig Dicke, wenn dann Junge und Auslandschinesen. Shanghai allerdings ist dabei zu überaltern. Ach ja, 50 Prozent der Weltweiten Produktionsleistung wird in China geschaffen und Shanghai ist die große Verteilungs-Drehscheibe.

Menschen machen Massagen mit Bäumen. Sie reiben sich sehr asexuell in Parks an Baumstämmen. Das schaut gesund aus. Es regnet. Wir entschließen, uns eine Massage zu gönnen. An Massagesalons mangelt es hier nicht. Mein größtes Shanghai-Erlebnis, geben wir ihm den Titel Spezialbehandlung, beginnt.

Dienstag, 21. Juni 2016

Lobende Erwähnungen am laufenden Band

Hochhäuser am People's Square mit Panoramalift
Schwül, fast 80 % Luftfeuchtigkeit, Blickweite: mäßig. Den Shanghai-Tower (630 m) sollten wir ur an zwei von acht Tagen zur Gänze sehen. Ich kann nichts lesen, erkenne eine Apotheke, ein Wort in mir entzifferbarer (entbuchstabbarer?) Schrift - VIAGRA. Aha. Sitze im Taxi, vorne. Der Fahrer neben mir ist durch eine Plexiglaskuppel von mir abgetrennt (von mir abgesichert?). Schaut irgendwie lustig aus, wie ein Überrollkäfig in Rallye-Autos. Paperlapapp, was weiß ich denn, wie Überrollkäfige ausschauen. Die sind sicher stabiler. Diese Scheiben schützen vor Übergriffen von Fahrgästen. Ich will nicht übergreifen, ich will nur mehr begreifen, was ich da so seh und nicht lesen kann. Wobei. Straßen sind vorbildlich zweisprachig angeschrieben. Danke dafür. Sonst irrten wir wohl noch immer irgendwo in den Weiten Shanghais umher.

Wir lernen mit knurrendem Magen. Mittags essen gehen macht man zwischen 12 und 2. Es gibt natürlich genügend Möglichkeiten, auf der Straße diverse Köstlichkeiten mit hohem Überraschungsfaktor einzuwerfen, aber essen in einem Restaurant mit Sitzen, Bedienung und so: 12 bis 2. Gut, wir werden uns daran halten.
Auch ganz schön hoch und alt (Old town)
Nicht unser aber ein tolles Hotel mit Brücke
"Wir gratulieren zur lobenden Erwähnung" stand übrigens auf den Urkunden, die beim Lyrik-Wettbewerb an jene verteilt wurden, die zwar nichts gewonnen hatten, aber eben lobend erwähnt wurden. Wir bekamen dadurch Einblick in die chinesische Namenswelt (also die englischen Zweitnamen, die sie sich geben). Zum Beispiel: Hu Huihui oder Dong-Dong. Eines von beiden heißt Winter, wenn ich mich nicht irre. Aber irren kann ich mich hier am besten. Mein Name allerdings dürfte hier nicht ganz unbekannt sein. Denn die erste große Reklametafel die mir begegnet überrascht mich mit "Kohler". Was Kohler kann sollte ich bald erfahren.
In der Hotelempfangshalle ein Klimtgemälde (natürlich der Kuss). Vom Hotel wegführend eine Straße mit unzähligen Klavier-, Geigen- und Blasinstrumentengeschäften. Bösendorfer, Schimmel & Hofpianowerkstatt Schwerin in Shanghai. Man scheint es uns möglichst heimelig machen zu wollen. Oh, alle anderen Instrumente, und viele, die ich nicht zu benennen weiß, gibt es hier auch. Riesenzittern, Gongpauken, Wummstrommeln. Es ist warm, schwül, drückend. Noch immer, die nächsten sechs Tage. Am siebten sollte es Regen geben. Wir schwitzen, sind zum permanenten Augenzukneifen gezwungen. Wir sind geblendet, überwältigt und leicht niedergebügelt.

Dienstag, 14. Juni 2016

1. Poetry Slam in Shanghai

Blick aus dem Hotelzimmerfenster im 21. Stock
Blick aus dem Austia Center in der Fudan Uni
Das freilich habe ich mir einfacher vorgestellt. Shanghai ist eine Weltstadt, da gibt's überall WIFI, da bloggst du von vorderster Front und stellst täglich einen Shanghai Text mit entsprechenden Fotos online. Ha! Hast du dich aber gehörig vertan.
Freilich Weltstadt - und wie. Aber China ist halt auch groß genug, um eine eigene Netzwelt zu sein und Blogger, Google, Facebook einfach auszusperren. Da schaute ich dann blöd mit meinem googlebasierenden Smartphone. Freilich hätte es Möglichkeiten gegeben, da hätte mich allerdings vorher vorbereiten müssen. Hatte ich nicht. Aber mein Notizbuch begleitete mich und leistet mir vorzügliche Dienste. Shanghai also.
Offiziell 25 Millionen, inoffiziell ganze 30. Schon mal unvorstellbar. Einen ersten Eindruck kriegt man durch die Fahrt vom Flughafen ins Zentrum.
Ein Hochhausmeer, das sich zunehmend verdichtet. Wir flogen knappe 10 Stunden, 8 Stunden Zeitunterschied packten wir noch drauf und dementsprechend tramhappert erlebten wir diese Fahrt durch Hochhausschluchten umd dann vor einem solchen zu halten.
Diesiger Blick auf die famose Pudong-Skyline
Tunnelblick unter dem Huangpu

Das Hotel New Harbour in der Yongshou Road hatte auch flotte 30 Stockwerke und wir waren im 21. Stock untergebracht. Hui. Was für ein Blick auf die Stadt. Was für eine Lage. In Fußgehdistanz von den attraktiven Vierteln Bund, Old Town und gleich ums Eck vom Peoples Square.
Eine Glückstrefferbuchung aus der Ferne. Schon mal ein guter Start. Um 8 Uhr morgens kamen wir an, um 17 Uhr 30 war die Veranstaltung, die uns nach Shanghai ins Austria Center brachte, angesetzt. Ein Rausch, eine Freude, ein Flow.
Die Fudan Universität ist eine von 2800 Unis in China und zwar laut offiziellem Ranking die drittbeste. Sie liegt etwas außerhalb. Wir präsentieren die SiegerInnen-Texte eines Lyrik-Wettbewerbs, wir präsentieren eigene Texte und wir moderieren den ersten Poetry Slam in Shanghai.
Es gibt Wein aus der Wachau, Bier aus China und Häppchen aus der Plastikfolie. Es kommen ein paar mutige Studierende und nahezu die gesamte deutschsprachige Comunity Shanghais. Es kommen Wein-, Bier- und Lyrikfreundinnen und -freunde.
Es wird ein sehr, sehr schöner, langer Abend im besten Sinne der Dichtung.