Ein Adler Oft bin ich ein Adler, so kommts mir vor am Schreibtisch Ich fliege steil in den Himmel empor am Schreibtisch Ich balle die Faust und drohe der Welt am Schreibtisch Zerschlage die Ketten und bin ein Held am Schreibtisch Den Kapitalisten heize ich ein am Schreibtisch Die Imperialisten schlage ich klein am Schreibtisch Ich kriege und siege mich groß und heiß am Schreibtisch Vielleicht auch gähne ich nur, wer weiß am Schreibtisch Aus dem Polnischen übersetzt von Karl Dedecius Dass wir im deutschsprachigen Raum mit so vielen
Read More September Song born 19.6.32 – deported 24.9.42 Undesirable you may have been, untouchable you were not. Not forgotten or passed over at the proper time. As estimated, you died. Things marched, sufficient, to that end. Just so much Zyklon and leather, patented terror, so many routine cries. (I have made an elegy for myself it is true) September fattens on vines. Roses flake from the wall. The smoke of harmless fires drifts to my eyes. This is plenty. This is more than enough. Septemberlied geboren 19.6.32 – deportiert 24.9.42 Unerwünscht
Read More Die Dinge, die ich anders sehe denn der morgen ist kein wunderbares erwachen sondern neues leid in einem kerker aus licht … ich seh den himmel nicht mehr blau sondern rot ich stehe auf und beginne den tag … die frisch gewaschenen finger werden schlangen, winden sich auf dem leib. ich breche auf und geh … mein weg ist ein tiefer werdender fluss. mich zu begrüßen kommen die menschen auf mich zu … doch ich lächle die steine an mit händen und füßen. Übersetzt von Joachim Röhm Von William
Read More Hochverrat Ich liebe mein Vaterland nicht. Sein abstrakter Glanz ist ungreifbar. Aber ich würde ( obwohl es schlecht klingt) mein Leben geben für zehn seiner Orte, für bestimmte Leute, Häfen, Wälder, Wüsten, Festungen, für eine zerstörte, raue, monströse Stadt, für einige Gestalten seiner Geschichte, für Berge und – drei oder vier seiner Flüsse. Übersetzt von Leopold Federmair Ende Januar 2014 ist in Mexiko-Stadt der Schriftsteller, Essayist und Poet José Emilio Pacheco gestorben. In Deutschland war es eine Nachricht, die irgendwo versteckt in den Feuilletons platziert war. In der spanischsprachigen
Read More Ode an das Danke Dank an das Wort, das Dank sagt. Dank an das ‚Danke‘, weil das Wort Schnee schmilzt oder auch Eisen. Bedrohlich sah die Welt aus, solange nicht das ‚Danke‘ mild wie eine helle Feder oder süß wie ein Blütenblatt aus Zucker von Lippe zu Lippe sprang, mal groß, aus vollem Mund, mal kaum hörbar geflüstert, so war das Wesen wieder Mensch und kein Fenster, so fiel ein wenig Licht in den Wald, und unter den Blättern ließ es sich singen, ‚Danke‘, du bist die Pille gegen den
Read More fünfziger syndrom und kaum war das kleine Land dem grossen krieg ohne zerstörung entkommen begannen seine bürger beflügelt vom fleiss der ihnen schon immer nachgesagt wurde friedlich und freudig mit der zerstörung des landes. Aus aktuellem Anlass ist es mal wieder geboten, an die „andere Schweiz“ zu erinnern… In der Schweiz finde, so vernehmen wir es von den Umfrageinstituten, der chauvinistische Populist Blocher ganz besonders bei der älteren Generation Unterstützung. Es seien gerade die älteren Eidgenossen, die sich trotzig gegen eine weitere Weltöffnung der Schweiz sperren und einem Blocher
Read More The Sleepout Childhood sleeps in a verandah room in an iron bed close to the wall where the winter over the railing swelled the blind on its timber boom and splinters picked lint off warm linen and the stars were out over the hill; then one wall of the room was forest and all things in there were to come. Breathings climbed up on the verandah when dark cattle rubbed at the corner and sometimes dim towering rain stood for forest, and the dry cave hunched woollen. Inside the forest
