Vorbemerkung: viele Skizzen des als "Kardinalität der leeren Menge" angedachten Textes sind bereits andernorts - immer wieder in verschiedenen Variationen aufgetaucht. Im Grunde - und das werden Sie gleich selbst feststellen, wenn Sie den Fließtext erblicken - ist diese Arbeit, dessen erstes finales Kapitel also nun folgt, kaum dazu imstande, eine Leserschaft zu generieren. So etwas könnte man aller Wahrscheinlichkeit nach einen "toten Text" nennen. Andersherum aber ist dieses erste Kapitel sogar ungeheuer lebendig. Es hat tausend Geschwindigkeiten und mehr als nur vier Dimensionen zu bieten. Der Beginn führt sogar ein, zwei Sätze, die dann in die Hochzeit auf dem Lande abbiegen und dort eine ganz andere Reise vor sich haben. Man kann diese Prosa wie einen Farbballon betrachten, der auf eine Oberfläche trifft und seinen Inhalt zerstäubt. Passenderweise bedeutet Ballon in seinem Ursprung genau das.
Aus gutem Grund wird das das einzige Beispiel eines solchen Ballon-Textes auf GrammaTau bleiben - und der ist freilich nicht darin zu suchen, ein etwaiges Geheimnis hüten zu wollen, obwohl es natürlich eines gibt. Doch das ist gegenwärtig so uninteressant, dass es nicht der rede Wert scheint. Vielmehr ist GrammaTau ja auch ein Magazin, das ich in meine Arbeit miteinbeziehe, also sollte ich auch diesen Schritt nicht unter den Tisch fallen lassen.
1. Rache für den Marmortraum
Lange folgte uns der
Gedanke, durch Äste und Zweige gesiebt der Sonnenstrahl, präsentiert von
einem Blaunachthimmel, das verfallene Haus in der Mühlgasse aufzusuchen. Häuser
sind uns ähnlicher, sind uns Ummantelung. Das Innen ausgestülpt.
Von hier aus gesehen : du
erschienst mir wie ein lebender Quell, bist nun Quell; du erschienst mir wie
der Docht einer Kerze, den ich entlang flamme.
Von hier aus gesehen : Ich
bin von allen Früchten die Frucht, bin in allem Lieblosen dem Lieblosen fremd.
Ein Mund/oder noch ein Mund; ein Mund spricht, der andere versiegelt küssend
durch Obstgeräusche, Mus-Lippen.
Ich laufe herum, du weißt :
sitze da, sehe dich an. Es riecht nach Kaffee, nach ‹ganzen Bohnen›, und du
bist schön. Ich sehe alle deine Jahre; und wenn du tanzt - !
Die Spiegel werfen mich erst
nach meiner Ankunft wieder zurück (in allen Wogen der Verdammnis : ein altes
Herz wird endlich jung.); Nebel schwankt auf torfiger Erde um das Land herum,
wartet auf das Sönnelein, das zwar schon seine leuchtenden Arme ausstreckt,
aber noch nicht in das Herz der Nebelbank hinein greift.
Noch nicht : verzischt der
Schleier der Wolkengespinster. Geisterhaft geckern die Stimmen der nicht mehr
anwesenden Kinder von der groben Steinbrücke, brechen sich an den Gebäuden
entlang der einen Straße, kehren lallend zurück : ‹Achtet auf den Widder! – idder idder idder - !!›
Fluss gurgelt, Nebel weicht
nicht; auf der Wiese stehen Schatten. Es sind die Schafe, die schüchtern Gras
rupfen vor der hölzernen Wand, hinter der sie ihr Nachtlager wissen/missen. Die
Tore geschlossen. Achtet auf den Widder! Wollköpfe schnellen lauschend in die
Höhe, schwarze Münder blöken. Die Kinderschar lacht, löst sich auf, nicht mehr
als eine weitere gespenstische Erscheinung. Die Steinbrücke befindet sich
wieder leer. Als auch der Nebel endlich heimgegangen ist, steht das Dorf wie ein
beginnender Frühling, still und warm, an seinem Platz.
