Dienstag, 30. September 2014

Reha; I'm off, see ya folks

Für die nächsten fünf Wochen muß ich mich nun verabschieden. In welcher Weise ich dazu kommen werde, das Ein- oder Andere in GrammaTau zu posten, ist nicht sicher. Daß sich in den letzten Monaten die Zugriffszahlen mehr als verdreifacht haben, liegt nicht zuletzt an Frank Duwald, der GrammaTau wohlwollend beworben hat. Das ist wohl auch der Grund, warum ich das hier schreibe, denn es findet seit längerem ein Umbruch statt, der das Konzept auf die Phantastik fokusiert. Viele unterschiedliche Ideen schwebten mir vor; ob es nun die Gründung eines Independent-Verlages ist, der sich gerade um die schmerzlich vermißten Übersetzungen (zb. von Michael Cisco, Dennis Etchison und einer unüberschaubaren Menge mehr) kümmern soll, oder um die Wiederaufnahme des Magazins "Der Orchideengarten. Phantastische Blätter" - nach dem Vorbild des oft schon wiederbelebten "Weird Tales Magazine". Das Problem ist, daß es bei uns wohl kaum denselben Markt für Phantastische Literatur gibt wie im englisch/amerikanischen Sprachraum. Es bleibt also Liebhaberei. Wohl jenen, die ihre Bücher ohnehin im Original lesen. Trotzdem fände ich eine Kapitulation nicht wünschenswert. Denken wir nur daran, daß ohne das Engagement eines Baudelaire sich wohl heute kaum ein Mensch an Edgar Poe erinnern würde. Der Gedanke ist absurd.
Um die vielen Worte zu beenden: GrammaTau soll sich noch weiter zu einem Magazin entwickeln, denn abgesehen vom Schreiben experimenteller Literatur ist mir ein spekulativer Realismus, ein radikaler Konstruktivismus, sprich: die Philiosophie innerhalb der literarischen Verarbeitung wichtig ohne nur Steckenpferd zu sein, weil sie mein tägliches Leben bestimmt. Aber jetzt erst einmal: Pause.

Montag, 29. September 2014

Mondschild -part drei-

1 / 2
Ich habe mich wirklich an alles erinnert. Während ich hier stehe, springt mir ein Teufel ins Genick. Er meint es gut – Teufel meinen es gut, sie wollen nur, daß wir begreifen. Adam bin ich – einz’ger Mensch. Wie ging es los? Wasser konnte man nicht mehr Wasser nennen. Gewöhnliche Wasser fließen, diese Wasser flossen nicht. Sie standen in ihrer Lake, nährten keine Lurche, keinen Schilf und auch der Faulschlamm zersetzte sich nicht mehr. Tümpel waren die Bäche an ihrer tiefsten Stelle, der Rest Gestein im Trockenbett. Wie mittelalterliche Pest stank die Luft, ein geheimer Zorn lag in den Dingen, den brachliegenden Augen. Alle Gräser schnitten ins Fleisch, wenn man mit freigelegten Knien darüber streifte, im Sommer aus Gewohnheit, die Sonne mehr ein fahles Licht. Da wächst nichts ihr entgegen, kräuselt sich insektengleich statt dessen.

Einst die Augen aufgesperrt, um die Wunder der Welt zu sichten, liegt sie wie eine zerbrochene Puppe am Waldesrand in halb zerfetzten Kleidern, nicht wirklich spektakulär, nur wie ein Spielzeug im Dreck. Sie liegt da und ist beim Näherkommen nur Geäst, nichts weiter als Erinnerung, und ich, schon verdorben vom Unmöglichen, sehe zu den Wolken auf, hinein in das Gesicht einer längst vergessenen Wonne. Überall nur sie, in allem, was vergeht. In den Bäumen raschelt ihr Name, in jedem Gewässer ist sie Loreley, hinabgestürzt vom Fels, auf dem sie sich kämmte und für den Tod der Seefahrer herausputzte. Hinab zog’s Schiffer und Kahn (ich weiß auch nicht, was soll es bedeuten). Jetzt aber zieht es mich zum Geäst, dem Gewölle, der Blüte im Unterholz. Ihre Form löst sich von den Zweigen. Wohin mein Blick auch schweift, ich bin verloren. Denn es gibt merkwürdiges im großen Abgrund, und der Traumsucher muß aufpassen, daß er nicht das falsche aufstöbert oder ihm begegnet.

Davor: wenn wir gestaltlos nur Gedanken sind, vom Leben träumen, geträumt vom Leben träumen. Ich steige in den Trichter der Unendlichkeit, was Zeit mir ist, das muß sie mir beweisen. Die Geschichte in der Schleife. Beim Spazierengehen ein Mann am Eingang einer Höhle, eine Windmühle zimmernd, von Omen stotternd. Raha, du große Stadt ohne Weintrauben! Falls aber doch Weintrauben da sind, dann nur als Abbild einer Kristallkugel, Spätlese, ein Haus wie aus einem verdorbenen Magen gewürgt, Gallensteinfarben mit einem völlig verzweifelten Duktus gegen die tannengrüne Grundierung gemalt, als wir noch als Kinder durch den Garten der Welt das Fallen von Gegenständen beobachteten, nicht die Entzauberung der Welt vor Augen hatten, die Katastrophe nicht mitgedacht. Nur das Gefühl lehrt Wesentliches, roter Streif am Firmament bei Sonnenspielen: Mensch beschreibt sich und die Umwelt, die er sieht – hier Mensch, da Umwelt.

