Donnerstag, 18. Juli 2013

Grotesque


Das Groteske ist die einzige Form, die das Komische und das Unheimliche in einer Überwahrheit zusammenschnürt. Die Vertiefung des im 17. Jahrhunderts als ridicule, comique und burlesque – also des unbeschwerten Lächelns abgetanen Begriffs erfolgte in der Romantik, bei Jean Paul, Shakespeare, Hoffmann. In der deutschen Sprache des 18. Jahrhunderts findet sich der Begriff ‘grotesk’ nicht gerade häufig, und dann in jenem flachen und vagen Sinn, wie er für den französischen Sprachgebrauch kennzeichnend gewesen war. In dem deutsch-französischen Wörterbuch ‘Dictionnaire universel de la langue française’ (1771) findet sich folgende Erklärung:

Figürlich bedeutet grotesque so viel wie seltsam, unnatürlich, abenteuerlich, wunderlich, possierlich, lächerlich, fratzenmäßig und dergl.

Hier scheint der eigene Sinnkern völlig ausgelaugt zu sein.

Mittwoch, 17. Juli 2013

ich pimperte sie mit einem Besentiel

Wer sagt, der Autor sei tot, hat entweder die ein, zwei Bücher gelesen, auf die das zutrifft, oder er versteht nichts von Literatur. Jedes “Ich” verweist strahlend auf den Autor. Auch so: ‘Er dachte: Ich… ‘ Wo immer ICH zu lesen ist, meint der Autor S-ICH, auch wenn er es abstreitet. Kein Autor lässt sich gerne auseinandernehmen, wenn da steht: ICH PIMPERTE SIE MIT EINEM BESENSTIEL IN DEN SPUNT. Trotzdem. Er kann nicht entkommen. Wer Ich sagt, sagt automatisch Welt.

Montag, 15. Juli 2013

Vergebliches Land

Im Grunde finde ich die Übersetzung von The Waste Land mit “Das öde Land” richtig. Allerdings ist mit diesem ‘waste’ auch Vergeblichkeit gemeint, schwingt in diesem Langgedicht mit. Auch deuten die ‘zerbrochenen’ Bilder an, dass eben mehr da ist als nur Öde. Trotzdem ist “Das vergebliche Land” keine standhafte Übersetzung.

Sonntag, 14. Juli 2013

Die Maschine

Die Remington von Sholes
Mill Bell Watt

Alexander G. Bell stahl sich die Experimente, die zum Telefon führten in den 1860er Jahren zusammen, Watts Dampfmaschine erhielt das Patent 1769. Die Schreibmaschine aber lässt sich bereits auf 1714 datieren, als Henry Mill ein Schreibgerät für Blinde ersann, das allerdings nicht so richtig funktionierte. Der auf uns gekommene früheste Brief, der mit einer funktionierenden Schreibmaschine geschrieben wurde, ist der von Latham Sholes an James Densmore, getippt auf einer Remington.

Maschine, der Spiegel

Als wir noch Maschinen waren, uns mechanisch begriffen, die Welt. Die Stift ist je nur die verlängerte Hand gewesen, gezeichnet wurde mehr das eigene Gemüt als derer Worte, die von uns fortzeigten. Die Maschine erwartet uns anders, ist der echte Partner, der uns beim Schreiben nicht alleine lässt wie die Feder in der Hand, die wir über Bütten zittern. Sie ist bereits Ästhetik, Körper, der Raum einfordert, still und unscheinbar zunächst. Die Maschine spricht uns nicht eher an, als dass wir sie berühren. Dann aber spiegelt sie uns – sehr beredt, ja, wie ein Spiegel zeigt sie uns gestochen scharf, was in uns ist.

Henry Mill hatte 1714 ein Schreibgerät für Blinde im Sinn – und meinte damit jene Mitmenschen, deren Augen nicht funktionierten. Aber wie das Orakel blind zur Welt steht, aus dem inneren Kristallbrunnen Gestaltungen schöpft, so arbeitet auch der Dichter, imaginierend – und braucht nicht Kampferschwaden, aber Takt. Der Rhythmus der Schreibmaschine ist durch nichts zu ersetzen.

Zwei meiner eigenen Maschinen

Das schöne Klischee (und gleichzeitig der Mythos) : Der Autor beugt sich über die Maschine, daneben der überfüllte Aschenbecher. Das Stakkato der angeschlagenen Typen erfüllt den Raum. Ein Korb mit zerknülltem Papier (manche Bällchen daneben, auf dem Boden) fehlt nicht. Der heutige Betrieb fordert geschwätzige Schnellschrift – und bekommt sie auch; doch das Schreibzeug arbeitet an unseren Gedanken mit ! – bescheinigte einer unserer Lieblings-Irren Friedrich Nietzsche (der sich an einer Mallig Hansen probierte, einer der ersten in Serie produzierten Maschinen der Welt). Dass jedoch jeder Dichter auf den Computer umgestiegen sei, ist ein Gerücht. Ganz im Gegenteil liegt der Prozentsatz jener, die das Kultobjekt Schreibmaschine nicht aufgeben (oder sogar zu ihr zurückkehren) bei geschätzten 30% der gedruckten Berufsgenossen. Dabei wird von vielen der angebliche Vorteil des Computers – das Kopieren und Verschieben, das bequeme Bearbeiten des Textes – als Nachteil betrachtet.
Mit Technologiefeindlichkeit hat das aber nichts zu tun, denn bis auf wenige Ausnahmen dürften sich alle mal an Textverarbeitungsprogramme gesetzt haben, aber der Prozess des Schreibens selbst ist wichtiger als seine industrielle Herstellung. Ich glaube nicht zuletzt, dass dieses ganze Gewäsch unterirdischer Schreiberlinge auf den Computer zurückzuführen ist. Wo ein Text keine Arbeit mehr macht, wird nichts Gutes entstehen können. So hat sich der Betrieb auch der Computerliteratur angepasst und bleibt in erschreckender Masse unteres Mittelmaß. Dabei ist durchaus auch eingetreten, was Alfred Polgar 1922 sagte:

