Fix Zone

Mikrogramme lesen

Redaktion: 

Mikrogramm von Robert Walser (Quelle: Universität Zürich)

Neuerscheinung bei Stroemfeld:
Christian Walt: Improvisation und Interpretation. Robert Walsers Mikrogramme lesen. Edition TEXT 15.

Robert Walsers Mikrogramme sind eine Lektüreherausforderung im doppelten Sinn. Nicht nur, weil die winzige Bleistiftkurrentschrift in der Tat nicht leicht zu lesen ist, sondern weil die Texte der letzten Schaffensphase Walsers auch im übertragenen Sinn nicht einfach lesbar sind. Die Komplexität der Sinnstruktur, die Kleinheit der Schrift und eine Editionssituation, welche die tatsächliche materiale Gestalt der Manuskripte eher vergessen macht als dokumentiert, haben zu zahlreichen Mystifikationen der Mikrogramme geführt, die hier aus textkritischer Perspektive relativiert werden. Aufgrund der materialen Beschaffenheit wie auch in Hinblick auf ihre poetische Ausgestaltung lassen sich Robert Walsers späte Texte als »Improvisationen« verstehen. Der Begriff der Improvisation ermöglicht es, die oft experimentelle und avantgardistische Form der Texte neu und genauer als bisher zu beschreiben.

Die Beobachtung der Improvisation in Walsers Texturen fordert zugleich die Interpretation heraus. Improvisatorische Texte entziehen sich einer Gesamtdeutung: Sie lassen sich nicht als ›Umsetzung‹ von ›Ideen‹ beschreiben, die durch Interpretation sichtbar gemacht werden könnten. Der Rezeptionsmodus von improvisierten Texten kann nur in und während der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text gewonnen werden. Er konzentriert sich vor allem auf den Nachvollzug poetischer Techniken und den Umgang mit Material verschiedenster Art (Texte, Filme, Zeitungsnachrichten,biographische Versatzstücke, Zeitdiskurse, rhetorische Manierismen, Gemeinplätze). Interpretation von improvisatorischen Texten führt zu einer »Ephexis der Interpretation« (Nietzsche), zur »Auslegung« im Sinne einer Auslegeordnung.

Der neue Lektürezugang wird an Einzeltexten und an ganzen Blattzusammenhängen erprobt: am Prosastück Ottilie Wildermuth, an der Konstellation von Aufzeichnungen auf dem Mikrogrammblatt 482, das zehn Sonette und drei Prosastücke enthält, und an dem umfangreichen sogenannten »Tagebuch«-Fragment von 1926.

Das Buch will schließlich auch als Einführung in die Kritische Robert Walser-Ausgabe gelesen werden: Es demonstriert, wie sich die Wahrnehmung von Walsers Texten verändert, wenn man sie unter einer neuen editorischen Perspektive betrachtet.

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