Ich sehe: ich habe Haut, die, wenn ich sie aufreiße, eine rote Substanz enthält. Die alten Poeten merkten sich das, was wir heute erschlafen. Bachen und Keiler liegen im wohnlichen Dreck, von aller Sauberkeit befreit, Kissen aufgeschüttelt. Die ehrenwerten Hotelnächte, die sich in der Nähe eines defekten Elevators um den Flur herumwickeln, kenne ich nicht anders.
Ich male alles in Wachs, das Abc (man braucht kaum ein c), das Abd: „Aaaapfel!“ Dann raus, man ist Schriftsteller. Apfel, Biene, Dach (man braucht kaum ein c). Cremé. Krem.

Der Wachsstift auf dem Tisch, meine Finger zum ersten Mal klebrig der Lust wegen. Wie ein unbewußter Nebel werde ich auftauchen, die Stimmen gleich hinter mir, nahe bei den Gestaden, die ich bewandle. Nicht faßbar bin ich dort, wo nicht zu fassen. Suche mich dort, Wanderer auf der Suche nach den Stimmen, die dir sagen, was ich dir sage. Die Stimmen gleich hinter mir, von Eros und Thanatos, den Mysterien der Wirklichkeit. Der Nebel voller Licht, darin die Gewalt eines rein fließenden Chaos, Auftrieb, Abtrieb. Geschmeidiges Sein durchwebt die Stille. Ich sage: „Still jetzt!“ Da du das Gespenst bist, das sich im Wald verirrte, da du der Bach bist, der neben mir geht. Ich fand frisch erworbene Demut an meiner linken Seite herabtropfen, blutendes Weideland. Ich fand dich, ich folgte dir an den blitzenden Augen vorbei, kam hinter dir her, folgte deinem Rücken, den Fersen, die Zeit aus dem weichen Boden schlugen. Das Licht wird grau, helles grau, dunkles Weiß, vernebeltes Gelb.

Ich wuchs in Raha heran, inzwischen dreier Flüsse. Ich existiere durch Sprache, die mein Leben ist, die Welt durch Sprache, die ich wahrnehme, die nicht die Sprache der Anderen ist. Zur Stille will ich gelangen durch Sprache, ich sage: „Still jetzt!“ und meine die Dialoge, die sich anschicken, schneller zu werden. Die ganzen Stimmen, die vielleicht singen oder etwas jubeln oder etwas heulen. Ich war einmal ein Stein vor zweihunderttausend Leben, ein glücklicher Stein im Geröll, wasserdicht bis ins kleinste Mineral, unbedeutender war nie ein Stein. Doch fehlt er, bricht das Universum in sich zusammen und wird zu früh ein Schwarzes Loch.

Ich kann mich auf alles anwenden. Auf dich, auf mich, sogar auf alle Tiere, schleichende Schleichen, also Anguidae, Flügel faltende Falter, also Lepidoptera. Manche davon bin ich in Bernstein-Quadern, manche bin ich in den Lüften. Ob ich ein Ich bin, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Kein adäquater Ausdruck beschreibt den Zeitenkelch, der mich mottig anzieht, nichts kleidet mich mehr in ein Wunder als die Erinnerung, das erinnerte Ich. Als hätte ich erlebt, was ich zu erinnern fähig bin. Ich kenne keine andere Nähe als die Berührung zweier Oberflächen. Die Hand – was sind wir davon, was bist du davon? Ich spüre nur mich, du bist mein Widerstand. Bevor ich dich ansehen kann, bist du verschwunden. Wir sind nur Kinder im Vorgarten der Hölle, unser Paradies aus Schwefel.

Freitag, 26. September 2014

Mondschild -part zwei-

1 /
Es ist still im Zimmer, dreckiges, orangenfarbiges Licht dringt durch das verschmierte Fenster über dem Bett, um sich im ganzen Raum wie ein giftiger Dunst auszubreiten.

„Sie war hier!“ Adams eigene Stimme, die sich anhört, als käme sie aus dem Trichter eines Grammophons. Er nimmt erneuten Blickkontakt mit der leeren Stelle neben sich auf, berührt in der Hoffnung einer plötzlichen Materialisation das Laken, bildet sich ein, ihre Körperwärme dort noch zu spüren.

Sie hat die Tür geschlossen, wie sie das immer tut, mit der gleichen Sanftheit; die berührte Tür, das verlassene Ich, die überflogene Treppe nach unten, hinein in die schlechte Luft, zu Schildern und Laternen. Das Licht ist ein Ersatz für ihren Körper, der es verdient hätte, nackt durch die Lüfte zu schweben, frei von allen Konventionen des Fleisches. Wenn sie nicht hier ist, dann ist sie diese Frau, reines Hirngespinst, Traum, Einbildung.