Stell dir vor, du gingst
spazieren und sähest dich selber mit angstverzerrtem Gesicht auf dich zulaufen.
In all den Nächten gab es
keine ausgelassene Stimmung, nicht die Heiterkeit, wie eine Sau durchs Dorf
getrieben, in den zynischen Ursprung des Gelächters hinein. Die Zeit schrumpfte
zu einer festen Kapsel zusammen. Ein Meuchelmorgen lässt uns waten in finsterem
Gemäuer. Von zeitzernagten Scherben ging eine ängstliche Stille aus, als wir das
Zimmer mit der zerschmetterten Puppe auf dem Boden schließlich fanden.
Abyssales Augenwerk riss Löcher. Zur Hälfte denke ich, es war ein Traum und die
Überraschung rührte daher, die schwere Pforte, die eigentlich verschlossen sein
sollte, geöffnet zu finden. Eine gewisse Stimmung von wild wuchernden Büschen,
ein Scherz von Dornröschen. Dieses Haus steht lange schon leer, Caspar David
Friedrich hat es gemalt in ‹Abend am Fluss› : zugerankt von Ginster und Efeu. Die
Steine vergessen nichts. Ihre Erinnerungen fließen langsam wie ihre ganze
mineralische Existenz. Geduld macht sie unsterblich. Wenn der Dunst an ihnen
reibt, erklären sie sich bereit, flüchtige, ikonische Gedanken abzusondern. Die
Pioniere tiefer Erdschichten sind die Archivare der Zeit.
Man erkennt nur selten einen
Namen, oft aber ein geflüstertes Wort, noch öfter ein verschallendes Lachen,
dem man besser nicht folgt.
Keine Heiterkeit findet sich
dort, wo es endet.Der Flug ist Augur in den müden Augen, die das eine Zeichen
deuten können, das andere aber übersehen. Der Vogel weiß nichts davon, gelesen
zu werden, so wie Buchstaben nichts davon wissen.
Was steht hier? – Das ist
einerlei. Was aber bedeutet es?
Auch der Seelendienst, den
ich heute spendete, ist ein Gefäß meiner Tugend; ich stehe nicht ohne Grund
über mir. In dieser verblüffenden Haltung warte ich auf die Antwort (ein Echo)
die (das) stets in mir lauter wird. Ich kann mich nur dann irren, wenn ich
nachdenke, das Irren zum Irren mache. Ich beobachte, wie sich die Seile des mir
Erzählten rühren wie jenseitige Stricke (ohne das gesetzliche ‹Hier›).
An diesen Webebalken hangeln
sich die Figuren entlang. Da es meine Stricke sind, kenne ich ihre exakte
Länge. Heute Nacht war ich hellsichtig (es funktioniert nur im metallischen
Mantel der Nacht), weil ich aus dem Zustand des Einschlafens gerissen wurde, da
war es drei – jetzt ist es halbfünf; die Vögel proben ein erstes Gespräch über Frühbeute.
Nicht selten bemerke ich an mir den Reiz, den Übermüdung ausübt in einer weiteren
Nacht ohne wellenförmige Schlafphasen.
Scherben fingen das Licht
und wir schlugen uns einen Weg durch Brennesseln, Disteln, Dornen; betraten das
verfallene Haus durch die offen aus dem Mörtel balkende, morsch trauernde Tür.
Als erstes gewahrten wir die Puppe, die einsam im Dreck auf dem Boden lag; ein
Symbol unserer rätselhaft erscheinenden Welt. Gefahr stand in der Luft, stank
aus den Mauern heraus. Ohne diese vergessene Puppe, ohne die verlassenen, vom
Tisch fortgerückten Stühle, die offenstehenden Küchenschränke, wären wir gar
nicht so besorgt um die Vergangenheit gewesen. Wenn wir wirklich sehr vorsichtig
sind mit der Wahrheit, dürfen wir unsere Laster behalten (Gula, Luxuria, Desperatio);
zumindest behaupten das die alten Bücher, die hinter der Kommode in der Küche
Deiner Mutter verrotten, ihre Flügel strecken, flattern.