Read More Do Not Go Gentle Into That Good Night Do not go gentle into that good night, Old age should burn and rave at close of day; Rage, rage against the dying of the light. Though wise men at their end know dark is right, Because their words had forked no lightning they Do not go gentle into that good night. Good men, the last wave by, crying how bright Their frail deeds might have danced in a green bay, Rage, rage against the dying of the light. Wild men who
Read More Zukunftspläne Jeder, der einen Sohn großzieht, wünscht diesem einen klaren Verstand. Ich nicht! Schließlich brachte mir mein wacher Geist ein Leben lang nur Verdruss. Viel lieber hätte ich daher einen völlig unbedarften Jungen, der ein sorgenfreies Dasein am Ende mit einem Ministerposten krönt. (um 1080) Beiläufige Notiz Einsam und allein bin ich: ein kranker Greis, das weiße Haar zerzaust wie Reif im Wind. Kräftig ist nur die Farbe im Gesicht: zur Freude meines Sohnes, der mich zum Lachen bringt, weil er nicht merkt, dass dieses Rot vom Trinken rührt. (entstanden
Read More Gedicht Zerstörte Landschaft mit Konservendosen, die Hauseingänge leer, was ist darin? Hier kam ich mit dem Zug nachmittags an, zwei Töpfe an der Reisetasche festgebunden, Jetzt bin ich aus den Träumen raus, die über eine Kreuzung wehn. Und Staub, zerstückelte Pavane, aus totem Neon, Zeitungen und Schienen dieser Tag, was krieg ich jetzt, einen Tag älter, tiefer und tot? Wer hat gesagt, dass sowas Leben ist? Ich gehe in ein anderes Blau. Ein kurzer autobiographischer Exkurs ist unumgänglich: Brinkmann wie der Schreiber dieser Zeilen stammen aus Südoldenburg. Aber wo
Read More ENVOI Lebt wohl, Wörter. Ich mochte euch nie, der ich Dinge und Orte mag und Leute am liebsten mit geschlossenem Mund. Geht aus und verlauft euch in einer plappernden Welt, seid weniger als nichts, seid ein Vakuum, vor dem sich Wörter hüten, daß es sie nicht durch Saugen, seine einzige Kraft hineinzieht. Das mag ich an euch, Wörter. Selbstzerstört, selbstaufgelöst werdet ihr getreu. Welchem Sinn? Sagt mir das, Wörter. Lauft, dann folge ich euch, um euch nie einzuholen. Kehrt um, dann laufe ich. Also lebt wohl. Michael Hamburger Ein Übersetzer
Read More Das Geschenk Ich rede vom Ende der Nacht Ich rede vom Ende der Dunkelheit Und vom Ende der Nacht rede ich Wenn du zu meinem Haus kommst, bring mir, du Lieber, eine Lampe Und eine Luke, aus der ich Das Gedränge der glücklichen Gasse sehen kann. Aus dem Persischen übertragen von Kurt Scharf Unabhängig voneinander schenkten mir zwei im Iran geborene Freunde zum letzten Weihnachtsfest Gedichte von Forugh Farrochsad. Da interessiert man sich schon seit längerer Zeit für lyrische Stimmen aus aller Welt und muss – nicht ganz ohne Scham
Read More Ohne Titel Ich, um zu geben nur Worte hab ich bereit nur das Gedicht das Atemkleid. Die hab ich gebreitet über die Insel ein tiefblauer weiter beständiger Himmel. Dann wehte der Jahreswind der Nord oder West das Sein bleibt nicht fest und sie schwinden. Übersetzt von Riccardo Caldura, Maria Fehringer und Peter Waterhouse Wie entdeckt man eigentlich Dichter und ihre Gedichte? Vielleicht auf Umwegen über die Werke anderer Schriftsteller, wo man zum ersten Mal den Namen eines unbekannten Dichters liest. Die lange Reise von Claudio Magris entlang der Donau