Die Welt ist ein merkwürdiger Ort, wir erfinden nur, was schon immer da war. Das Geheimnis des Alterns hängt mit unserer Programmierung zusammen. Jeder Tag, jedes Abenteuer behält sich ein wenig Energie von uns zurück. Erinnern wir uns, holen wir die Energie zurück, so wie man einen Koffer zurückholt, den man absichtlich zurückgelassen hat. Aber das Erinnern selbst ist nur das Erfinden von Erinnerungen.
Menschen sind ungewollte Schatten. Sie geistern über die Erde, die selbst nur vage Umrisse hat.
Wenn er hier in diesem Bett liegenbliebe, was würde dann in der Zwischenzeit mit der Welt geschehen? Wenn er sich nicht bewegen würde, keinen Wind erzeugen, wenn ihn niemand sehen könnte, niemand vergessen müßte?

Drückt man ein Kaninchen unter Wasser, erhebt sich das Volumen über sein eigentliches Niveau, nimmt die Masse der Materie ‚Kaninchen‘ auf.
Auch wenn es unbedeutend scheinen mag: wohin dehnt sich das Universum aus mit mir darin?

Als sie ging, zerriß die Zeit. Es hörte sich an, als würde ein Reißverschluß neben meinem Ohr entweder geöffnet oder geschlossen, und von diesem Zeitpunkt an war ich allein. Aber ich bin wieder eingeschlafen; ich bin wieder eingeschlafen, und nur deshalb bin ich verwirrt, natürlich war sie da, ich kann mich schließlich daran erinnern, diesmal war sie da!

Er betastete seinen Schwanz, zog die Vorhaut zurück und rieb seine Eichel mit Daumen und Zeigefinger ab, bevor er daran roch. Es waren die üblichen Bocksgerüche (odores hircini) der Zersetzung von Samen- und Vaginalflüssigkeit, die er schnupperte, und die er dann am Laken abwischte.
Sie ist unsichtbar wie alle guten Dinge, aber auch, wenn sie unsichtbar ist, heißt das noch lange nicht, daß sie keinen Körper besitzt. Hier ist sie unsichtbar, draußen ist sie irgendwo, niemand weiß, wo. Sie würde allerdings behaupten, sie wisse es ganz genau, sie würde sagen: „Ich befinde mich gerade an der Ecke Tournelle." Sie scheint von einer erstaunlichen Einbildungskraft beherrscht zu sein, wenn sie so schlendert, als habe sie kein Ziel, den Kopf bewegt, als beobachte sie die Menschen um sich herum, die Schaufenster, die Stimmen, das Fließen der Straße. Sie bildet sich ein, sie setze einen Fuß vor den anderen, bildet sich ein, aus dem Zimmer gegangen zu sein, um eine bestimmte Stunde, die Tür geschlossen zu haben, auf die gleiche sanfte Weise, wie sie das immer tut, einen Weg zu gehen, den sie aus der Erinnerung heraus kennt, um dann, nach einer gewissen Zeitspanne, an ein Ziel zu gelangen, das sie ganz bewußt angesteuert habe.
Ich sei hier, denkt sie, ich sei hier in diesem Zimmer und hinge den Gedanken nach, im abgestandenen Geruch der Jahrzehnte.

Von außen wirkte das Haus, als ob es in einem Zug aus der Erde gestampft worden wäre, viele Stellen unverputzt. Das wuchtige morsche Bett unter dem Fenster, das sehr kurz geraten war. Es gab zwei Koffer, seine zwei einzigen Koffer, die abgetakelten Behelfsmöbel, die allesamt nach Wurmscheiße rochen, einen Tisch mit Ornamenten an den Beinen, zwei Stühle, die nicht zum Arrangement gehörten, die wippten, einen muffigen Schrank, in dem verborgen Kleiderbügel aus Draht hingen.

Ein Schrank, nicht wahr? Darin steckt die Energie! Sie ist in Schachteln, Schränken, manchmal sogar in Töpfen eingesperrt, und Energie ist Erinnerung! Oh, es wird wahrscheinlich nur der Teufel selbst wissen, warum sich Erinnerungen gerne vergraben, dort wo es garantiert dunkel ist.

Es bewegt sich nichts, egal wie oft er zum Fenster geht und nachsieht. Es ist wie in einer Geisterstadt, kein Lärm, kein Mensch, kein Fahrzeug. Eine stille Stunde, eine verlassene Stunde.
Ich sehe hinaus, ich sehe immer nur aus allem hinaus. Aus meinem Körper, dem Fenster. Die prophetischen Winde, die an die Tür klopfen. Ränkespiele der Isobaren, Taupunkt über dem schweißgetränkten Laken zahlreicher Liebesnächte mit ihrer intimen Akrobatik, mit ihrem Kesselkrieg, der so manches Haar gekrümmt. Du stehst in diesem Traumfunkeln, stehst da, bist nackt wie der Sonnenschein, mit deinen wunderschönen Mammas, deiner Scham, wo ich hingehöre, woraus ich komme, in die ich hinein muß, will ich jemals wieder komplett sein, an deinen Brüsten liegen. Du nährst mich, deine Säfte sind meine Nahrung, sind mir Notwendigkeit zu leben. Deine Lippen sind die Kissen meines Schlafes, deine Bewegungen sind die Architektur meines Universums. Ich erinnere mich daran, wie es früher war, ohne dich.

