Ich weiß von einem
Keller, den es nicht mehr gibt. Beziehungsweise existiert er wahrscheinlich zwar
noch, aber er ist nicht mehr zugänglich. Er lag unter einem Lokal, in einer
Straße, auf der ich schon lange nicht mehr gegangen bin. Bis heute. Obwohl ich
eine ganze Weile in dieser Gegend gewohnt, gelebt und gearbeitet habe, kehrte
ich ihr irgendwann – fast erleichtert – den Rücken. Aber das ist lange her. So
lange, dass man fast schon vom Anfang sprechen kann. Der Beginn von was auch
immer.
Ich sagte, ich wäre
erleichtert gewesen. Das trifft es wohl am ehesten, wenn ich an meine
Abkehr von diesem Ort denke. Dabei wirkte die Gegend, von der ich hier spreche,
auf den ersten Blick eigentlich wirklich nett. Ruhige Gassen auf denen man im
Abendgesäusel friedlich lächelnde Leute beim Flanieren zwischen golden
beschienen Hausfassaden begegnen konnte. Oben. Aber unter den Häusern lagen die
Keller. Rochen muffig und hatten meist nur mit baufälligen Stufen ohne Geländer
und willkürlich funktionierenden Lampen aufzuwarten. Das kann man als Passant
natürlich nicht ahnen. Aber wenn man dort wohnte, dann entdeckt man sie bald,
in den Hinterhöfen und Séparées – die Türen, die in das untere Stockwerk führen,
und aus denen einem schon beim Näherkommen die klamme Zugluft entgegenschlug.
Es waren steil abwärts
führende Stufen, die man niemals betreten würde, hätte man die Wahl. Aber
manchmal stellt sich einem diese Frage einfach nicht. Und ebenso wie an alles
andere im Leben, gewöhnte man sich auch schnell an den Anblick da unten, wenn
man ihn erst einmal oft genug gesehen hatte. Dann fielen einem die aufgebogenen
Fußbodenbretter und die abgeschälten Tapeten nicht mehr auf. Man fühlte die
Feuchtigkeit nicht mehr, die in allen Ritzen hauste, und einem das Atmen schwer
erscheinen ließ. Und die Geister – die fahlen, durchlässigen Gestalten, die mit
hängenden Köpfen zwischen den kleinen Pyramiden herumirrten und sich
Gutenachtgeschichten gegen ihre Einsamkeit ausborgen wollten – sie wurden zum Alltagsgeschäft, bei dem man
sich schon bald abgewöhnte, ihm direkt in die Augen zu schauen.
Dieser eine, bestimmte
Keller, dieser Limbus, von dem ich weiß, er wurde offenbar verschlossen. Dort,
wo sein Zugang war, ragt heute die glatt verputze, weiße Hinterwand eines
piekfeinen, jungen Architekturbüros auf. Drinnen sitzt gut gekleidetes,
erfolgreich wirkendes Personal – Sorte High End Businessmaterial. Sie warfen
mir heute Vormittag seltsame Blicke zu, als ich zu lange an ihrer spiegelnden Glasfront stand,
und mit plattgedrückter Nase versuchte, einen Blick auf den vermeintlichen Kellerabgang
zu erhaschen. Aber niemand kam heraus, um mich zurechtzuweisen. Vielleicht
wussten sie ja, wonach ich Ausschau hielt. Vielleicht wollten sie daher jedes
Tamtam vermeiden.
Irgendwann gab ich es auf
und ging weiter die Straße hinab. Versuchte, mich wieder auf die netten Fassaden
zu konzentrieren. Den Keller wieder Keller – oder bessergesagt – jetzt sauber
verputze Hinterwand sein zu lassen. Dabei tat ich mir aber schwer, den Gedanken
an die Geister beiseitezuschieben, die man vielleicht für immer im Keller
eingemauert hatte. Ich fragte mich, ob es die kleinen, schiefen Pyramiden des
Videoshops da unten noch gab.
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