Rausch im Poet
Poet Nr. 16
Michael Buselmeiers Zeitschriftenlese des Monats März aktuell nachzulesen im poetenladen:
„Das Literaturmagazin poet, das halbjährlich im Verlag des Poetenladens erscheint, bringt jedesmal Gedichte und Geschichten von bekannteren Autoren, oft auch von blutjungen Diplomdichtern aus Leipzig oder Hildesheim, die schon erstaunlich viele Preise und Stipendien eingeheimst haben. Die 16. Ausgabe eröffnen vorzügliche Natur- und Landschaftsgedichte des längst arrivierten Jan Wagner, etwa über Mücken:
„als hätten sich alle buchstaben / auf einmal aus der zeitung gelöst / und stünden als schwarm in der luft.“
Auch Ruth Johanna Benrath wendet sich den Insekten zu, besonders Hummeln und Bienen in ihrem neunteiligen „Emily-Projekt“. Gemeint ist die große amerikanische Poetin Emily Dickinson, die von 1830 bis 1886 lebte. Gewidmet ist der Zyklus dem nahezu unbekannten Dichter Andreas Rasp, der sich jahrzehntelang im Geheimen mit der Übersetzung der 1789 Poeme Emily Dickinsons beschäftigt hat. Ruth Johanna Benrath besingt die immer Einsame so:
„Biene gewesen / Flügel gespreizt / Gott gesiezt / Hund geduzt / durch einen Türspalt / mit den Menschen geredet.“
Die Berliner Künstlerin Bianca Döring schickt ihrem jüngst gestorbenen Freund, dem großen Erzähler Peter Kurzeck, ergreifende Verse nach:
„Am Zaun nagt der Reif. / Ein Wind verwundet die Bäume. / Mit dunklen Schritten / stöbert der Abend / nach Gold.“
Schließlich sei noch auf ein langes Natur- und Heimatgedicht des vielfach preisgekrönten Kurt Drawert hingewiesen. Es berichtet ironisch-selbstreflexiv vom Elend und der Suche nach Glück in dem Odenwalddorf Crumbach: „Auf dem Land sind die Zusammenhänge / immer direkter, auch kausaler …“
Im Gesprächsteil der Zeitschrift poet geht es um das steinalte, nicht eben originelle Thema „Literatur und Rausch“ (u.a. ein Gespräch von Marie T. Martin mit Gunther Geltinger), wobei sich vorweg die schwer zu beantwortende Frage stellt, was so bedeutenden Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Joseph Roth oder Uwe Johnson der maßlose Alkoholgenuss eingebracht haben mag; ob er sie selbst und ihr Werk nicht nachhaltig beschädigt hat, zumal Rauschmittel eher träge und depressiv machen und zu Lähmungen führen, während man doch zum Schreiben ein klares Bewusstsein braucht.
Die von der poet-Redaktion befragten jüngeren deutschen Autoren halten sich, so behaupten sie wenigstens, vom Alkohol und anderen Drogen fern und verweisen auf das Rauschpotential, das im Schreiben und speziell in der Sprache liege, mit der man den Leser in einen Taumel zu versetzen hofft.
„Heute schreibe ich in kurzen, intensiven Phasen, da halte ich mich mit Alkohol zurück, damit ich nicht zu erschöpft bin“,
sagt der Frankfurter Erzähler Andreas Maier, der sich als „Werkzeug eines automatisierten Unbewussten“ begreift. Auch für den jungen Lyriker Jan Skudlarek ist Schreiben „mitunter allemal ein Rausch“, ein „Wortrausch“, ein „Außersichgeraten“. Und sehr geniepoetisch spricht er von „Inspiration“, ein Begriff, der nicht so recht in die gegenwärtige Schreibschulpraxis passt.“
Neuen Kommentar schreiben