Donnerstag, 25. September 2014

Leather Apron

Whitechapel ist der perfekte Aufenthaltsort für das morbide Gemüt. Während das Londoner Kerngeschäft für Touristen sich an den königlichen Plätzen abspult, tappe ich lieber durch die Dunkelheit, den Schmutz der Vergangenheit und besehe mir die Tatorte der 'Canonical Five', die uns 'Saucy Jacky' hinterlassen hat, der, noch am Anfang seiner steilen Karriere, 'Leather Apron' genannt wurde, bis er sich selbst in einem Brief (wahrscheinlich natürlich wie alle anderen Briefe von ihm gefälscht), 'Jack the Ripper' nannte.

Freitag, 19. September 2014

Mondschild -part eins-

Jedes Erwachen zieht fürchterliche Konsequenzen nach sich. Die Elemente des Traumes pressen sich zu einem verschwindenden Punkt zusammen und drücken von innen gegen die Augäpfel, bevor sie vom Blut aufgegriffen und in den Verdauungstrakt befördert werden. Zumindest fühlt es sich so an, als wolle sich der Körper augenblicklich von aller Illusion befreien, so gering sie auch immer scheinen mag. Es sind nur Bruchteile von Sekunden, die darüber entscheiden, wo man aufwachen wird. Jede Nacht verändert die Struktur des Denkens.

Adam erwacht im Hotelzimmer seiner Chimären und mit ihm erwacht seine doppelte Existenz. Jeder der beiden möchte die Oberhand gewinnen. Das ist wichtig, um ihm zu sagen, wer er ist, wer er heute ist, wer er gestern war. Der Ausschluß der anderen Existenz ist der konsequente Wegfall vieler alternativer Möglichkeiten, aber Existenz selbst ist so schwammig, daß jedes Philosophieren darüber nur ein weiteres Spiel bleibt, ein Zeitvertreib; jeder Gedanke an ein anderes Leben ein Schatten, der nie wirklich da ist, aber auch niemals ganz verschwunden.

Dieses Hotelzimmer der Schimären. Unter verklebten Lidern befindet sich noch ein Rest der wirklichen Umgebung, eine dampfende Laterne, von Faltern umschwärmt. Da ist keine Erinnerung, nur eine trockene Kehle. Körperfunktionen halten inne, der Puls ein kleinwüchsiges Klopfen, die Säfte erstarrt, tief ins Gewebe zurückgezogen; die letzten Inseln lauernder Funktionslosigkeit. Bilder kehren mit dem Blut zurück, reisen
mit Transferrin im Eisenwaggon an, Schubtore geschlossen, damit während der Langsamfahrt niemand aufspringen kann, Rucksack in die Ecke, Guitarre raus (ein Hobo!). Nichts gegen den King Of The Delta Blues Singers oder Seasick Steve, wir aber reden hier von Gedanken, von Geschehnissen. Das ist kein Swamp-Soundtrack, das ist eine Geige, die sich Ritzen sucht. Da fällt durch, was sie ausscheidet, klagende, kratzende Diarrhoe.

Das Licht spielt, wie es von jeher mit der Welt spielte. Planetenstaub, angebumst von koronalen Massenauswürfen, Tiktaalik rosea, der dann Affe wurde.

Bettzeug, das nach barocken Liebeslagern muffelt. Die Zunge der Zeit hat hier mit fetten Zotten den frischen Geschmack in ihren Rachen genommen. Der Eindruck ist nur noch ein finsteres, oxidierendes Relief.
"Wo bin ich?"
Er will nur seine Stimme hören, die ihm der Katzenjammer zugesteht. Es gibt Märchen, da antwortet der Teekessel überschwappend der magischen Brühe: "Rauss mitt dirr, bevor man die Prinsessin skalpiert!"
Und ein Pferd tritt ein. (Ah! es ist ein Friesenhengst, mit Hafer in den Ganaschen), der junge Held von burlesker, ganymed'scher Schönheit, tränkt seinen Körper im jetzt golden dahinfunkelnden Sonnenschein, der durch die Risse der garstigen Schwiegermutter-Scheiben taumelt.