Sie stand mit geröteten Augen
im Raum : »Rate mir!« – und sie lehnte den Kopf und ich riet; »Beruhige mich!«
– und ich rührte Ruhe an wie dickes, nasses Fell. Um sieben weckten mich die
Träume, die in die beiden Schlafkissen gefallen waren, weil ich sie,
entkräftet, nicht zu halten vermochte.
Meine Trümmer des Schlafs :
Ich komme nach oben, sehe ein abgeschmacktes Licht, einen wartenden Tag. Er
wälzt, wälzt, wälzt sich im Bett, der Tag; träumt, hält fest an dem Traum. Der
Wahnsinn : ‹Du Wahnsinniger› ! : Auch ich bin ständig mit dem Trommelrevolver unterwegs!
Nein; ich fasse mich an. Der Instinkt des Traumes ist stets erotisches
Schweinelager, stets voll ... und voll ...
Die Laken : stinkendes,
krustiges Blut und Nahrung (oder Rätsel).
Das Fass, das der Böttcher
botticht hat nichts zu tun mit dem Böttcher, der den Bottich fasst.
Die Uhr bleckt ihre
Zwölf-Uhr-Zunge; ob sie’s gleich weiß, dass sie die Zeiger stemmt? Auch ein
Labyrinth : die Feder lassen im Gehäus’, Henkerpendel über dem Schlafenden.
Es folgt : der letzte Traum
in Federwogen; Nachtmahr, Nachtmahr, meck, meck, meck. Schnarcht mit Pfunden
Laken über sich.
Kein Lichtstrahl findet je
zu seiner Quelle zurück; Jahre alte Seifenstücke in einem Nylonsäckchen, modriger
Geruch. Die Idylle in Puddingfarben. Hier leben die, die sich ihre Hände mit
Schnaps waschen, den Kuhstall abschwemmen, das Spiel beobachten, Lust gewinnen,
begehren, was sie sehen, sprechen : »Komm rein und bring die Wäsche mit!«; als
ob ein Hammer auf die Bergkämme schlägt; ein Meister der Skulpturen, dieser
trampelnde Gott; doch wer hat so ein Antlitz je mit eigenen Augen gesehen, vom
Feuerrot umzingelt, wie die wunderliche Walküre, die dem Einen harrt?
Der Wind bläst die Laken vom
Gestänge, das Hanfseil pfeift polyphon auf allen Flöten des Pan das Lied einer
Begegnung; die Mädchen holen Wäsche ein, decken Töpfe zu; die Gärten werden
abgesperrt, die Läden schon geschlossen. Observiert durch dünne Wände, hingegeben
der Evolution : Vielfalt der Skelette, atemlose Wunderwelt.
Aufmerksam wurde ich durch
ein knarzendes Dielenbrett. Worauf spielte es an? Im Universum geht Energie nur
dann verloren, wenn wir nicht mehr sind.
Es war nur natürlich, dass sich hier Staub sammelte, wie Gespensternebel in den Ecken kreiselte. Durch die
offenen, teilweise eingeschlagenen Fenster schwirrten Pollen herein, die im
Sonnenlicht schwebten.
Die Natur sah nach, ob sie
sich ein Stück Zivilisation zurückerobern konnte. Gräser wuchsen aus den Fugen,
Unkraut fingerte zwischen den Dielen hervor.
»Sie hat sich bewegt«, sagte
Steff, deutete auf die verrenkt daliegende Puppe. In Wirklichkeit lag sie schon
die ganze Zeit so seltsam da. Wir wussten alle, dass er eigentlich etwas anderes
meinte. Das Fürchterliche fanden wir im angrenzenden Zimmer. Dort hing ein
blaues Kleid auf einem Bügel an der Tür eines leeren Schrankes.
Der gespannte Gummi wäre
lieber die Saite einer Konzertgitarre, erträgt das Spiel der hüpfenden Beine
jedoch klaglos, denn in der Vergangenheit gab es einige Vorkommnisse, von denen
die Mädchen wussten. Wer in einem solchen Ausmaß Bescheid weiß, ist längst kein
Gegner mehr, sondern jemand, der die weite Reise tun muss und ahnt, dass er
selbst viele künstliche Stoffe enthält.
