Fix Zone

Gegenteil von Routine

Redaktion: 

Adam Zagajewski

Neu auf faustkultur: Jakub Gawlik und Philipp Stadelmaier im Gespräch mit Adam Zagajewski.

Der letzte Vers Ihres Gedichtes „Vita Contemplativa“ lautet: „Wir leben im Abgrund.“ Dort ist auch die Rede von einem „Glanz“. Ist dieser Glanz nicht auch dasjenige, das nichts Lebendiges übrig lässt, obwohl es aus dem Leben kam?

Jedes Gedicht braucht, was Bergson einmal als élan vital beschrieben hat. Élan ist wie eine Stimmung und zugleich mehr als nur eine Stimmung. Élan ist eine Energie. Und ich glaube, jedes Gedicht kommt aus einem élan, in dem Sinne, dass es nicht genügt, dass wir jetzt hier sitzen und Apfelwein trinken. Das ist noch kein Gedicht. Das ist trivial. Ein Gedicht entsteht erst dann, wenn noch etwas hinzukommt, nämlich dieser élan – ein Hauch von etwas mehr, etwas Undefinierbares. Ich würde nicht sagen, der Hauch des Göttlichen. Aber ein Hauch. Als ob wir plötzlich da wären und nicht da wären. Als ob wir uns sehen würden. Im Moment sitzen wir hier. Wir trinken. Wir sprechen: Das macht noch kein Gedicht. Aber wenn wir uns in dieser Zeit einen Augenblick von außen sehen: Das ist das Gedicht. Das kommt selten. Das sind diese Momente der Erhebung, die auch aus dem Trivialen erwachsen können.

Das wäre dann ein Moment des Nicht-bei-sich-Seins. Vergleichbar mit jemandem, der, nach einem anstrengenden Tag nach Hause kommt, sich einen Kaffee macht, endlich Zeit für sich findet, dann ein Buch aufschlägt – und sich dann dabei selbst zusieht?

Ja. Aber manchmal schlägst du das Buch auf und schläfst ein. Das kann auch passieren. Nicht jeder Moment, in dem du dein Buch aufschlägst, führt zu diesem élan, der, wie gesagt, selten ist. Er kommt nicht regelmäßig. Es gibt keine Routine. Ein Gedicht ist das Gegenteil von Routine.

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