Read More Superlativ Ich lebte im goldensten Zeitalter, in der glücklichsten Gesellschaft, im gerechtesten System, unter der weißesten Lehre, mit der höchsten Moral, in der ewigsten Freundschaft, mit Blick auf die herrlichste Zukunft. Den komparativ habe ich übersprungen, ich gelangte direkt in den Superlativ. Stets mußte das Lächeln am glücklichsten strahlen, der Moment war der historischste, der Feiertag der feierlichste, der Fortschritt der fortschrittlichste. Ich glaube an den reinsten Glauben ich loderte mit der loderndsten Flamme: Wie oft stellte ich mich auf Zehenspitzen, um die höchste Latte einmal zu überspringen. Ich weiß
Read More Am Gittertor verklumpen sich die Opfer Am Gittertor verklumpen sich die Opfer, Gesichter nackt und vollkommen, verschlossen in der Unwissenheit, widersinnige Hände an ein Eisen geklammert, und draußen fährt der Zug vorbei sonnig und leicht, ein Knall aus eigenem licht über meine gekränkte Grenze Übersetzt von Daniel Graziadei Bücher der Alda Merini, einer im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannten Lyrikerin, findet man in jeder italienischen Buchhandlung, ja oft sogar am Zeitungskiosk um die Ecke. In den letzten Jahrzehnten war die 1991 in Mailand geborene und 2009 dort auch
Read More Arte Poética Entre tantos oficios ejerzo éste que no es mío, como un amo implacable me obliga a trabajar de día, de noche, con dolor, con amor, bajo la lluvia, en la catástrofe, cuando se abren los brazos de la ternura o del alma, cuando la enfermedad hunde las manos. A este oficio me obligan los dolores ajenos, las lágrimas, los pañuelos saludadores, las promesas en medio del otoño o del fuego, los besos del encuentro, los besos del adiós, todo me obliga a trabajar con las palabras, con la
Read More Ars Poetica Dreißig Meilen zum einzig anständigen Restaurant war nichts, ein Lidschlag im langen stumpfen Starren Wyomings. Auf halber Strecke schrie der unbekannte, aber schrecklich wichtige Essayist: Stop! Ich muß da rein; und lief fünfzehn Meter ins Land, ehe der Himmel auf ihn stürzte und er gelaufen kam, rief: Gott – da ist nichts da draußen! Einmal traf ich einen australischen Schriftsteller, der mir sage, er habe nie kochen gelernt, weil es kreative Energie koste. Am liebsten wäre er stumm gewesen; er stapelte die Seiten; er betrat jeden Tag mit
Read More Streichle die Stille Musik fällt in die Hände wie Schnee Wäre es die Zärtlichkeit die die Stille kennt wie in einen Spiegel schaut sie dir in die hohle Hand bis die Wolken erstarren und die Pappeln dem Atem anhalten Streichle die Stille Sie ist die Schrift unserer Seele zart lesbar. Übersetzt von Ingeborg Lokal und Christa Schmitt Immer wieder stößt man bei der Suche nach Schriftstellern, die unsere Wahrnehmung der Welt durch ihre Lyrik erweitern, vertiefen, empfindsamer machen, auf Namen, die man noch nie gehört hat. Es müssen nicht
Read More Prophezeiung Bald werden dir drei Brillen nicht mehr genügen – Du wirst weitere brauchen; Eine gegen das Schneegleißen der Stille und eine gegen den bösen Blick der Bahnhofsuhren Eine mit der du die Gedanken der Bäume lesen kannst und eine um auf den nächtlichen Straßen die verliebten Hadesschatten in Paaren wandeln zu sehn Eine die Dämonen in Luft auflöst und eine die deine Freunde wieder ohne weiße Perücken und ohne falsche Bärte zeigt Eine mit aufgemalten Augen damit keiner ahnt ob du wachst oder schläfst und eine mit der du
Read More Agli amici Cari amici, qui dico amici Nel senso vasto della parola: Moglie, sorella, sodali, parenti, Compagne e compagni di scuola, Persone viste una volta sola O praticate per tutta la vita: Purché fra noi, per almeno un momento, Sia stato teso un segmento, Una corda ben definita. Dico per voi, compagni d’un cammino Folto, non privo di fatica, E per voi pure, che avete perduto L’anima, l’animo, la voglia di vita: O nessuno, o qualcuno, o forse un solo, o tu Che mi leggi: ricorda il tempo, Prima che s’indurisse