Die Regale : müde Bretter;
Fluss: kaum hörbar; das Sonnenlicht verstirbt parterre an der Mauer, dringt
höchstens in den Verputz, legt sich zu Ameisen, Weberknechten und Urmündern,
die ohne Zwischenkörper gleich in den Proktos übergehen.
‹One Night Fits All› in dieser ‹Camera Silens›.
Ein isolierter Kellerraum,
vom Leben nur Spuren, angeramscht, aufgetürmt. Wir tranken weißen Wein im
Nachgras.
Die aufgestaute Hitze
lungert wie eine Belagerungsmaschine um das Haus herum, die Sappeure jedoch
scheitern, es bleibt kühl.
Worte verzehrten sich
harmlos im Spiel, Zungen kauen von Koprolallern gehörte Schallwellen, spucken
die Hülsen ohne Bedeutung über die Rinnsteine, Grenzlinien zur Unterwelt. Hier
gerät alles in Vergessenheit. Befänden wir uns im Wald, würden wir Märchen
nachspielen. Im Boden versteinern Muscheln, Quarzkristalle, Ammoniten, das Zirpen
der Heuschrecken, wartend. In Sepiatinte geschrieben : die Mär von den Wundern der Welt, die
gezwungen sind, auf Erden zu verweilen, den Heidelbergensis
anzufeuern, Mensch zu
werden, die Gestirne zu beobachten, Trank, Speise, Haus, Hof. Das gesamte
Gebiet ein einziger Steinbruch, ein wörtliches Geröll, eine Ansammlung von
Taten, unzuverlässigen Gespinsten; sie täuschen den Betrachter und er wird sich
an der Kausalitätskette erhängen (ein merkwürdiger Tod).
Für einen kurzen Augenblick
hielten alle den Atem an, weil Steff das Kleid mit seinen Fingern berührte.
Dabei war es doch offensichtlich, dass diesem lackmusblauen Kleid das Haus
gehörte. Wir alle konnten uns vorstellen, dass sich dieses Kleid, vermutlich zur
Geisterstunde, mit Leben füllte. Steff zog die Hand damals rechtzeitig zurück,
ohne dass jemand ihn dazu aufforderte. Dachten wir alle wirklich dasselbe?
Dass der Witwe das Kleid
gehörte? Es war unwahrscheinlich, aber das Gefühl, das wir hatten, wenn wir ihr
im Dorf begegneten, kam dem nahe, was wir in diesem Moment empfanden. Ein
einziger Organismus, verloren in einer surrealen Welt, weil wir keine
Eckpfeiler der Vernunft zur Verfügung hatten, mit denen wir unsere Vorstellung
von ‹Raum› hätten abstützen können.
»Wir sollten lieber in die
Scheune zurück gehen«, sagte Wolf. Er durchschnitt mit diesem Satz diese
merkwürdige Stille, die nur aus Bildern des Verfalls bestand, uns nicht
miteinander reden ließ.
Jetzt hämmern
sie gegen die Tür. Sie wissen uns in diesem Augenblick erschrocken auf dem Bett
kauern, auch wenn sie uns nicht sehen können. Dein Atem geht hektisch, überaus
hörbar, Deine Hände gleiten von meinem Körper ab. Wie haben sie uns gefunden?
Vielleicht sind sie uns gefolgt. Dass wir überlebt hatten, dafür konnten wir nichts.
Es war Zufall gewesen.
Dort, wo die
Wand in sich zusammenfiel, klafft eine Wunde. Nicht, dass die Wand nicht mehr da
war, das Gestein unter Tapetenfetzen, Holz und Staub begraben lag, nicht, dass wir plötzlich hinaus sehen konnten, über das Schilf des kleinen Weihers hinweg,
über den Wald hinweg, aber das Loch war da, unentdeckt von den Fängern, die an
die Tür droschen.
Wir sehen das
Blut Schlieren ziehen, ein wässriges Rot sammelt sich vor dem Tisch. Natürlich
war hier jemand ermordet worden. Und noch immer hämmern sie gegen die Tür. Du
schlotterst so sehr, sagst: »Mach dass es aufhört!« Aber ich kann nicht. Ich
bin nicht befugt, etwas zu ändern.
