Käsebier im alten Berlin
Gabriele Tergit und ihr Markenzeichen: die runde Brille. Foto: Jens Bruening
Neu bei Schöffling: KÄSEBIER EROBERT DEN KURFÜRSTENDAMM
In sechs rauschhaften Wochen schrieb Gabriele Tergit ihren ersten Roman, der sie 1931 mit einem Schlag berühmt machte. Er erzählt vom Aufstieg und Fall des Volkssängers Käsebier, den ein Zeitungsreporter in einem billigen Varieté entdeckt. Um Eindruck in seiner Redaktion zu machen, puscht er ihn zum Megastar hoch. Immobilienmakler und Spekulanten hängen sich an den schnellen Ruhm, die gelangweilten Damen der guten Gesellschaft pilgern in die Vorstellungen, Käsebier wird hemmungslos vermarktet.
Gabriele Tergit, die erste deutsche Gerichtsreporterin, ist nicht nur eine unerbittlich genaue, sondern auch mitfühlende Beobachterin. Pointierte und hoch komische Dialoge machen neben der präzisen Schilderung der gesellschaftlichen Milieus – vom Tanzmädchen über den Tischlermeister bis zum Medienmogul – den Reiz ihres Romans aus. Ihr eigener Arbeitsplatz wird dabei besonders unter die Lupe genommen: die Kulturredaktion des Berliner Tageblatts. Berlin, die weit östlich gelegene Stadt, war schon damals ein so idealer wie schwieriger Ort für Kreative.
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„Wir sind als Mediengesellschaft heute längst abgeklärt, rufen von links das Stichwort "Kulturindustrie" ab und hören von rechts Vorwürfe wie "Alles nur Mache". 1931 war Deutschland noch kein Land, das Publizistiklehrstühle kannte, geschweige denn wohlfeile Watchblogs. Auch deswegen ist Tergits Roman, den Zeitgenossen vor allem als Schlüsselroman lesen wollten, als Zeitdiagnose so gelungen. Er zeigt, was ein hochdynamischer Medien- und Amüsierbetrieb alles möglich macht. Und das gilt im Grunde noch heute.“ Marc Reichwein in der WELT.
Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Nicole Henneberg. Schöffling Verlag, erschienen am 07.03.2016
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