Read More L’idea centrale È venuta in mente (ma per caso, per l’odore di alcool e le bende) questo darsi da fare premuroso nonostante. E ancora, davanti a tutti, si svegliava tra le azioni e il loro senso. Ma per caso. Esseri dispotici regalavano il centro distrattamente, con una radiografia, e in sogno padroni minacciosi sibilanti: «se ti togliamo ciò che non è tuo non ti rimane niente» Der zentrale Gedanke Er kam ihm in den Sinn (doch zufällig, weil es nach Alkohol und Verbänden roch), dieses sorgsame Bemühen, trotzdem. Und wieder,
Read More Sprache Die Sprache ist wie Wasser. Beim Halten verliert man sie, im Fließen hat sie Bestand, schenkt eher Leben als Ertrinken, wäscht keine Flecken aus, ist der erste Grund, dass alles keimen kann. Ich bin eine Lawine zärtlich weiß stürze ich dich zu umarmen. Da man in der „Edition Lyrik Kabinett“ leider überhaupt keine Angaben zu Tzveta Sofronieva findet, bleibt einem nichts anderes übrig als im Internet auf Suche nach weiteren Auskünften zu dieser Autorin zu gehen. Und schnell merkt man, dass die „Lawine“ kein schlechtes Bild ist, um
Read More Das Salz der Sprache Höre, höre: ich habe noch etwas zu sagen. Es ist nicht wichtig, ich weiß, es wird nicht die Welt retten, wird niemandes Leben ändern – aber wer ist heute imstande, die Welt zu retten oder auch nur den Sinn irgendeines Lebens zu verändern? Höre mich an, ich halte dich nicht auf. Es ist wenig, wie der Nieselregen, der langsam herniederrinnt. Es sind drei, vier Wörter, wenige mehr. Wörter, die ich dir anvertrauen will. Damit ihr Licht nicht erlischt, ihr kurzes Licht. Wörter, die ich sehr geliebt
Read More gedichte fange ich mit dem schmetterlingsnetz im morgengrauen auf den donauklippen sing ich die schiffer herbei die bunte wäsche auf den kähnen bezaubert mich sie erschrecken nehmen mich nicht mit ans schwarze meer mein buchstabenzelt schlage ich auf in der wüste sie blüht ich rase auf einer weißen schüssel durch die landschaft blumen wiesen kühe spritzen links und rechts weg Als Nachtrag zum Sprachsalzfestival (siehe Bericht) vier Gedichte der Lyrikerin Waltraud Haas zum Selbstlesen und Nachspüren ihres einzigartig meditativen Zaubers. Sie stammen aus dem Band „Selbstporträt
Read More Selbst die Bäume Selbst die Bäume draußen spüren es, die feinen Zweige ihr sechster Sinn der Gnade, sie biegen sich in den Wind hinein und bitten um Verzeihung, die in einem Sturm kommen soll, und treten der Versammlung des Schweigens bei; dem großen Zeugen. Ein Mann, an einem Baum gebunden und ausgepeitscht, arbeitete nie wieder auf den Baumwollfeldern. Im frühen Licht, dem zarten Knochenlicht, das Herzen brach, fegte ein Lied von Feld zu Feld; das Gedächtnis einer Frau schritt Jahrhunderte ab, tiefer und tiefer, ein blaues Lied im Klopfen ihres
Read More Gedicht Ich könnte von Kriegen erzählen, von Göttern, die sich aus Langeweile das Leben ausdachten, von Igeln in meinem Garten, von mir. Ich könnte von einem Mann erzählen, der die Lesarten des Unglücks studiert wie ein rumänischer Philosoph. Auch mit Lorbeer kann man Dämonen vertreiben. Aber lieber die Klappe halten, die Stille ist laut genug. Ob Michael Krüger in den Kanon der „Weltlyrik“ gehört? Geschenkt, lassen wir diese dumme Frage. Ihn würde eine Antwort am wenigsten interessieren. Aber die Frage, warum er als Verleger in den letzten Jahrzehnten ein so
Read More