Dann ein recht merkwürdiger Name. Sagen wir, Behrokh, sagen wir, Behrokh Espenlauba, die zitternd mit noch blonder Mähne im Turmzimmer zu Karstenfels ganz oben unterm Dach dem Einen harrt, der eine sehr sehr durstige Kehle hat. Das Märchen beschreibt das runde, zugige und von außen abgeriegelte Zimmer mit ein, zwei romantischen Paradesätzen, verschweigt die Bettpfanne, den stinkenden Essenstrog, erwähnt allerdings die Unmöglichkeit, das Gemäuer zu erklimmen. Viele haben's schon versucht, hört man da, alle sind sie schauerlich deformiert und zerbreit an ihrem Leib ins Geisterreich gefahren.

Unstet das Klirren der Nerven, ungestimmt. Die Figur eines sitzenden Mannes, Laken, Laken und Wasser. Schuppen, am Bauch abgerundet, nicht gekielt. Die Lasur des Schweißes ein Wellenkamm, die Pleura hinkt, unter die Oberfläche des Lakens gedrückt, geschlürft ein nackter Traum, eine Attacke des Lebens gegen die Suffokation, gegen unstillbaren Durst. Die Tür schließt nicht mehr richtig gegen den Wind, springt aus der Wiege, Tanzpartner eines flüchtenden Gastes, der zum Fenster eilt, durch den korallenroten Giebel zurückkommt, Blickkontakt mit einer leeren Stelle, das Leben, die See.

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Montag, 15. September 2014

Das Obskure der Existenz

Jene Geschichten, die unter dem Banner "Weird Fiction" vermarktet werden, bieten ein wahrs Durcheinander an Bezeichnungen. Seltsam oder Unheimlich trifft es nicht genau, denn diese Geschichten können strange, odd, bizarre, curious, peculiar, uncanny, scary, eerie, creepy, slanted usw. sein: gruselig, schaurig, seltsam, gespenstisch, düster, sonderbar, schrecklich, beängstigend usw. Der Begriff Phantastische Literatur macht das Ganze nicht einfacher; für die übergreifende Durchmischung unterschiedlicher Genres hat man im englischen noch den Begriff 'Slipstream' zu bieten, der nicht weit von dem des "New Weird" entfernt liegt. Grenzenlos, postmodern, keine Grenzen mehr zulassend - nur weg von einer scheinbaren Realität, um der Wirklichkeit auf die Schliche zu kommen.
Ein ähnliches Problem zieht der nebulöse Begriff  "Horror" auf sich. Eigentlich kein Genre, versucht man dieses Schlagwort auf eine bestimmte Gattung von Literatur anzuwenden, unter Ausschluß der Tatsache, daß Horror überall in der Weltliteratur schon immer eine Rolle spielte und noch spielt. Es gibt wohl keinen einzigen Schriftsteller von Rang, der dieses Element unberücksichtigt läßt.
Philosophie und Horror-Literatur sind siamesische Zwillinge in der Tiefe des Gedankens, was denn unsere Existenz überhaupt ist. Beide resultieren aus der Angst, etwas unbegriffen lassen zu müssen. Das Unbegreifliche ist dabei aber immer die letzte Konsequenz, die nicht daran hindert, ins Dunkle zu stoßen, sondern im Gegenteil. Das Obskure der Existenz  ist der Auslöser, sich überhaupt auf den Weg zu machen.

Freitag, 12. September 2014

Der Hinterbliebene

Wilibald, der Hinterbliebene, war ein Halsabschneider, obwohl er Hälse gar nicht abschnitt, sondern mehr … durchtrennte. Aber auch das tat er nicht leichten Herzens, nur dann nämlich, wenn ihn jemand erkannte. So war jedes: “Wilibald, Du?!” ein Todesurteil. Schon bald hatte er sämtliche Verwandten und Freunde auf dem Gewissen, das bei ihm nicht nach Lavendel roch, sondern nach Schwefel. Wilibald, der Hinterbliebene hatte bald nur noch sich selbst, hatte sich seine Räuberkarriere anders vorgestellt, irgendwie veredelt durch den Ruch, kein Schaf in einer Klemmfalle zu sein, sich im Golde zu spiegeln, mit den bestrumpften Weibern zu liegen, Fleischklumpen mit Wein zu spülen. Irgendwann dämmerte ihm, daß er vor lauter Halsabschneiderei das Wesentlich vergessen hatte: das Geld der Geschnittenen zu behalten.

