Aus Steinfugen franst Efeu,
verirrt. Nächtlich geschult dringt Regenwasser aus den Schuhsohlen, lacht,
petzt verborgene Wege. Diese dunkelnasse Grube weiß sie als ihr eigenes
mütterlich-uterines Urmedium. Hier steht sie mit dem Boten des Kastellans,
verfänglich und abgeschieden, fensterlos, rückhaltlos, für alle Zeiten nichtgebärend.
„Der Herr weiß und er wartet.“
Sie nickt, weil auch sie weiß
und ihrerseits wartet. Auch jetzt sind die trunkenen Bärte auf der Lauer, in
den Schenken, zögern nicht, die Schlafzimmer zu erschnüffeln, um die Häuser zu
schleichen, wild und entschlossen wie die Raubtiere, die Esrabella bald auf sie
hetzen wird. Noch weiß sie nicht die Formel, nicht selbst zerfetzt zu werden
von den Wölfen. Sie war schon einmal hier, die Hand an einer Münze, spürte das
schwere Gold, empfand die Müdigkeit des Dichters Tieck, dem sie das Zimmer
bereitet hatte, jene Müdigkeit, die eine Müdigkeit des Alters ist, eine, die
keine Welt der Sprache mehr empfindet. Der Gestiefelte Kater hing als
getrocknetes Fell über einem Bettpfosten, sie sprachen sich durch Hände an, die
aus dem Halbdunkel heraus gestikulierten. Er den Worten fern, wie es ihm der
nahe Tod befahl, sie nach der Münze greifend.
In der Stube fackelten zwei
Feuer neben einer Traubenpresse, davor der Kastellan in Scharlach. Der Lakai
verpuffte ohne Worte rückwärtig durch die Tür.
„Sind sie nicht selbst wie wilde
Tiere ihrer Natur hörig, den Instinkten treu, dem Gezeter zum Trotz? Sind sie
nicht das Überleben sichernd durch bloße stolze Kraft? Wer wollte ihnen Einhalt
gebieten?“
„Mir geht es um die Macht des
Mondes, und wie ich weiß, seid Ihr interessiert an einen ganz bestimmten
Inhaltsstoff für Euren Wein, den ich Euch dafür besorgen werde, wenn Ihr mir
die dunkle Seite offenbart.“
„Ich trage mich ein in das Buch
der Erde. Ich rühre an den Instinkten der Wonne. Die Vernunft hängt
zerschmettert am Baum, der dort vor der Türe steht.“
Ah – es begann ein Donnern
weicher Pfoten; es begann aus den Winden zu schneien. Frost gefror die Bäche
ein, das glänzende Licht heulte rufend aus der Ferne. Es tanzten die Tatzen, es
wogten die Flanken, es stiegen am Nacken die Borsten empor. Es wichen die
Ranken und pumpten die Lefzen, das Hecheln der Meute stank Wolken hervor.
„Jetzt kommen die Wolfen über
die Felder von Ypern geeilt. Fleisch ernährt Fleisch.“
Esrabella setzt den Kelch ab.
Tannine beranken ihre Lippen, verzieren ihr Gesicht. Die Augen kühl von der
Farbe des Pechsteins, der auf dem Mären-Tisch liegt.
„Sie hat den Zauberwein
getrunken!“
Ab jetzt drehen alle Uhren nach
vorne und keine mehr zurück.
*
Der Zauberer ist tot, es lebe
der Zauberer!
Esrabella hat alles genau
geplant, aber das Schloß bekommt sie nicht, oder woher soll sie eine Million
Mark nehmen? Die Hammerschmieden stehen still, der Athanator ist erkaltet, aber
die Münze funkelt in ihrer Hand. Wenn sie sich von ihm trennen muß, dann wird
sie sich auch von der Münze trennen können, dann wird sie damit den Fährmann
bezahlen. Sie wandelt zur Eger hinunter, eine dunkle Wolke mit einem Gesicht,
das weiß aus der Nacht herausragt.