Für die Literatur als Kunst wird die Schreibmaschine freilich erst dann was Rechtes bedeuten, bis ihre wunderbaren Kräfte ungeschwächt durch das trübe Medium des angehängten Schriftstellers zur Auswirkung kommen werden. Die Entwicklung muss hier, wie bei jeder Maschine, dahin streben, die notwendige menschliche Mitarbeit immer mehr und mehr einzuschränken. Der Tag, an dem es gelungen sein wird, den Schriftsteller ganz auszuschalten und die Schreibmaschine unmittelbar in Tätigkeit zu setzen, wird das große Zeitalter neuer Dichtkunst einleiten.

Samstag, 13. Juli 2013

Untergang

In Wirklichkeit ist es doch so, dass unsere Gedanken Projektionen sind, die von einem unbekannten Impuls herrühren. Wenn wir unsere Gedanken “machen lassen”, also zulassen, dass wir sie nicht denken, geraten wir leicht zu den Gesetzmäßigkeiten, die in der westlichen Welt nach wie vor kaum verstanden werden, weil dort mit der Unzumutbarkeit ‘Kausalität’ hantiert wird. Diese Erfindung wird möglicherweise für das Ende der Menschheit verantwortlich sein.

Donnerstag, 11. Juli 2013

Staub auf den Dingen

Abgerechnet ist schnell. Als wenn ich ein Museum betrete, also betrete ich ein Museum. Als wenn es besser wäre, den Staub wieder auf den Dingen zu sehen, also sehe ich den Staub wieder auf den Dingen. Keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber Schlüsse ziehen. Ich habe erneut Lust auf Andrè Breton, also muss Die Revolution des Geistes in den nächsten Tagen mein Sortiment bereichern [Polizzotti]. Ich möchte dahin, wo alles angefangen hat, von wo aus ich dann unendlich inkonsequent fortgeschritten bin. So als zählten die Jahre nicht. Das tun sie auch nicht im Angesicht der Überschreitung des kulturellen Zenits unserer Zivilisation. Nun, auch deshalb verschwindet wohl meine Eitelkeit und ich publiziere meine Werke selbst, mache mir da also endgültig den Garaus. Es ist ja auch so, dass ich nirgendwo hin will, weil es keine Orte mehr gibt sondern nur noch Gemeinplätze.

Paulus Böhmer

© Alexander Paul Englert

Noch liegt es auf John Ashbery’s “Flow Chart”, wird aber nach Rae Armantrout das nächste sein, das ich lese, nämlich: Teigwaren auf der Terrasse nachts von Paulus Böhmer. Mit dem Linchen gestern auf Motivsuche.

GrammaTau ist schwärend.

Dienstag, 9. Juli 2013

Briefkasten

Das Schreibheft – Zeitschrift für Literatur ist ein unbedingtes Handwerkszeug; ich habe das Abo um ein weiteres Jahr verlängert. Ohne eine Literaturzeitschrift könnte man leicht der Meinung verfallen, es gäbe keine Debatte, kein Forum mehr für die wirklich wichtigen Dinge (schließlich kann nicht jeder jederzeit in New York leben, oder, wie früher: Paris). Auch Verlage wie Luxbooks, Urs Engeler und Hanser (mit dem feinen Lyrik-Kabinett) sind unabdinglich und helfen dabei, nicht vollends an der Welt zu verzweifeln, die zu keiner Zeit eine größere Unkultur kannte. Ich selbst könnte behaupten, nach Hause zurückgekehrt zu sein, nachdem ich jahrelang dem Versuch unterlag, erzählerische Prosa herzustellen. Aber nichts diesbezüglich kann dem Medium Film das Wasser reichen. Nachdem 1989 die Manifeste des Surrealismus wie ein Paukenschlag mein Leben radikal verändert hatten widmete ich mich ausgiebig diesem posthumen Vermächtnis, fand den Begriff heruntergekommen und blutleer wie alles, was uns heutzutage umgibt. Erst meine Begegnung mit Octavio Paz und John Ashbery bereiteten den nächsten, den Schub in die für mich richtige Richtung vor. Der Surrealismus nämlich war nicht mehr nur ein Klischeebegriff, der in Europa nur noch für Käse, Quatsch und Senf steht, er war einfach nur ausgewandert, hatte den Kontinent gewechselt und etwas hervorgebracht, das über die ehemalige Pariser Bewegung hinausging. Ob sie sich nun Imagisten nannten, Beat Poets, Black Mountain oder Language Poets. Sie machten einfach das nächste Fass auf in diesem unendlichen Keller.

Der Grund, warum ich mein langjähriges Weblog Die Veranda nun endgültig eingestampft habe, liegt an einem gewissen alten Zopf, den ich loswerden wollte. Gedanklich war es mir nicht mehr möglich, auf den Ruinen aufzubauen. Ich möchte nachsehen, was in mir als Material hinterlassen wurde – so als ob man einen Briefkasten aufsucht, um den herum sich die Landschaft verändert hat. Der Briefkasten hängt noch, und irgendjemand muss ab und zu vorbeigekommen sein, um ihn abzustauben. Ich muss schleunigst hinzufügen, dass ich den Briefkasten ohne Leolina vermutlich gar nicht mehr gefunden hätte. Vielleicht hätte ich mich nicht einmal mehr an ihn erinnert.