Mittwoch, 10. September 2014

Komposita über das Sterben im Gemäuer



Poe: Ultima Thule-Daguerreotypie

Die möglicherweise bekannteste Daguerreotypie von Edgar Poe ist die “Ultima Thule” genannte vom 9. November 1848, entstanden vier Tage nach seinem Selbstmordversuch. Dieses Portrait wurde nach einem Zitat aus Poe’s Gedicht “Traumland” (orig. “Dream-Land”) so bezeichnet, weil man in ihm einen Ausdruck trotziger Verzweiflung am Rande des Todes gesehen haben will. Für die meisten Poe-Liebhaber ist dies das Bildnis, das am ehesten zum Charakter des Werkes zu passen scheint.
Baudelaire bescheinigt dem Bildnis, daß Poe ein recht französisches Aussehen an den Tag lege, in Wahrheit war der Dichter vom Alkohol gezeichnet. Das ursprünglich recht feminine Gesicht weißt tiefe Furchen auf, die Augenpartien zeichnen sich unsymmetrisch ab.
Doch nun geschieht etwas Merkwürdiges in einem Leben voller Merkwürdigkeiten. Am 13. November, also vier Tage später, sieht Poe bereits wesentlich erholter aus. Zu sehen auf dem “Whitman-Daguerreotypie” bezeichneten Portrait.
Whitman-Daguerreotypie
1849 wirkt Poe dann beinahe wieder hergestellt. Er sieht gesund aus, steckt voller Pläne für die Zukunft, beabsichtigt sich sogar neu zu verheiraten — und stirbt in Baltimore unter mysteriösen Umständen, unter deren Sternen sich sein ganzes düster-tragisches Leben entfaltet hatte.

Poe war, als ich ihm begegnete etwas älter als ich. Er befand sich wohl, wenn auch die Schatten einer schweren Melancholie die tiefen Augen wie Vorhänge einrahmten. Es faszinierte mich nicht wenig, zu beobachten, wie er nahezu täglich sein Aussehen änderte, ohne jedoch seine charismatische Persönlichkeit einzubüßen. Für uns beide war die Zeit ein Instrument der Willkür, weswegen wir uns nicht an sie zu halten brauchten. Von ihm lernte ich zwei bedeutende Dinge, die er mir, jetzt, wo er auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen hatte, anvertraute. Das eine war das “richtige Trinken” des Absinth. Er bemängelte, daß es sich in der heutigen Zeit allenthalben nur noch um ein Naschen handeln konnte. Er aber, der Künstler des Rausches, gab sich nicht mit den einfachen Genüssen ab. Er scheute sich zu keiner Zeit, in das Innerste eines jeden Tempels vorzudringen, auch wenn das bedeutete, die Kontrolle zu verlieren. Das andere war das Konzept, sich durch die Geisteskraft immer tiefer in sich selbst hineinzubewegen. Er sprach in diesem Zusammenhang nicht selten von einem Labyrinth und dem Minotaurus in der Mitte. Das gab er mir als Grund an, warum er niemals einen Roman geschrieben hätte, auch wenn er, wie er zugab, oft daran gedacht habe.
“Die meisten Romane,” sagte er, “sind wie der Faden der Ariadne. Zum einen scheinen sich die Dichter auf sicherem Boden bewegen zu wollen und den Weg in jedem Fall wieder zurückfinden. Zum anderen hängt selbst alles an diesem Faden und jeder könnte ihm folgen, wieviel Verwicklungen und Abzweigungen es auch immer geben mag.”
Er selbst wolle jedoch jeden einzelnen Schritt so ausleuchten, daß man sich auf diesen Faden nicht erst konzentrieren müsse, sondern vielmehr den Ort und dessen Atmosphäre im Auge behalten könne. Neben dem Gedicht gäbe es nur eine einzige Vollendung innerhalb der Poesie. Und das wäre die kurze Erzählung. Diese allerdings nahm er in die Pflicht, das Arabeske und das Groteske so herauszustellen, daß sie dem Spiel einer flackernden Kerze ähnele, deren Licht über die Wände des Labyrinths irrlichtere.
“Es geht nichts über die Strategie einer analytischen Logik”, sagte er. “Nur so geschrieben kommt die Erzählung einer Komposition gleich.”
“Die Erzählungen der Ratiocination nehmen – obwohl Sie doch jeder mit Ihrem Namen in Verbindung bringt, dann wohl doch den geringsten Teil Ihres Oeuvres ein. Im Gegenteil strapazieren Sie die Logik gehörig.”
“Was zerschmettert uns mehr als das Hinscheiden einer geliebten Frau, was wäre poetischer als der Tod eines blassen Schwans, so daß unser Geist die wildesten – wohlgemerkt tief purpurnen – Blüten treibt?
Ist die Komposition mit einem ästhetischen Gemäuer verknüpft, das wie im Zusammenspiel von Grundton, Terz und Quinte nur auf ein Ziel zusteuern kann: den Wahnsinn aus Schmerz und tiefer Verzweiflung empfunden, dann ist sie nichts anderes im Wert als der Kontrapunkt. Denn der Wahnsinn und die Dekadenz, aus der die Empfindungen sprießen, die wir jenseits vermuten, sind gerade der Gipfel einer analytischen Logik, die sich darin gleich wieder selbst karikiert. Denn daß die Liebe über den Tod hinaus akut bleibe, ist keine Zutat der reinen schwärmenden Phantasie, sie ist das Monströse unserer eigentlichen Einsamkeit.”
Mr. Poe war oft sehr schwer betrunken, was man ihm nicht eindeutig ansah. In diesen Momenten trieben seine Dämonen ihm die Wangen in Blüte und seine Augen zeugten von erhöhter Nervosität. Die Qual der Besessenheit indes wußte er nur zu mildern, indem er die Feder zur Hand nahm, was er aber nur vermochte, alsbald die Wirkung des Alkohols im Abklingen begriffen war. Es galt ihm, den richtigen Moment zu erkennen, denn sobald der Zenit des Rausches überschritten war, kam sehr schnell der Kater über ihn, den er nur mit Opium zu lindern vermochte.
Wie alle Lebenselixiere, ist gerade das Feuerwasser das Gefährlichste. Es stärkt den Geist durch flüssig gewordenes Blut, das Leben rast durch die Adern und bringt alle Eindrücke, die der Körper kaum mehr zu archivieren weiß, in das magische Bureau. Dort werden sie zerdacht und neu zusammengesetzt.

