Prosa von Georg Heym
Neu bei Moloko plus: Prosa von Georg Heym - Der Dieb:
„Dann stand er auf, nahm das Paket und ging. Er wußte nicht, wie es angefangen hatte. Seit einigen Jahren hatte er sich von seinen Freunden zurück gezogen in einem Anfall plötzlichen Ekels. Er war bald vergessen worden. Seine Freunde wußten nichts mehr von seinem Leben. Sah ihn zufällig mal einer im Vorübergehen, so erkannte er ihn nicht mehr. Er hatte seine Zeit mit allerlei Studien verbracht, um die Qualen seiner Melancholie zu heilen. Er war der Reihe nach Biologe, Astronom, Archäologe gewesen, alles hatte er wieder fallen lassen. Nichts hatte ihn befriedigt. Alles hatte ihn nur mit größerer Leere erfüllt. Und nun lebte er in einer großen Pension, vergraben in sein kleines Mansardenzimmer, einsam, von niemand gekannt, einer unter den vielen Einsamen dieser großen Stadt. Die Abende verbrachte er damit, daß er in den Tiefen seines Lehnstuhles dem schwindenden Lichte nachsah und den Schiffen der Wolken, die sommers mit ihrem rötlichen Kiel nach Westen reisen auf der Fahrt nach neuen, geheimnisvollen Ländern. Oder im Spätsommer, wenn die Tage des Nordwestwindes beginnen mit den großen und seltsamen Gebilden am Himmel, damit, daß er den himmlischen Tieren, die der Herbst über die grünen Weiden sandte, zusah, den großen Walfischen, den riesigen Dromedaren und dem Geschwader unzähliger kleiner Fische, die über den Ozeanen des Himmels im unendlichen Blauen verschwanden.“
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