R. Scott Bakker: "Der Krieg der Propheten 2. Der Prinz aus Atrithau"
Roman, Hardcover, 703 Seiten
Klett Cotta 2007
ISBN 3-6089-3784-6
Mit dem zweiten Band seiner Krieg der Propheten Trilogie beginnt Scott Bakker nicht nur den Hintergrund seiner Welt weiter und vor allem beeindruckend auszubauen, er muss den Übergang von der oft im ersten Band benutzten inneren Erzählebene zu einem stringenten Roman finden. Es hat keinen Zweck, brutale und packende Actionszenen aneinander zu reihen, wenn der Leser keinen Zugang zu den Protagonisten findet. Auf der anderen Seite bringt es dem außen stehenden Betrachter wenig, jedes Details einer Figur zu kennen, wenn der Hintergrund und die Handlung nicht überzeugend ist. An dieser Balance sind manche Epen gescheitert. Auch wenn die Antwort wie eine Floskel wirkt, der vorliegende Roman ist im Grunde eine Synthese aus einer Reihe von guten und schlechten Teilen, die von einem auch stilistisch sehr guten Autoren in einem umfangreichen Buch zusammengefasst worden sind. Oft stehen sich die lobens- und verdammenswerten Teile fast direkt gegenüber. Ohne ein direktes Plagiat zu sein, sind die Ähnlichkeit zu Stephen Donaldsons zweitem Band seiner ersten Trilogie um Thomas, den Zweifler frappierend. In diesem Band marschieren die Kräfte des Guten gegen Lord Fouls Armee. Während die vereinten Truppen sich kompakt präsentieren und dem Gegner entgegenströmen, verteidigen im vorliegenden Band sich die Kräfte des Lichts im Heiligen Krieg gegen die Angreifer. Trotzdem müssen beide Armeen auf dem Weg zur endgültigen Schlacht eine Reihe von grausamen Prüfungen überstehen, welche die Truppen auslagen und die Generäle an die Grenze ihrer Fähigkeiten herausfordern. Während in Stephen Donaldsons Roman die Idee der Verteidigung eines unfragliche noble heroische Aufgabe ist, sind die Truppen der Allianz in diesem Heiligen Krieg in sich zerstritten. Der Grundtenor ist allerdings in beiden Romanen der gleiche. Und diese Idee teilen sich die beiden Fantasy- Romane mit einer Reihe von historischen Texten, in denen der verzweifelte Mut einer kleinen Armee gegen einen scheinbar übermächtigen Feind beschrieben wird. Alleine aber einen ganzen Roman eine Trilogie auf dieses bekannte Thema abzustellen, ist in der heutigen Zeit nicht mehr unbedingt opportun. Die Ähnlichkeit mit den historischen Kreuzzügen ist dagegen absichtlich. Immer wieder finden sich die entsprechenden Anspielungen auf die unterschiedlichen Religionen. Der Wahn, die Andersgläubigen auszulöschen, ist spürbar. Dabei hält sich Bakker mit seinem historisch angelegten Epos aus der gegenwärtigen politischen Diskussion um die neuen Glaubenskriege im Nahen Osten heraus. Er bemüht sich, beiden Seiten eine gewisse Ambivalenz zu geben und auf das absolut Böse siehe unter anderem auch das Konzept hinter George R.R. Martins A Game of Thrones zu verzichten. Im Gegensatz aber zu den historischen Vorbildern gelingt es Bakker nicht immer, die Wahrscheinlichkeit, eine große, überlegene Armee durch Intelligenz und Verschlagenheit realistisch zu besiegen, wirklich überzeugend zu beschreiben. Nicht selten greift er in den Schlachten zu kleinen literarischen Tricks, um das bis dato fatalistisch nihilistische Schicksal der Verteidiger des Wahren Glaubens in letzter Sekunde zu drehen und ihnen zumindest auf eine philosophischen Ebene den Sieg zu schenken. Auch wenn Bakker für seine Romane eine eigene Religion entwickelt hat, sind die Parallelen insbesondere zu den Grundfesten unserer Religionen: Wer sind die Menschen? Was wissen sie? Wie können sich die Menschen im Angesicht des Zweifels richtig verhalten? Im Vergleich zu den brutalen, aber nicht immer aufregenden Schlachten funktioniert diese intellektuelle Ebene deutlich besser. Bakker gelingt es als Autor, dass der Leser sich zumindest impliziert auch mit diesen angesprochenen Grundthemen des Mensch- Seins auseinandersetzt. Er verfolgt die Handlungen der einzelnen Protagonisten und akzeptiert deren Standpunkt. Anders funktioniert das Buch nicht. Es hat keinen Zweck, mit seiner eigenen, vor allem atheistischen Einstellung an das Geschehen heranzugehen. Erst die Akzeptanz zumindest was deren Handeln angeht eines anderen Glaubens macht das Geschehen in dieser fiktiven Welt realistisch und nachvollziehbar. Dabei nimmt Bakker ganz bewusst für seine Charaktere konträre Positionen ein. Im Vergleich zu Donaldsons Trilogie um Lord Foul gibt es keine Absolutismen.