Sonntag, 7. September 2014

U-Bahnlinie Boston

Entrances to the Boston subway line, Tremont and Boylston Streets, Boston (1915). Von Arthur C. Goodwin.
"Einer verschwand in einer engen Gasse zur linken und hinterließ nur das Echo eines schockierenden Stöhnens. Ein anderer verschwand in einem von Unkraut überwucherten U-Bahneingang, heulend, mit einem Lachen, das den Verückten verrät."
- H.P. Lovecraft, Nyarlathotep (1920)

"Gott, wie dieser Mann malen konnte! Es gab da eine Studie mit dem Namen "U-Bahn-Unfall, in dem eine Gruppe abscheulicher Gestalten aus den unbekannten Katakomben durch einen Spalt im Boden des Bostoner U-Bahnhofes  kletterte und eine Menschenmenge auf dem Bahnsteig angriff."
- H.P. Lovecraft, Pickman's Model (1926)

Samstag, 6. September 2014

Die Tür

Das Türschloß rastet ein und die Glocke brummt los. Beides hört sich an wie eine endgültige Wahrheit. Kaum wurde die Tür gschlossen, forderte etwas, das anscheinlich davor stand, ein erneutes Öffnen. Die Vorstufe wäre ein Zufruf gewesen, denn wer immer jetzt auf der Glocke stand, mußte ihn auf das Haus zugehen gesehen haben. Das Schellen an der freien Luft; die dort nicht vorhandene Tür wäre eventuell sein Unwille gewesen, darauf reagieren zu müssen, den abweisenden Rücken noch etwas höher zu tragen, was durch das Aufplustern der Schultern zuwege gebracht werden kann.
Während er die Stimme hinter sich hört, wirft sich der halbdunkle Flur vor sein Gesicht.
"Dreh dich doch bitte zu mir um, oder soll ich mit deinem Rücken sprechen." Er kennt die Stimme nicht, hat sie noch niemals gehört, will sich auch gerne umdrehen, allein es gelingt ihm nicht. Mein Rücken, das bin also nicht ich, denkt er. Ich bin scheinbar nur mein Gesicht, der Rest ist nur zum Transport meiner fünf Sinne gedacht. Niemand will mit einem Rücken reden, weil er keine Entscheidungen treffen kann.
Er steht da und starrt in den Flur, etwas Licht dringt aus den halbgeöffneten Zimmertüren. Er will einen Schritt hinein in den Wohnraum machen, aber auch das bleibt nur ein Wunsch, der nichts zu seiner Erfüllung beiträgt.
Jetzt spürt er die Faustschläge gegen seinen Rücken schlagen, kurz darauf ein Gefühl, das er nicht einzuordnen vermag. Als würde sich etwas in seine linke Niere bohren, sich dort drehen. Bald weiß er, auch wenn er es nicht sehen kann, daß da jemand versucht, die Türklinke zu betätigen, in der Hoffnung, es wäre nicht abgesperrt. Aber es ist abgesperrt, sein ganzer Körper ist starr, sein Rücken breit und unnachgiebig, seine linke Niere bewegt sich ganz unnütz auf und ab.

