Montag, 29. September 2014

Mondschild -part drei-

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Ich habe mich wirklich an alles erinnert. Während ich hier stehe, springt mir ein Teufel ins Genick. Er meint es gut – Teufel meinen es gut, sie wollen nur, daß wir begreifen. Adam bin ich – einz’ger Mensch. Wie ging es los? Wasser konnte man nicht mehr Wasser nennen. Gewöhnliche Wasser fließen, diese Wasser flossen nicht. Sie standen in ihrer Lake, nährten keine Lurche, keinen Schilf und auch der Faulschlamm zersetzte sich nicht mehr. Tümpel waren die Bäche an ihrer tiefsten Stelle, der Rest Gestein im Trockenbett. Wie mittelalterliche Pest stank die Luft, ein geheimer Zorn lag in den Dingen, den brachliegenden Augen. Alle Gräser schnitten ins Fleisch, wenn man mit freigelegten Knien darüber streifte, im Sommer aus Gewohnheit, die Sonne mehr ein fahles Licht. Da wächst nichts ihr entgegen, kräuselt sich insektengleich statt dessen.

Einst die Augen aufgesperrt, um die Wunder der Welt zu sichten, liegt sie wie eine zerbrochene Puppe am Waldesrand in halb zerfetzten Kleidern, nicht wirklich spektakulär, nur wie ein Spielzeug im Dreck. Sie liegt da und ist beim Näherkommen nur Geäst, nichts weiter als Erinnerung, und ich, schon verdorben vom Unmöglichen, sehe zu den Wolken auf, hinein in das Gesicht einer längst vergessenen Wonne. Überall nur sie, in allem, was vergeht. In den Bäumen raschelt ihr Name, in jedem Gewässer ist sie Loreley, hinabgestürzt vom Fels, auf dem sie sich kämmte und für den Tod der Seefahrer herausputzte. Hinab zog’s Schiffer und Kahn (ich weiß auch nicht, was soll es bedeuten). Jetzt aber zieht es mich zum Geäst, dem Gewölle, der Blüte im Unterholz. Ihre Form löst sich von den Zweigen. Wohin mein Blick auch schweift, ich bin verloren. Denn es gibt merkwürdiges im großen Abgrund, und der Traumsucher muß aufpassen, daß er nicht das falsche aufstöbert oder ihm begegnet.

Davor: wenn wir gestaltlos nur Gedanken sind, vom Leben träumen, geträumt vom Leben träumen. Ich steige in den Trichter der Unendlichkeit, was Zeit mir ist, das muß sie mir beweisen. Die Geschichte in der Schleife. Beim Spazierengehen ein Mann am Eingang einer Höhle, eine Windmühle zimmernd, von Omen stotternd. Raha, du große Stadt ohne Weintrauben! Falls aber doch Weintrauben da sind, dann nur als Abbild einer Kristallkugel, Spätlese, ein Haus wie aus einem verdorbenen Magen gewürgt, Gallensteinfarben mit einem völlig verzweifelten Duktus gegen die tannengrüne Grundierung gemalt, als wir noch als Kinder durch den Garten der Welt das Fallen von Gegenständen beobachteten, nicht die Entzauberung der Welt vor Augen hatten, die Katastrophe nicht mitgedacht. Nur das Gefühl lehrt Wesentliches, roter Streif am Firmament bei Sonnenspielen: Mensch beschreibt sich und die Umwelt, die er sieht – hier Mensch, da Umwelt.

Ich sehe: ich habe Haut, die, wenn ich sie aufreiße, eine rote Substanz enthält. Die alten Poeten merkten sich das, was wir heute erschlafen. Bachen und Keiler liegen im wohnlichen Dreck, von aller Sauberkeit befreit, Kissen aufgeschüttelt. Die ehrenwerten Hotelnächte, die sich in der Nähe eines defekten Elevators um den Flur herumwickeln, kenne ich nicht anders.
Ich male alles in Wachs, das Abc (man braucht kaum ein c), das Abd: „Aaaapfel!“ Dann raus, man ist Schriftsteller. Apfel, Biene, Dach (man braucht kaum ein c). Cremé. Krem.

Der Wachsstift auf dem Tisch, meine Finger zum ersten Mal klebrig der Lust wegen. Wie ein unbewußter Nebel werde ich auftauchen, die Stimmen gleich hinter mir, nahe bei den Gestaden, die ich bewandle. Nicht faßbar bin ich dort, wo nicht zu fassen. Suche mich dort, Wanderer auf der Suche nach den Stimmen, die dir sagen, was ich dir sage. Die Stimmen gleich hinter mir, von Eros und Thanatos, den Mysterien der Wirklichkeit. Der Nebel voller Licht, darin die Gewalt eines rein fließenden Chaos, Auftrieb, Abtrieb. Geschmeidiges Sein durchwebt die Stille. Ich sage: „Still jetzt!“ Da du das Gespenst bist, das sich im Wald verirrte, da du der Bach bist, der neben mir geht. Ich fand frisch erworbene Demut an meiner linken Seite herabtropfen, blutendes Weideland. Ich fand dich, ich folgte dir an den blitzenden Augen vorbei, kam hinter dir her, folgte deinem Rücken, den Fersen, die Zeit aus dem weichen Boden schlugen. Das Licht wird grau, helles grau, dunkles Weiß, vernebeltes Gelb.

Ich wuchs in Raha heran, inzwischen dreier Flüsse. Ich existiere durch Sprache, die mein Leben ist, die Welt durch Sprache, die ich wahrnehme, die nicht die Sprache der Anderen ist. Zur Stille will ich gelangen durch Sprache, ich sage: „Still jetzt!“ und meine die Dialoge, die sich anschicken, schneller zu werden. Die ganzen Stimmen, die vielleicht singen oder etwas jubeln oder etwas heulen. Ich war einmal ein Stein vor zweihunderttausend Leben, ein glücklicher Stein im Geröll, wasserdicht bis ins kleinste Mineral, unbedeutender war nie ein Stein. Doch fehlt er, bricht das Universum in sich zusammen und wird zu früh ein Schwarzes Loch.

Ich kann mich auf alles anwenden. Auf dich, auf mich, sogar auf alle Tiere, schleichende Schleichen, also Anguidae, Flügel faltende Falter, also Lepidoptera. Manche davon bin ich in Bernstein-Quadern, manche bin ich in den Lüften. Ob ich ein Ich bin, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Kein adäquater Ausdruck beschreibt den Zeitenkelch, der mich mottig anzieht, nichts kleidet mich mehr in ein Wunder als die Erinnerung, das erinnerte Ich. Als hätte ich erlebt, was ich zu erinnern fähig bin. Ich kenne keine andere Nähe als die Berührung zweier Oberflächen. Die Hand – was sind wir davon, was bist du davon? Ich spüre nur mich, du bist mein Widerstand. Bevor ich dich ansehen kann, bist du verschwunden. Wir sind nur Kinder im Vorgarten der Hölle, unser Paradies aus Schwefel.

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