Mittwoch, 13. Mai 2015

1. Die Wogen des Morgens

Willi Kreutzmann erhebt sich nun doch endlich. Er kann nicht mehr richtig liegen, die ihm möglichen Stellungen sind verbraucht. In Bauchlage gelingt es ihm nicht, das zum Überleben nötige Sauerstoffvolumen durch das Federkissen zu saugen, auf dem Rücken liegend besitzt er die Angewohnheit, die Finger wie bei einer Leiche über dem Solarplexus zu verschränken und fühlt sich deshalb merkwürdig, sanftmütig gar, wirklich wie ‹dahingeschieden›. Die linke Seite, eigentlich seine Lieblingsseite, lässt ihn noch mehr auf das Kissen sabbern als wenn er rechts liegt. Aber da schläft immer sein verdammter Arm ein und der Hals tut ihm weh.

Die Sonne warf das erste Tageslicht nahezu zärtlich über den Horizont, stellte die Wurlitzer Jukebox an: Lärchenmelodie und Meisen, Zeisige und Finken, die Lautstärke ein warmgoldenes Pulsieren, das um zehn Uhr herum begann. Immer zorniger drang das musikalische Theater auf ihn ein, wollte ihn zum Genießen des gülden aufmuckenden Tages zwingen, wenn es sein musste, durch zunehmende Hitze. Die Morgenstunden tappten, wie sie es gewohnt waren, die Stufen der Zeitskala nach oben, dem Mittag entgegen.

          nichts ist so trüb in die Nacht gestellt
          der Morgen leicht macht’s wieder gut.

Das erfordert Aktivität; komm’ jetzt, du Faulfleck, es ist doch schönes Wetter! Auch wenn es nicht so wäre: das Liegen sollte den nächsten Schritt täglicher Entwicklung tun, nämlich zu einem Sitzen werden. Ohne den Schritt über den Rubikon geht das nicht, ohne Backform, Keim, Volition.
Es war der Hunger, der ihn noch immer aus dem Bett trieb, zunächst ein Knurren, ein inneres Rülpsen, die Magenwand flatterte ins Leere, ein Fähnchen, über dem Arsch seiner Welt gehisst. Am Ende des Mastdarms kumulierten Gasansammlungen und flatulierten böig. Wie wäre es jetzt mit einem Omelette? Was anderes bekam er so früh am Mittag gar nicht runter.

So halbstark zu erwachen, den kleinen Penitenzer lau in der Unterhose, noch mit dem Traum beschäftigt, der nach wie vor in den Augen glitzert (wenn er schnell zum Spiegel rennte, könnte er wieder Kontakt aufnehmen, aber er hat andere Pläne), treibt Willi dem Gefühl eines Labyrinthausfalls entgegen. Die letzte Erinnerung: Mona Lisas Gesichtslähmung, Menschen ohne Bauchnabel, eine lesbische Hauskatze und ein Kind, das aussah wie ein Alien aus Roswell nahe am Pecos, Rio Hondo, wie es in einer Badewanne hockte und Spaghetti aß. Was um alles in der Welt wollen uns unsere Träume wirklich sagen?

Hier oben hängt die Luft wie ein Spinnweb an der Decke.
Willi setzt sich in seine Voliere zwischen Kakteen und wilden Wein – Parthenocissus tricuspidada, die Trauben so klein wie Hasenköddel, aber süß, hatte ihm die kleine runzlige Angestellte im Blumenladen Jupp versprochen. »Seien Sie gut zu ihren Pflanzen, geben Sie ihnen Wasser, Sonne und Mozart.« Sie kratzte sich ständig an den Oberarmen, an beiden gleichzeitig, war allergisch gegen das Grünzeug, das sie verkaufte, liebte den Laden, der aussah wie eine Tropfsteinhöhle in Pottenstein jedoch über alle gesundheitlichen Einschränkungen hinaus. In einem Anfall morgendlicher dichterischer Gefühlswallung krächzt Willi auf dem Weg zum Balkon folgenden Kalauer:

          Das Leben ist ein Possenspiel,
          das Leben ist ein Pussy-Bär;
          die Fratze, die beim Carne Vale
          des Nachts dich auf den Tod erschreckt.

          Das Leben ist ein Pussy-Spiel,
          das Leben ist ein Possenbär;
          die vielen Schenkel eine Falle,
          der du den Mittelpunkt zerleckt.

          Sing: Halleluja!
          Sing: Hell die Luna!
          Sing: Jupeidi!
          Sing: Heidi Jupp

          (die nackt und barfuß badet, duscht und Wunder tut).

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