Mittwoch, 3. September 2014

Das Konservieren eines Dorfes

Es war mir nicht gelungen, alles zu verhindern, einen Pakt mit der Zeit konnte ich nicht gültig schließen, aber für Vergessen sorgen. Das gelang, sobald ich mein gegenüber in meine Vision hineinzog, so daß es weiterexistierte, wie man es in den ihm bekannten Kreisen kannte. Vielleicht etwas stumpfer an mentalen Prozessen sowie an Nous, Wortkarg zumeist, verträumt, wie es in diesem Landstrich jedoch nicht weiter ins Gewicht fällt. Aber es interagierte mit seiner Umgebung, auch wenn der Wunsch, fortzugehen, so stark wurde, daß er nicht mehr einzudämmen war.
In den wenigen Fällen, da dies aus unbekannten Gründen mißlang, halfen die Moiren mit der ganzen Verve eines unverfänglichen Unfalls nach, wie es bei ZeBe von Nöten war:
Sie lag, sich immer wieder aufrappelnd, immer wieder im leimigen Matsch ausrutschend und aufs Gesicht fallend, in diesem Bach. Eigentlich wäre sie fast ertrunken, wenn dieser LKW nicht gewesen wäre, der sie rauszog, als schon der Sumpf derart nach ihr gierte, sie des Schlammes eigen zu machen drohte. Durch ihre Poren drückten sich Moose, Schleimsand, Kraut; die Augen riesengroß / schwarz / rund: oxidierte Schädeldecke; silbriger Bewuchs auf den honorigen Brüsten. Ihre Arme und Stelzen ruderten nur mit halber Kraft voraus. Der Lastwagen beschleunigte sauerstoffgefräßig. Sie faßte nach der Anhängerkupplung. Voller Schmiere das starke, steife Stück. Zwischen ihren Fingern glitschte das Maschinenöl, spritzte ihr Reste ins Gesicht, der Auspuff fönte ihr Haar zu einer ehernen Skulptur nach hinten. Als sie dann auf der Straße lag, keuchte ihr verklebter Mund. Autos hupten in langsamer Vorbeifahrt, nur dasjenige nicht, das ihr Magen, Leber, Milz aus dem Hals drückte.
Die Romantische Zeit. Ich möchte sie mir gerne vorstellen als den sensiblen Aufbruch des Geistes, der sich seiner Fesseln entledigt. Mir selbst ist das Licht der Gegenwart zu grell. Man geht bekleidet vor die Tür und kehrt völlig nackt zurück, weil die Umgebung mächtig gefräßig die Plünnen abreißt. Wenn man dann in ein Gemälde hineingehen könnte, Farbäste beiseite beugen (ein wenig ducken muß man sich schon, ein wenig in die Farbe tauchen). Rascheln alter Pinsel, die niemand mehr führt. Die Bewegung nur eine mathematische Gleichung. Ich bin eingeplant, ein X, eine Rune: Klamotten, die im Bild ich trage.
Oder ich denke mir: Wenn ich so einen Garten hätte, in dem die Blumen zur Erdmitte hin wachsen, müßte ich niemanden absorbieren, um dieses Dorf zu konservieren.

Dienstag, 2. September 2014

Der Ort der Nacht

Der Ort wirkt friedlich aber leer. Die Kulisse steht seit Jahrzehnten unverändert. Wenn es je ein Geisterdorf gegeben hat, dann ist es Schwarzenhammer, zu unwichtig, um erneuert zu werden. Aufrecht erhalten durch die Erinnerung der Fortgegangenen und vielleicht sogar der Toten, die ihre Energien hier zurückließen. Den Koffer des Lebens, das sie führten. Sie können zurückkehren, wenn ihre Häuser noch stehen, wenn es einen Gegenstand gibt, mit dem sie nun verschmolzen sind. Sie benötigen ihre Nachfahren nicht, keinen trauernden Verstand, der sie nicht losläßt. Der Körper ist nur die Flasche des Dschinn. Was sie brauchen ist das Tableau, eine Anordnung von Bauwerken, Straßen, Gassen, Wegen. Wie bei einem Tresorzahlenschloß werden dann die Korridore geöffnet, zeitenunabhängig, in beide Richtungen begehbar.
Die Vergangenheit sitzt gerne in ihrem alten Lehnstuhl, um das Treiben zu beobachten, das sich um die Zukunft dreht, um das Ausweiten von Raum durch Bewegung. Kindheiten tauchen auf, nachtbehemdet, wie ein Schock, nicht nur wie eine Brise. Die Nacht ist ein lebendiges Beben, die Spechte holzen sich fort und rattattern ihre Schnäbeläxte in die Baumhemden, die sofort damit beginnen, zu golden. Was vom eigenen Blut in die Erinnerung packen: Bin das wirklich ich?
Ich trinke aus der hohlen Hand. Hinter Glaswänden liegt verborgen der Tag in Ruinen, dieser unvergängliche Tag. Sonnenstrahlen, von Schatten gebremst.  Reißzähne, als wäre der Tag eine Illusion der Nacht. Ich habe keine Erinnerung an mich, nicht so, als hätte ich mich nie gekannt, auch nicht so, als hätte ich mich vergessen, sondern so, als sei ich vor langer Zeit gestorben und nur eine zerrissene Seele zeuge noch von mir. Die Hälfte, die an mich denkt, die Hälfte, die an die Hälfte denkt, die an mich denkt. Leben voller Halbheiten, Halbzeiten, fällt mir auf, daß alles hoffnungslos, nichts mehr getan werden kann. Ich trinke aus der hohlen Hand als tränke ich mein Leben.
Also war schon wieder eine neue Tageszeit angebrochen (mit erstaunlich viel Bewegungsfreiheit). Der stille Tisch voller dampfender Teller. Also lehnte ich an der Brüstung meines Balkons, fühlte mich so groß wie der einzige Baum. In der Luft schwebten Paradiesgeister, betörten mit einer Sprache des lockenden und unerreichbaren Glücks, an dem der Mensch stirbt, wenn es nicht gemein, alltäglich, abgenutzt ist. Wer die Schönheit angeschaut hat mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben. Ich war bereits homerischer Heros, die Hetäre Aspasia, der Kyniker Krates, war König und Bettler, Pferd, Dohle, Frosch und mehrmals ein Hahn.