Heinz J. Galle/Markus R. Bauer
SUN KOH. Der Erbe von Atlantis und andere deutsche Supermänner. Paul Alfred Müller alias Lok Myler alias Freder van Holk. Leben und Werk
Zürich: ssi-media-com 2003 405 S. 24,80
SSI, dahinter stecken Markus R. Bauer und Rolf A. Schmidt, widmet sich der Unterschlagenen Literatur. Auf dem ehrgeizigen Verlagsprogramm steht u. a. eine Wiedererweckung Paul Leppins in einer Werkausgabe, aber auch viele z. T. bislang unveröffentlichte Werke P. A. Müllers wie Falsche Mesonen, Rah-Norten-Reprints und Kim Roy 1 und 2. Besonders ehrgeizig ist der Nachdruck der 150 Hefte der legendären Sun Koh-Hefte aus den Jahren 1933-1936 in 31 Bänden, in Paperbacks aus je 4-6 Originalheften in der ursprünglichen Textgestalt samt den Textvarianten der verschiedenen Vorkriegs- und Nachkriegsausgaben und Abbildungen der verschiedenen Covers. Die Reihe erschien zuerst beim Bergmann Verlag in Leipzig in drei Auflagen (mit gewissen Eingriffen der Reichsschrifttumskammer, so musste der treue Gefährte Sun Kohs sterben, weil er ein Schwarzer war , es gibt deswegen auch Textvarianten zwischen den verschiedenen Auflagen), später kam eine zehnbändige Buchausgabe im selben Verlag hinzu, es gab eine kurzlebige österreichische Nachkriegsheftserie, eine deutsche Heftserie, eine Leihbuchreihe und eine Taschenbuchreihe im Pabel Verlag, alle mit Hinzufügungen, Kürzungen und z.T. veränderter Reihenfolge. Die Publikationsgeschichte wird in der Bibliographie mit allen Abweichungen, Veränderungen und Varianten genau beschrieben.
Heinz Jürgen Galle ist einer der profiliertesten Kenner der deutschen Heftliteraturszene, er hat vielfach über P.A. Müller und Sun Koh geschrieben, und er ist der Nachlassverwalter P.A. Müllers. Dieses sehr verspätet und nach mancherlei Fährnissen erschienene Buch ist eine durch Interviews und weitere Quellen und Recherchen erweiterte Fassung eines 1983 in der Edition Corsar erschienen Studie über Sun Koh. Man darf sich von Galle keinen akademischen Jargon und keine haarspalterischen Interpretationen erwarten, er präsentiert, von Begeisterung getragen (aber nicht unkritisch) eine Fülle von Material, liefert viele Inhaltsangaben und listet penibel auf, was in den Romanen P.A. Müllers an Ideen gibt und auch, wie sein Einfluss merkbar ist, u. a. bei Clark Darlton, Erich von Däniken oder Manfred Langrenus, dessen Reich im Mond ein noch immer viel gesuchter Roman ist.
Im Zentrum von Müllers Werk standen zwei Motivkreise, die Galle ausführlich darstellt. Erstens einmal die Hohlwelttheorie, der Müller in zahlreichen Romanen anhing und die er auch in einem Sachbuch darstellte, bis der Start des ersten Sputniks die Irrigkeit dieser Ansicht deutlich widerlegte. Der andere Themenkreis ist der um den versunkenen Kontinent Atlantis, über den es eine noch umfangreichere Literatur gibt und der bei manchen Autoren, so auch bei Hans Dominik in Atlantis, wieder aus den Fluten auftaucht. Darauf steuert auch die Sun Koh-Reihe hin, und bis es so weit ist, dass der bronzefarbige, aber entschieden weiße Supermann Sun Koh sein Erbe antreten kann, muss er sich mit allerlei Schurken, vor allem aber einen Erzfeind Juan Garcia, der dieselbe Rolle spielt wie Dr. Moriartry für Sherlock Holmes, herumschlagen und Superwaffen sammeln, um seine Herrschaft verteidigen zu können. Galle beschreibt die systematischen Vorbereitungen in 149 Heften auf den Tag X, das Auftauchen von Atlantis aus dem Meer:
Er schart ein Team von genialen jungen Wissenschaftlern um sich, die in Yukatan im Geheimen für das Auftauchen von Atlantis Sorge treffen. Sun Koh erwirbt Ländereien wie z.B. das Urubambatal in Peru, damit die Nachkommen der Inkas dort ungestört auf den Tag X warten können. Er errichtet Fabriken, in denen weltraumtaugliche Raketen hergestellt werden, kauft Platinminen, in seinem Besitz befinden sich die modernsten Flugzeuge seiner Zeit, U-Boote aller Größen, gigantische Luftschiffe und Antigravitations-Platten zum Transport von großen Lasten. In seinem Arsenal häufen sich gewaltige Machtmittel, die flüssige Pest, der mordende Schall, der splitternde Tod, das Geheimnis der drahtlosen Energieübertragung usw. (S. 237-238)
Alle diese gewaltigen Vorbereitungen nur, damit die Augen der Männer beim Anblick des neuen Erdteils aufleuchten und sie andächtig Atlantis murmeln können, was, vermutet Galle, auf die Zensur der Reichsschrifttumskammer zurückzuführen ist. In gewissem Maße ist Perry Rhodan die Fortführung von Sun Koh, die auch Autoren wie H. W. Franke tief beeindruckte, der sie in der ersten Auflage der Encyclopedia of Science Fiction von Nicholls/Clute gegen den Vorwurf des Faschismus verteidigte, obwohl es in der Serie auch üble rassistische Auslassungen gibt, die auf äußere Einwirkung zurückzuführen sein dürften, denn ursprünglich hatte sich Sun Koh von einer durchaus internationalen Mannschaft umgeben, darunter einem sehr sympathischen Schwarzen.
Der Band liefert jedenfalls eine Fülle von Informationen über die verschiedenen Fassungen der Reihe, die Titelbildgestaltung (mit unzähligen Abbildungen), die Quellen, die P.A. Müller herangezogen und die Spuren, die Sun Koh bei späteren Autoren hinterlassen hat. Sie scheint jedenfalls eine zentrale Rolle in der deutschen SF der Zwischenkriegszeit (und darüber hinaus zu spielen). Die vielen Abbildungen, darunter viele Titelbildvergleiche, aber auch Photos des Autors, und die Fülle der unprätentiös dargebotenen Informationen machen Galles Buch auf jeden Fall zu einer wichtigen Quelle für jeden SF-Forscher, denn kaum jemand wird die Möglichkeit haben, die umfangreichen Texte (an die zehntausend Seiten) so minutiös zu vergleichen, zumal viele Hefte und Bücher schon sehr selten und nur zu exorbitanten Kosten erwerbbar sind.
27. Feb. 2007 -