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Das kleine Eszett

Redaktion: 

116 Jahre lang führte das kleine Eszett von anderen Ländern beneidet oder belächelt ein Leben als einzige lateinische Glyphe ohne großen Bruder. U+1E9E im Unicode-Zeichensatz war lange leer, bis am 29. Juni 2017 der deutsche Rechtschreibrat das Versal-Eszett ins amtliche Regelwerk aufnahm.

Da wird es Zeit für eine Bestandsaufnahme: Hannah Häußer und Maximilian Borchert sichten die Google-Schriftbibliotheken auf der Suche nach Eszett-Schnitten. Sortieren nach Sans, Serif, Slab und Mono. Erlauben den 30 schönsten Display-Eszetts, mitzuspielen in der analogen Liebeserklärung an die Glyphe, die wir Deutschen mit munterer Beharrlichkeit gegen die Globalisierung der Rechtschreibung verteidigen. Staunen, wie viele asiatische Typedesigner sich selbstverständlich des Eszetts annehmen. Und freuen sich, über jeden Schriftgestalter, der zur Emanzipation des Versal-Eszetts beiträgt und ihm hilft, den Spitznamen »German-B« endgültig abzulegen.

Eine Bestandsaufnahme aus dem August 2017 festgehalten in einem analogen Buch erschienen im Verlag Hermann Schmidt, das einem Buchstaben die Ehre erweist, der es sich nie leicht gemacht hat.

Sein Ursprung ist umstritten, sein Nutzen vielfach diskutiert. Im 17. und 18. Jahrhundert nimmt das Eszett in Italien, Frankreich und England Fahrt auf, in Deutschland weniger. Im späten 19. Jahrhundert kommt es im Antiquasatz auf und wird auf der Zweiten Orthografischen Konferenz von 1901 zur amtlichen Norm erhoben. Schriftgießereien werden verpflichtet, bei künftigen Antiquaschriften ein ß mitzuliefern und für Bestandsschriften eines nachzureichen.

Rechtschreibregeln ändern sich. Die Schweiz verabschiedet sich von 1938 an systematisch vom Eszett, zuletzt mit der Reform von 2006, die es für den amtlichen Schriftverkehr abschafft. Schweizer Verlage halten mit Blick auf den deutschen Markt daran fest.

Im April 2008 wird der Weg fürs Versal-Eszett geebnet. Auf Drängen des Deutschen Institutes für Normung bekommt das Versal-Eszett einen Platz im Unicode-Zeichensatz zugeteilt. Der aber bleibt erstmal weitgehend leer.

Am 29. Juni 2017 dann der Startschuss für eine neue Ära. Der Rechtschreibrat nimmt das Versal-Eszett ins amtliche Regelwerk der Rechtschreibung auf. Alle Claßens, Häußers, Roßas und Meißners machen Freudensprünge. Die Zeiten von Doppel-S-Auflösungen, Verwirrung bei Passkontrollen mit Flugticketvergleich scheinen ein Ende zu nehmen.

Wie immer, wenn sich etwas ändert, wird kontrovers diskutiert. Die Einen finden, das kleine Eszett habe sich in den 116 Jahren allein doch ganz tapfer geschlagen. Die anderen nehmen die Herausforderung der Formfindung zwischen kleinem ß und großem B munter an. Wir beobachten und begutachten. Die gestalterische Herausforderung reizt. Eine Liebeserklärung an den tapferen Buchstaben in 400 Eszett-Schnitten ist das Ganze in jedem Fall wert …

Maximilian Borchert | Hannah Häußer: niße. 400 Eszett-Schnitte. Verlag Hermann Schmidt.

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