Postalischer Vitalkommunismus
Andrea Roedig in der NZZ über das aktuelle Buch der Philosophin Rosi Braidotti.
„Ihr Buch «Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen» ist eine Programmschrift. Braidotti versucht darin, ein eigenes Konzept «posthumaner Subjektivität» plausibel zu machen, theoretisch zu fundieren und gegen andere Positionen abzugrenzen. Die Argumente gegen den Humanismus, die sie vorbringt, sind aus der postmodernen, der feministischen und der Theorietradition der «Postcolonial Studies» der letzten Jahrzehnte sattsam bekannt: Er sei selbstherrlich, euro- und anthropozentrisch, ein Herrschaftsdiskurs weisser, westlicher Männlichkeit, der eine begrenzte, beschränkte Perspektive für eine universelle ausgebe.
Interessanter als diese affektive Kritik ist, was Braidotti als alternatives Konzept dagegensetzt. Sie denkt auf der Grundlage eines Modells, das sie – mit rechten Wortungetümen – als «vitalistischen Materialismus» bezeichnet, der «auf einer monistischen, neospinozistischen Ontologie der radikalen Immanenz» beruhe, die ihrerseits «eine transversal-relationale Ethik» hervorbringe. Etwas verständlicher ausgedrückt besagt dies, alles Seiende sei Teil einer Lebenskraft («Zoé») sich selbst organisierender, intelligenter Materie. Daraus ergibt sich für Braidotti ein grundsätzlicher Egalitarismus, eine Gleichheit allen Lebens – denn wenn alles aus einer einzigen, sich permanent erneuernden Materie bestehe, sei es weder nötig noch zu rechtfertigen, in Entgegensetzungen wie Natur - Kultur, Mensch - Tier zu denken.“
Rosi Braidotti: Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Campus, Frankfurt am Main 2014.
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Naja, verstehen kann man daraus zumindest, daß der Mensch nur eine Erscheinung unter vielen ist und sein Weltauftritt nie ohne Weltbezug geschieht. Eine fast unmoderne Einsicht: unser Tun hat Wirkung und weil wir Wirkungen nur in unseren Lebenszusammenhang denken, bewirken wir Weltkriege und Walsterben und vererben einen ungleichgewichtigen Planeten. Das Leben jenseits des Menschen wird es wieder geben, allerdings dann ohne den Menschen.
Ich denke nicht, daß irgendjemandem im Alltag bewußt ist, welche ungeheuren Bewirkungen er erzeugt, wenn er sein Handy zum Aufladen in grünen Strom einstöpselt, der per Windkraft gewonnen wird. Sowohl in seinem Handy also auch in den Windkrafträdern ist eine „seltene Erde“ verbaut, Neodym, das im nordchinesischen Baotou auf hochgiftige Weise vom geförderten Gestein getrennt wird und dort für kontaminiertes Grundwasser und radioaktive Belastungen sorgt, mit Folgen, die noch nicht absehbar sind. Die „Bewirkungen“ eines so banalen Vorgangs wie das Handy-Aufladen sind derart komplex und dem Weltauftritt des Konsumenten verborgen (er sieht die Kosten seines Auftritts nicht, sie fehlen dem transversal-relationalen Wägen), daß eine neue Ethik der Lebensgleichheit wohl nur auf dem Papier zu entwerfen ist. Während ich dies hier tippe, enthält der Bildschirm vor mir ca. 0,079 g Indium, es ist eines der wichtigsten High-Tech-Metalle. Kann mir jemand sagen, was im Einzelnen hat passieren müssen auf dieser Welt, daß diese geringe Menge in meinen Bildschirm hat finden können und welche Latenz in ihr steckt? Und wie sich das (transversal-relational) rechnet, daß es ein Ich gibt, das mithilfe der 0,079 g Indium auf dem Schirm diese Anmerkungen formuliert.
Ich denke, daß Rosi Braidotti in der richtigen Welt bei den richtigen Fragen angekommen ist. "Zwar wird viel zu schweres Begriffsgeschütz aufgefahren, und das Buch ist, in der Übersetzung zumindest, mühsam zu lesen. Doch auch wenn man der Argumentation – vor allem der grob zusammengehämmerten Zeitdiagnose und dem zwielichtigen Vitalismus – nicht folgen mag, bleibt das, was Braidotti schreibt, gedanklich inspirierend. Ihr System ist von langer Hand ausgearbeitet, scheut keine metaphysische Frage und ist ein Versuch, anders als in herkömmlichen Kategorien zu denken." ist dann auch das Resumée von Andrea Roedig.
FM
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