Schließlich habe ich sie gerufen.
Wir kehren
jetzt zusammen zurück in den Ozean. Du hast keinen Namen, du bist der Succubus;
alle Säfte sind Milch und Honig, alle Höhlen und Löcher der Erde sind die Tore
zur Gottheit.
Ein Ort, in Länge und Breite
begrenzt, nach oben unendlich. Die Abende schossen aufs Dach, also setzten sich
die Schindeln auf die Fensterbank, Goldvögel anzuschaun, von oben nach unten.
Auf diesen Straßen führen
die Löcher zu einem Platz, der verborgen im Herzen des Wahrnehmenden liegt, ums
Bazaubernde, Zaubern, um Allmagie um uns herum.
Movemento : bewegt im Raum,
Zeitketten anorganisch, Urgesichter, Uhrengesichter, Wildwechselmimik, die
schönsten Regenschauer auf einen Blick. Ich bin jetzt niemand mehr und das ist
die Knute der Vergeltung. Aufgepelltes Rosenrot, die tonnenschwere Last des unbeachteten
Geschirrs, die molesten Stufen; kein Stock wird mich führen, kein Geländer mich
hangeln. Auf und Ab ekstatischer seelischer Zustände, Gleichnisse,
Traumgesichte in einem absoluten Tanz.
Aussehen : wie der
Solomensch von Java.
Diese Wasser flossen nicht.
Sie standen in ihrer Lake, nährten keine Lurche, keinen Schilf, und auch der
Faulschlamm zersetzte sich nicht mehr speisend. Tümpel waren die Bäche an ihrer
tiefsten Stelle, der Rest Gestein im Trockenbett. Wie mittelalterliche Pest
stank die Luft, ein geheimer Zorn lag in den Dingen, den brachliegenden Augen.
Ich bin ihr im Traum
begegnet, das wolltest du doch wissen? –
also : Ich bin ihr im Traum
begegnet! Sie stand am Ende der Nacht, ihr Kleid reinster Mond. Ich hätte mich ihr genähert,
bestünde mein Unterleib nicht aus reinstem Marmor, aus Karbonatgestein.
Fleisch wächst um den
pränatalen Traum, die Flut umwirbt ihn, wir tragen dich, du wirst es sehen.
Leben entsteht weil Leben entstand. (Oben nichts, alles in Ordnung.)
Ich konnte atmen, Traumluft
atmen; atmete also von dieser bitteren Schwärze, die nicht wenig von
Herrenschokolade hatte, während sie
da drüben stand, vor sich
hin glomm, mich ihrerseits ansah (vielleicht träumte auch sie, wer weiß?).
In den Thermoskannen steht
der Tee bereit; Zimtgeruch vertreibt die Stimmen aus den Nüstern, Rotz gefriert
klammheimlich, glühend der Wein, die Lippen verbrennen sich an diesem kochenden
Verschnitt, in den man Gewürzbeutel hängt; nur ja nicht zu lange sieden, der
Geist
Geht sonst verloren, die
Körper der zermalmten Trauben beleidigt im nächsten Erntejahr. Stimmen erheben
sich zu einem lautlosen Vergessen. Wenn die Nacht nun kommt, das Auge streift,
immer tiefer in das Grün, niemand folgt dir, bist losgelöst von allen
Verbindungen, vor dir liegt das, was einstmals Felder gewesen, abgrundtief und
ekelerregend. Die ausgestoßenen Produkte einer bizarren Gesellschaft, Blut
geronnen, schwarz in seiner Fäulnis modernd. Wenn man in die Nacht
hinausblickt, wenn man das Rauschen des eigenen Blutes hört/
Als ich erwachte : Das
Wasser bedrängte mich, marmorne Härte gegen die Blüten der Bettdecke. War inmitten
der Erregung dennoch erzürnt über die steinerne Fesselung. Ich blickte nicht
nach rechts, wo sie schlief (sie stand wohl noch immer in meinem Traum herum,
mochte auf die jetzt leere Stelle starren).