„Fährmann!“ Und lauter, so laut,
daß sich ihr Hals plustert, der Kragen weitet: „Fährmann!“
Die Eger gurgelt und spült den
Rest des Tages in die Ferne, aber mehr ist da nicht. Das Echo ihrer Stimme hält
sich wacker, manch Schlaf wird unruhig, die Milch in den Eutern der Kühe sauer
werden. Sie betrachtet das glitzernde Goldstück, steht hier stellvertretend für
alle Witwen am Fluß, von dem sie sich viel mehr versprach. Am anderen Ufer regt
sich die Gestalt der weißen Ratte Fridolin.
„Frau Gräfin, schreien Sie bitte
nicht so exorbitant herum! Sie kennen das Problem mit den Geistern doch zur Genüge!
Ich kann Ihnen eine Barke zukommen lassen, aber Sie müssen sich etwas gedulden,
das Jenseits ist heute wegen Überfüllung geschlossen.“
Im Jahre 1846 kam ein äußerst
merkwürdiger Mensch in unser Dorf, den man auf den ersten, den zweiten und
sogar den dritten Blick für einen Lotterbuben halten konnte, wäre da nicht der
Heckerhut gewesen, den bei uns zulande zwar keiner kannte (die
radikaldemokratische Gesinnung war uns fremd) – der aber, war er nicht
gestohlen, einen gewissen Stand andeutete.
„Er ist tot!“ rief sie hinüber.
„Ich dachte es mir. Aber auch
für einen Alchimisten wird es keine Ausnahme geben. Madame! Ich bin nur eine
sprechende und philosophisch begabte Ratte, eine Altweltmaus – wie gefällt
Ihnen das? Aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich sterblich. Genug der Wunder! Man
bekommt sie nicht allesamt. Halten Sie das alles denn für so wichtig?“
„Er verschimmelt in meiner
Wohnung! Ich halte es durchaus für wichtig!“
„Sollten ihn seine Schüler nicht
einbalsamieren?“
„Das geht nicht. Er feiert ja gerade
mit ihnen seinen Abschied!“
„Es gäbe ein Notfloß. Wenn er
allerdings entdeckt wird, schicken sie ihn zurück.“
„Mich würde interessieren, warum
ich hier stehe und mit einer Ratte diskutiere!“
„Mit wem sollten Sie denn sonst reden? Es ist
ja niemand anderes da!“
Es war einmal ein Dorf, das man
nicht kennt und an das man nicht denkt. Es lag in einer schlechten Wetterzone,
Nebel stand hier selbst in den Sommermonaten, die kaum einmal wirklich heiß
wurden, jeden Morgen sehr tief. Im Umland lagen rudimentäre Erinnerungen an
eine bessere Zeit teilweise im Acker vergraben. Ruinen bröckelten vor sich hin,
faulende Gatter schlugen wie Geisterkiefer in einem zahnlosen Bett. Der Wind
röchelte durch die ausgemergelten Fensterscharten. Kein Glas saß mehr in seinem
Rahmen. Begonnen hat Frau Gräf, den Kindlein zu erzählen, daß ein großer,
garstger Vogel käm’, wenn sie nicht schlafen wollten. Zuvor, da sang sie
Lieder, erzählte von Feenreichen, Paradiesen, die im Wasser funkeln – und
Schätzen tief in Höhlen, von Königreichen, die man nur im Traum betreten kann,
wo man König ist und Königin, die Bienen den Honig an die Haustür bringen und
die Tiere sprechen. Auch ihr Vogel sprach, den sie den Nachtkrapp nannte –
heute weiß keiner mehr, wer ihn erfand. Die Angst zu schüren, gefiel ihr sehr
gut, sie spürte da ein regelrechtes Ziehen in den verbotenen Regionen, wann
genau sie schwarz geworden war, das hatte sie vergessen. Als Witwe fürchtete
man sie, das lag an der Tracht des Todes, wie sie wußte. Sie roch nach Humus und
Stall.
„Sie muß verrückt geworden sein
vor Trauer“, sagte man im Dorf von ihr. Die Wahrheit aber ging anders.
