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Ich habe mich
wirklich an alles erinnert. Während ich hier stehe, springt mir ein Teufel ins
Genick. Er meint es gut – Teufel meinen es gut, sie wollen nur, daß wir
begreifen. Adam bin ich – einz’ger Mensch. Wie ging es los? Wasser konnte
man nicht mehr Wasser nennen. Gewöhnliche Wasser fließen, diese Wasser flossen
nicht. Sie standen in ihrer Lake, nährten keine Lurche, keinen Schilf und auch der
Faulschlamm zersetzte sich nicht mehr. Tümpel waren die Bäche an ihrer tiefsten
Stelle, der Rest Gestein im Trockenbett. Wie mittelalterliche Pest stank die
Luft, ein geheimer Zorn lag in den Dingen, den brachliegenden Augen. Alle
Gräser schnitten ins Fleisch, wenn man mit freigelegten Knien darüber streifte,
im Sommer aus Gewohnheit, die Sonne mehr ein fahles Licht. Da wächst nichts ihr
entgegen, kräuselt sich insektengleich statt dessen.
Einst die
Augen aufgesperrt, um die Wunder der Welt zu sichten, liegt sie wie eine
zerbrochene Puppe am Waldesrand in halb zerfetzten Kleidern, nicht wirklich
spektakulär, nur wie ein Spielzeug im Dreck. Sie liegt da und ist beim
Näherkommen nur Geäst, nichts weiter als Erinnerung, und ich, schon verdorben
vom Unmöglichen, sehe zu den Wolken auf, hinein in das Gesicht einer längst
vergessenen Wonne. Überall nur sie, in allem, was vergeht. In den Bäumen
raschelt ihr Name, in jedem Gewässer ist sie Loreley, hinabgestürzt vom Fels,
auf dem sie sich kämmte und für den Tod der Seefahrer herausputzte. Hinab zog’s
Schiffer und Kahn (ich weiß auch
nicht, was soll es bedeuten). Jetzt aber zieht es mich zum Geäst, dem Gewölle,
der Blüte im Unterholz. Ihre Form löst sich von den Zweigen. Wohin mein Blick
auch schweift, ich bin verloren. Denn es gibt merkwürdiges im großen Abgrund,
und der Traumsucher muß aufpassen, daß er nicht das falsche aufstöbert oder ihm
begegnet.
Davor: wenn
wir gestaltlos nur Gedanken sind, vom Leben träumen, geträumt vom Leben
träumen. Ich steige in den Trichter der Unendlichkeit, was Zeit mir ist, das
muß sie mir beweisen. Die Geschichte in der Schleife. Beim Spazierengehen ein Mann
am Eingang einer Höhle, eine Windmühle zimmernd, von Omen stotternd. Raha, du
große Stadt ohne Weintrauben! Falls aber doch Weintrauben da sind, dann nur als
Abbild einer Kristallkugel, Spätlese, ein Haus wie aus einem verdorbenen Magen
gewürgt, Gallensteinfarben mit einem völlig verzweifelten Duktus gegen die
tannengrüne Grundierung gemalt, als wir noch als Kinder durch den Garten der
Welt das Fallen von Gegenständen beobachteten, nicht die Entzauberung der Welt
vor Augen hatten, die Katastrophe nicht mitgedacht. Nur das Gefühl lehrt
Wesentliches, roter Streif am Firmament bei Sonnenspielen: Mensch beschreibt
sich und die Umwelt, die er sieht – hier Mensch, da Umwelt.
Ich sehe: ich
habe Haut, die, wenn ich sie aufreiße, eine rote Substanz enthält. Die alten
Poeten merkten sich das, was wir heute erschlafen. Bachen und Keiler liegen im
wohnlichen Dreck, von aller Sauberkeit befreit, Kissen aufgeschüttelt. Die
ehrenwerten Hotelnächte, die sich in der Nähe eines defekten Elevators um den
Flur herumwickeln, kenne ich nicht anders.
Ich male
alles in Wachs, das Abc (man braucht kaum ein c), das Abd: „Aaaapfel!“ Dann
raus, man ist Schriftsteller. Apfel, Biene, Dach (man braucht kaum ein c).
Cremé. Krem.
Der
Wachsstift auf dem Tisch, meine Finger zum ersten Mal klebrig der Lust wegen. Wie ein
unbewußter Nebel werde ich auftauchen, die Stimmen gleich hinter mir, nahe bei
den Gestaden, die ich bewandle. Nicht faßbar bin ich dort, wo nicht zu fassen.
Suche mich dort, Wanderer auf der Suche nach den Stimmen, die dir sagen, was
ich dir sage. Die Stimmen gleich hinter mir, von Eros und Thanatos, den
Mysterien der Wirklichkeit. Der Nebel voller Licht, darin die Gewalt eines rein
fließenden Chaos, Auftrieb, Abtrieb. Geschmeidiges Sein durchwebt die Stille.
Ich sage: „Still jetzt!“ Da du das Gespenst bist, das sich im Wald verirrte, da
du der Bach bist, der neben mir geht. Ich fand frisch erworbene Demut an meiner
linken Seite herabtropfen, blutendes Weideland. Ich fand dich, ich folgte dir
an den blitzenden Augen vorbei, kam hinter dir her, folgte deinem Rücken, den
Fersen, die Zeit aus dem weichen Boden schlugen. Das Licht wird grau, helles
grau, dunkles Weiß, vernebeltes Gelb.
Ich wuchs in Raha
heran, inzwischen dreier Flüsse. Ich existiere durch Sprache, die mein Leben
ist, die Welt durch Sprache, die ich wahrnehme, die nicht die Sprache der
Anderen ist. Zur Stille will ich gelangen durch Sprache, ich sage: „Still
jetzt!“ und meine die Dialoge, die sich anschicken, schneller zu werden. Die
ganzen Stimmen, die vielleicht singen oder etwas jubeln oder etwas heulen. Ich
war einmal ein Stein vor zweihunderttausend Leben, ein glücklicher Stein im
Geröll, wasserdicht bis ins kleinste Mineral, unbedeutender war nie ein Stein.
Doch fehlt er, bricht das Universum in sich zusammen und wird zu früh ein
Schwarzes Loch.
Ich kann mich
auf alles anwenden. Auf dich, auf mich, sogar auf alle Tiere, schleichende
Schleichen, also Anguidae, Flügel faltende Falter, also Lepidoptera. Manche
davon bin ich in Bernstein-Quadern, manche bin ich in den Lüften. Ob ich ein
Ich bin, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Kein adäquater Ausdruck beschreibt
den Zeitenkelch, der mich mottig anzieht, nichts kleidet mich mehr in ein
Wunder als die Erinnerung, das erinnerte Ich. Als hätte ich erlebt, was ich zu
erinnern fähig bin. Ich kenne keine andere Nähe als die Berührung zweier
Oberflächen. Die Hand – was sind wir davon, was bist du davon? Ich spüre nur
mich, du bist mein Widerstand. Bevor ich dich ansehen kann, bist du
verschwunden. Wir sind nur Kinder im Vorgarten der Hölle, unser Paradies aus
Schwefel.
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