Schleppte mich ins
Badezimmer : da war einer, der das Gehen
erst erlernt : die Beine schwer, die Blutschläuche noch angefüllt mit flüssigen
Basalt. Ich schlug mir das Wasser ab. Es mag merkwürdig klingen, aber
ausgerechnet hierbei kam mir die Idee, all ihre Kleider und Schuhe zu
verbrennen, nennen wir es nicht Rache.
Wenn dich niemand
beobachtet, wenn du in dir hockst, kerkergerecht aufgemacht, Lippen wie Glukoseschimmern,
Augen wie ein See am Abend; es ist nichts in dieser Nacht.
Du würdest gerne in ein
Nachtbuch eintragen : Die Realität ist
das, was das Nichts tut, wenn es sich langweilt.
Der Mond leuchtet den
Wichteln, Trollen, Barstukken, leuchtet jenen, die selbst nicht glühen und in
ihrer hölzernen Hand keine Laterne mitspazieren lassen. Stock und Stein,
Wurzeln, Farne : leuchtet der Prozession hinunter ins Dorf! Wölfe küssen
feucht.
»Was ist mit den Räubern?«
Sie lercht, lächelt nicht in ihren Gummistiefeln, die ihr bis knapp unter die
Knie reichen; sie biegen sich noch kaum, starren um ihr schmales Gesöck herum,
stempeln die halbtrockene (halbnasse) Erde, ritzen Dagewesenes hinein.
Und dann gibt die Erde nach;
sie stampft noch etwas tiefer, blickt mit gemarterten Augen auf zu den
Gesichtswipfeln, die vor einem aschfahlen Himmel wippen, Bärte daran gekauert.
Überall nur sie, in allem,
was vergeht. In den Bäumen raschelt ihr Name, in jedem Gewässer ist sie
Loreley, hinabgestürzt vom Fels, auf dem sie sich kämmte und für den Tod der
Seefahrer herausputzte.
Hinab zog’s Schiffer und
Kahn. Ich weiß auch nicht, was soll
es bedeuten!
Jetzt aber zieht es mich zum
Geäst, dem Gewölle, der Blüte im Unterholz. Ihre Form löst sich von den
Zweigen. Wohin mein Blick auch schweift, ich bin verloren. Denn es gibt merkwürdiges im großen Abgrund, und der Traumsucher muss aufpassen,
dass er nicht das falsche aufstöbert oder ihm begegnet.
Davor : wenn wir gestaltlos
nur Gedanke sind, vom Leben träumen, geträumt vom Leben träumen. Ich steige in
den Trichter der Unendlichkeit. Was Zeit mir ist, das muss sie mir beweisen. Die
Geschichte in der Schleife.
Beim Spazierengehen ein Mann
am Eingang einer Höhle, eine Windmühle zimmernd, von Omen stotternd. Ein Haus,
aus einem verdorbenen Magen gewürgt, Gallensteinfarben mit einem völlig
verzweifelten Duktus gegen die tannengrüne Grundierung gemalt. Als wir noch als
Kinder durch den Garten der Welt das Fallen von Gegenständen beobachteten,
nicht die Entzauberung der Welt vor Augen hatten, die Katastrophe nicht
mitgedacht. Nur das Gefühl lehrt Wesentliches, roter Streif am Firmament.
Ich sehe : ich habe Haut,
die, wenn ich sie aufreiße, eine rote Substanz enthält. Die alten Poeten
erträumten sich das, was wir uns heute erschlafen. Bachen und Keiler liegen im
wohnlichen Dreck, von aller Sauberkeit befreit, Kissen aufgeschüttelt.
Die ehrenwerten Hotelnächte,
die sich in der Nähe eines defekten Elevators um den Flur herumwickeln, kenne
ich nicht anders.
Ich male alles in Wachs. Das
‹Abc› (man braucht kaum ein ‹c›) :
»Aaaapfel!« Dann raus, man
ist Schriftsteller! Apfel, Biene, Dach
(man braucht kaum ein ‹c›).
Cremé. Krem.
Der Wachsstift auf dem
Tisch, meine Finger zum ersten Mal schriftklebrig. Wie ein unbewusster Nebel
werde ich auftauchen, die Stimmen gleich hinter mir, nahe bei den Gestaden, die
ich bewandle.