Esrabella Gräf hatte ihr Leben nie gelebt: sehr früh schon Magd am Hof des Vaters, wurde sie jung in die Ehe gegeben, vor der sie sich zu Recht gefürchtet hatte. Ihr zukünftiger Gemahl hatte einige recht merkwürdige Angewohnheiten und keiner konnte sagen, ob er sich die nach der Hochzeit abgewöhnen würde. Esrabella hätte gesagt, sie habe in die Abgründe eines Mannes geblickt, der als Säugling mit Schnaps ruhig gestellt, später der Gespiele seiner eigenen Mutter wurde, nachdem der Vater sich bei einem Jagdunfall den Hoden abgeschossen hatte. Er überlebte, aber vielleicht wäre es für die Familie besser gewesen, er wäre gestorben (Gott verbiete mir mein Mundwerk!).
Esrabella Gräf hatte ihr Leben nie gelebt: sehr früh schon Magd am Hof des Vaters, wurde sie jung in die Ehe gegeben, vor der sie sich zu Recht gefürchtet hatte. Ihr zukünftiger Gemahl hatte einige recht merkwürdige Angewohnheiten und keiner konnte sagen, ob er sich die nach der Hochzeit abgewöhnen würde. Esrabella hätte gesagt, sie habe in die Abgründe eines Mannes geblickt, der als Säugling mit Schnaps ruhig gestellt, später der Gespiele seiner eigenen Mutter wurde, nachdem der Vater sich bei einem Jagdunfall den Hoden abgeschossen hatte. Er überlebte, aber vielleicht wäre es für die Familie besser gewesen, er wäre gestorben (Gott verbiete mir mein Mundwerk!).
Tief hängen die Decken des
Hauses, festgestampft wie der Gartenboden, der sich rund um das Haus findet,
und auch wie der Gartenboden zeugen Fußspuren von verdreht angelegten Wegen.
Teekessel baumeln an Ketten, in ausgehöhlten Hühnerköpfen leuchten Kerzen durch
Augen und aufgesperrte Schnäbel, die Wände krummer Lehm. Katzen schleichen um
Porzellanaccessoires herum, die auf Regalen und bemalten Schränken einstauben.
Esrabella wartet auf Bartholomäus, der seine Träume nicht versteht, der ihnen aber
dennoch folgen wird.
„Ich war mal Schaffner“, sagt er
gerade. Sie weiß es, weil ihr Mund sich mitbewegt.
Die Hühnerköpfe im Chor: „Ich
war mal Schaffner! Ich kann Ihnen Karten besorgen!“
Die Jahre vergehen wie Stunden,
die Stunden vergehen wie Minuten, die Minuten vergehen wie Jahrhunderte.
Fridolin trabt durch den neblichten Garten, erfreut sich am Denken,
erschnuppert sich Kompost und Schlachtabfälle. Die Hühnerköpfe im Chor: „Heute
ham’se den Buback abgeknallt!“
Fridolin indes: „Oh! Aha! Ich
entdeckte den Tunnel der Weisheit sozusagen im Rattentempo. Ich also verfing
mich mit meiner Nase in einem Kadaver und wurde sehend, das heißt: sprechend;
aber du mußt sehen, was nicht gesprochen sein wird, was im Hintergrundrauschen
steckt. Du mußt es nicht riechen, sagte ich mir, also zieh‘ deine Nase aus dem
Gedärm heraus und denke darüber nach, warum du eine Ratte bist, ob das jetzt
ein Zufall ist.“
Der Hahn kräht in der Annahme
des frühen Morgens, die Hühner hören den Hühnerkopfchor: „Er kommt, Frau
Gräfin! Der zerfetzte, zerschlissene Flüchtling naht sich!“
Fridolin indes: „Hier ist es
wahrlich wunderlich. Alles ist illuminiert als gäbe es ein Fest.“
O when the chicks
go marching in…
tanned and delicious
„Du wirst jetzt dieses Kostüm
anziehen, mein lieber Bartholomäus.“
Ist es ein Vogel-, ist es ein
Ratten-, ist es ein Wolfskostüm?
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