Leider greift Bakker in einem Punkt zu profanen Mitteln zurück: Sex und Gewalt. Der Weg zu reiner Pornographie ist noch weit und hier soll nicht de prüde Stab gebrochen werden, aber insbesondere Sex sollte an effektiven Stellen zur Verstärkung von Positionen und/oder der Abrundung der Charaktere eingesetzt werden, aber nicht in derartiger Form plakativ. Bakker verpackt zwar aufgrund seiner literarischen Fähigkeiten diese Szenen geschmackvoller als zum Beispiel Autoren wie Goodkind selbst im neusten Romane aus der Feder George R.R. Martins finden sich entsprechende, nicht immer notwendige Passagen -, aber die Notwendigkeit muss an mehr als einer Stelle bezweifelt werden. In Kombination mit dem im Grunde fehlenden Glauben auf beiden Seiten der Kriegführenden Parteien fehlt dem Roman ein gewisses Gleichgewicht. In Donaldsons Roman haben sich die verschiedenen Parteien verschworen, Lord Foul zu besiegen und für diesen fast heiligen Krieg das Leben zu opfern. Dieses Element fehlt komplett im vorliegenden Roman. Auch wenn es offensichtlich um einen Glaubenskrieg geht, hat Bakker auf das Noble, das Heroische gänzlich verzichtet. Damit läuft er auch nicht Gefahr, die Handlung im Pathetischen zu ersticken. Er folgt der modernen Kriegführung, die keinen Raum mehr für klassischen Helden hat. Wie schon in der Glaubensfrage sind die Grenzen schwimmend. Es gibt im Grunde keinen Unterschied mehr zwischen denen und uns. Diese ungewöhnliche Perspektive macht den vorliegenden Roman zu einer ungewöhnlichen Lektüre. Auch wenn es schon seit dem ersten Buch keine Grundlage für eine echte Diplomatie gegeben hat, ist das nihilistische Element überraschend. Und doch folgerichtig logisch. Bakker zeigt keine Alternativen auf, will die noble Gesinnung zu keinem Augenblick seines Buches aufkommen lassen. Nicht umsonst sind die Schlachten von Brutalität und Grausamkeit geprägt. Schon vor der eigentlichen Schlacht weit der Autor darauf hin, dass es keine Helden mehr geben kann und im Grunde gegeben hat. Die sagenhaften Illusionen der Vergangenheit zerlegt der Autor mit sadistischem Vergnügen. Damit stellt sich Bakker ganz bewusst gegen den Trend der gegenwärtigen Fantasy, in erster Linie in schwarzweißen kräftigen Bildern ohne weitergehende Begründungen zu malen. Was die Lektüre nicht unbedingt einfach macht, ist der gänzliche Verzicht auf Heldenstereotypen. Das macht die Lektüre an einigen Stellen ganz bewusst nicht einfach. Distanziert aber auch unnötig den Leser vom Geschehen, da er in einigen wichtigen Passagen die Antipathie gegenüber den Protagonisten überwinden muss, um das Geschehen aus einer neutralen notwendigen Perspektive heraus reflektieren zu können. Dieses Vorgehen ist im Vergleich zu den eher ambivalenten Romanen Donaldsons und Martins innovativ. Bakker kann sich so besser vom Geschehen distanzieren und trotz der brutalen Szenen eine gewisse Neutralität bewahren. Das Problem liegt eher in der zweiten Hälfte des Buches, wenn Bakker im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung eigentlich Positionen einnehmen müsste. Nur eine neutrale Schilderung des Geschehens wird über kurz und lang den Leser nicht befriedigen, schließlich braucht er in dunklen Tagen einen Träger des Lichts. Auf diese verzichtet der Autor komplett und forciert eine Diskussion um seine Bücher.
Bakker nimmt allerdings auf mehreren Ebenen eine extreme Position ein. Das beginnt mit den religiösen Aspekten, die sicherlich Kritik herausfordern und endet in Szenen sexueller und aktueller Gewalt, die einwandfrei für ein erwachsenes Publikum konzipiert worden sind. Dabei ist die Grenze zwischen Notwendigkeit und Plakativ sehr schwammig. An manchen Stellen befriedigt Bakker ab zu sehr die niederen Instinkte. Er beginnt in seinen beiden Romanen einen Trend, den Filme wie 300 schließlich einem Massenpublikum geöffnet haben. Auf der anderen Seite ist der Roman stilistisch ansprechend geschrieben. Die verbalen Bilder sind eindrucksvoll, bleiben dem Leser im Gedächtnis. Nicht selten hat der Leser allerdings das Gefühl, einen frühen Paul Verhoeven Film zu sehen. Provozierend, faszinierend.
15. Jul. 2007 -