Nicht fassbar bin ich dort,
wo nicht zu fassen. Suche mich dort, Wanderer, auf der Suche nach den Stimmen,
die dir sagen, was ich dir sage. Die Stimmen gleich hinter mir, von Eros und
Thanatos, den Mysterien der Wirklichkeit. Der Nebel voller Licht, darin die
Gewalt : ein rein fließendes Chaos; Auftrieb, Abtrieb. Geschmeidiges Sein
durchwebt die Stille.
Ich sage : »Still jetzt!«
Da du das Gespenst bist, das
sich im Wald verirrte, da du der Bach bist, der neben mir geht. Ich fand frisch
erworbene Demut an meiner linken Seite hinabtropfen, blutendes Weideland. Ich
fand dich, ich folgte dir an den blinzelnden Augen vorbei, kam hinter dir her,
folgte deinem Rücken, den Fersen, die Zeit aus dem weichen Boden schlugen. Das
Licht wird grau : helles Grau, dunkles Weiß, vernebeltes Gelb. Ich wuchs heran
inmitten dreier Flüsse. Ich existiere durch Sprache, die mein Leben ist; die Welt ist die Sprache, die ich wahrnehme,
die nicht die Sprache der Anderen ist. Zur Stille will ich gelangen durch
Sprache, ich sage : »Still jetzt !« Ich meine die Dialoge, die sich anschicken,
schneller zu werden. Chipmunk.
Die ganzen Stimmen, die
vielleicht singen oder etwas jubeln oder etwas heulen. Ich war einmal ein Stein
vor zweihunderttausend Leben, ein glücklicher Stein im Geröll, wasserdicht bis
ins kleinste Mineral; unbedeutender war nie ein Stein. Doch fehlt er, bricht
das Universum in sich zusammen und wird zu früh ein Schwarzes Loch.
Ich kann mich auf alles
anwenden. Auf Dich, auf mich, sogar auf alle Tiere, schleichende Schleichen,
also Anguidae, Flügel faltende Falter, also Lepidoptera. Manche davon bin ich
in Bernsteinquadern, manche bin ich in den Lüften. Ob ich ein Ich bin, ist
nicht mit Sicherheit zu sagen. Kein adäquater Ausdruck beschreibt den Zeitenkelch,
der mich mottig anzieht, nichts kleidet mich mehr in ein Wunder als die Erinnerung,
das ‹erinnerte Ich›. Als hätte ich erlebt, was ich zu erinnern fähig bin.
Ich kenne keine andere Nähe
als die Berührung zweier Oberflächen. Die Hand – was sind wir davon, was bist du davon?
Ich spüre nur mich, du bist
mein Widerstand. Bevor ich dich ansehen kann, bist du verschwunden. Wir sind
nur Kinder im Vorgarten der Hölle, unser Paradies aus Schwefel.
Auch in Parahotelzimmern
springt die Luft durch den statischen Auftrieb wie eine Bestie in die Ecken
hinein, kaum schließt man die Tür, nur schließt man sie nicht im Bewusstsein daran, sondern im Clinch mit allen abstrakten Dingen, die sich in Sicherheit
wähnen und aus diesem Grunde den Energiefluss hemmen. Dort zu verharren, käme
einer Stagnation gleich. Zur Viole will gesprochen sein, sie übt sich kaum in
der notwendigen Geduld, sich nicht immerdar ausleeren zu wollen. Trotzdem; du
biegst hier ab, ein letztes Brechen der Wellen am Schrank, ein letzter Vorhang,
der über den Wanst spannt.
Ungewollte Schatten, ihr
Träger in Einkehr, geistern über die Erde, die selbst nur vage Umrisse hat. Die
Raupe pelzig eingehüllt, später flügge, den dräuenden Irrfahrten nicht
entkommen.
Der erste verbürgte Versuch,
eine Straße zu bauen, begünstigt durch den durchs Haus turnenden Duft frischer
Krapfen, die sich, ausgelegt auf dem Kellerboden von selbst vermehren.
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