Fix Zone

Zeiten der Lüge

Redaktion: 

»Lügen ist die Muttersprache unserer Vernunft und Witzes«, heißt es in einem Brief Hamanns an Kant. Die Lüge ist nicht das ganz Andere, gar Unbegreifliche gegenüber der Wahrheit, sondern mit dieser untrennbar verbunden: Sie ist keine Aussage, die mit den Wahrheitswerten ›wahr‹ oder ›falsch‹ belegt werden kann, sondern ein kommunikativer, produktiver Akt, der mit der Absicht zu täuschen unternommen wird und damit eine neue emotive wie kognitive Wirklichkeit zu schaffen beabsichtigt.

Vladimir Jankélévitch lenkt in Von der Lüge den Blick auf die innere mentale Verfasstheit dessen, der sich zur Lüge ›entschließt‹, und versucht, der ›Subjektseite‹ der Lüge auf die Spur zu kommen. Unser Bewusstsein will das Polymorphe, das Missverständliche, das Uneingestehbare handhaben und erfindet etwas Glaubhaftes, Zweckmäßiges. Die Lüge ist »die List der Schwachen«, rettende Idee in Notwehrsituationen und gleichzeitig doch »innere Flucht, das Verlassen des Postens, das Opium der geringsten Anstrengung«. Es gibt nach Jankélévitch nur zwei Wege, mit der Lüge umzugehen: die unerwartete, schmerzhafte Aufrichtigkeit und das Verschmelzen der Lüge mit der Wahrheit bis zur Ununterscheidbarkeit. Einen Ausweg aus der Verstrickung des Lügners mit dem Belogenen hingegen weist nur die Ironie: Denn diese führe, als »bonne conductrice«, den Geist, unser Bewusstsein, zur Innerlichkeit, während die Lüge ihn ins Äußerliche ziehe. Jankélévitchs Überlegungen zur Lüge sind charakteristisch für seinen philosophischen Ansatz, der, obgleich in der Tradition Bergsons und Simmels stehend, doch eine ganz eigene Art von Lebensphilosophie darstellt.

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„Weil Jankélévitch zu Lebzeiten keine deutschen Übersetzungen seiner Werke duldete, sind sie verzögert hier angekommen. In den letzten Jahren aber sind mehrere Essays erschienen, über den Tod etwa, das Verzeihen und die Ironie. In diesem Herbst erscheint seine Musikphilosophie bei Suhrkamp und eben "Von der Lüge", geadelt durch die Aufnahme in den grünen Kanon der "Philosophischen Bibliothek" im Meiner Verlag. Und das völlig zu Recht, denn dieser Essay umkreist sein Thema zwar nicht erschöpfend, aber in vieler Hinsicht zeitlos hellsichtig und grundsätzlich.“ Johan Schloemann in der Süddeutschen Zeitung
 

Platz 6 der Sachbücher des Monats April:
Vladimir Jankélévitch : Von der Lüge. Herausgegeben von Steffen Dietzsch. Philosophische Bibliothek N° 637. 2016. Aus dem Französischen von Sarah Dornhof und Vincent v. Wroblewsky. Mit einem Vorwort von Xavier Tilliette. Felix Meiner Verlag.

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